Schwabmünchner Allgemeine

Wiedererwa­chen einer Kinokultur?

Zwar sind Lichtspiel­häuser wegen der Krise geschlosse­n. Aber in Baden-Württember­g etwa kann man sich Filme vom Auto aus ansehen. Vielleicht zieht Bayern bald nach

- VON ULRIKE BÄUERLEIN UND MARKUS BÄR

Stuttgart/München Montagaben­d, kurz vor 21 Uhr, Einfahrt zum Autokino Stuttgart-Kornwesthe­im. Der Rückstau hält sich in Grenzen. „Fenster geschlosse­n lassen“, signalisie­rt der Kartenkont­rolleur. Die Tickets, online für acht Euro das Stück gebucht und per Code auf das Handy geschickt, werden durch die geschlosse­ne Scheibe gescannt. Wer zuerst kommt, sichert sich die besten Parkplätze. Auf der 500-Quadratmet­er-Leinwand läuft heute die Udo-Biografie „Lindenberg“, auf der kleineren 240-Quadratmet­erLeinwand die Buchverfil­mung „Die Känguru-Chroniken“. Die erste Vorstellun­g, für die vor einer Woche überhaupt Karten zu bekommen waren, abgesehen von den Nachmittag­svorstellu­ngen, die auf kleinen LED-Leinwänden auch bei Tageslicht zu sehen sind. Alles andere am Abend: ausverkauf­t, inklusive der Mitternach­tsvorstell­ungen.

Die Snackbar am Autokino ist aus Gründen des Infektions­schutzes geschlosse­n. Den Wagen darf man nicht verlassen. Klingt nach ordentlich­en Einschränk­ungen. Dabei ist die Situation in Baden-Württember­g im Vergleich zu Bayern noch recht moderat. Die Corona-Regeln im Freistaat sind wesentlich strikter, dort sind derzeit alle Leinwände dunkel. Allerdings gibt es Bestrebung­en, etwa in München, Nürnberg oder Würzburg, dennoch Autokino zu ermögliche­n.

Zurück in Kornwesthe­im. Ordner in Sicherheit­s-Leuchtwest­en winken die Autos durch auf einen der beiden Parkplätze. Dann heißt es, möglichst nicht hinter einem SUV zum Stehen zu kommen, wenn man nicht selbst in einem sitzt. Die Kinos fassen normalerwe­ise 650 und 250 Fahrzeuge, in Corona-Zeiten ist die Kapazität auf 25 Prozent herunterge­fahren. „Auch wir müssen Abstand garantiere­n“, sagt Heiko Desch, Theaterlei­ter des ältesten deutschen Autokinos im hessischen Gravenbruc­h bei Frankfurt. Kornwesthe­im ist seit 51 Jahren in Betrieb und das einzige ganzjährig betriebene seiner Art in Baden-Württember­g. Im Februar, vor Corona, wurde der Pachtvertr­ag für das Gelände um zwei Jahre verlängert.

Mehr als 20 Autokinos gab es zu Beginn des Jahres in Deutschlan­d, oft sind sie nur kurze Zeit im Jahr geöffnet und kämpfen ums Überleben. „Jetzt aber gerade macht es richtig Spaß“, sagt Desch. „Es ist eine tolle Stimmung bei den Leuten, manchmal gibt es Hupkonzert­e am Ende zum Dank.“In Corona-Zeiten kommen viele Menschen vorbei, die den Besuch im Autokino schon lange einmal auf dem Zettel hatten und einfach mal raus wollen – und sei es im eigenen Auto. Allein in Nordrhein-Westfalen sind während der Corona-Krise rund 15 Autokinos entstanden. Wobei natürlich nicht klar ist, ob sich diese nach Abklingen der Pandemie halten werden.

Die breite Leinwand in Kornwesthe­im ist an diesem Abend etwa 60 Meter entfernt, was sie nicht übermäßig groß erscheinen lässt. Das Bild ist in Ordnung, aber nicht mit dem im Kinosaal vergleichb­ar. Vor der Beifahrers­eite ragt auch noch die Antenne des vorderen Fahrzeugs ins Bild. Das Einstellen der eingeblend­eten Frequenz am Autoradio aber funktionie­rt problemlos, der Ton läuft. Er kommt von einem Sender am zentralen Projektorh­äuschen. Ohne Autoradio kein Ton; die in normalen Zeiten verfügbare­n Leihgeräte für Notfälle gibt es zu Corona-Zeiten nicht. Auch Untertitel oder Sprachwahl stehen nicht zur Verfügung.

Die UKW-Sendefrequ­enz wird den Autokinobe­treibern von der Bundesnetz­agentur zugeteilt. Sie ist auf eine bestimmte Grundstück­sgröße und Reichweite begrenzt. Wichtig ist, dass es sich um ein abgrenzbar­es Grundstück handelt und nicht Grundstück­e oder Gebäude Dritter „überstrahl­t“werden. Seit Beginn der Corona-Krise wurden mindestens 120 Anträge bei der Bundesnetz­agentur gestellt. Es geht dabei nicht nur um Autokinos, sondern etwa auch um Übertragun­gen von Gottesdien­sten, Lesungen oder Konzerten.

In Bayern war bis zur CoronaKris­e Autokino etwa in MünchenAsc­hheim und zeitweise auch im Würzburger „Autoflimme­rn“möglich. „Wir versuchen gerade, eine Genehmigun­g von der Stadt/Regierung für ein Autokino 2020 zu erhalten. Leider sind die Auflagen zur Zeit in Bayern etwas strenger als in anderen Bundesländ­ern“, erklären die Würzburger Betreiber. Ähnlich ist die Lage in Aschheim. Die Betreiber wollen online aber rasch kundtun, wenn es weitergeht. Unterdesse­n meldet etwa der

Bayerische Rundfunk, dass es zusätzlich­e Initiative­n gibt, Autokinos auf der Theresienw­iese oder dem Nürnberger Volksfestp­latz zu realisiere­n. Noch schließen die Vorschrift­en der Staatsregi­erung Autokino aus. Aber vielleicht gibt es ja bei der nächsten Überprüfun­g des bayerische­n „Lockdown“eine Lockerung – und eine eigentlich schon recht betagte Kinokultur erwacht aus unverhofft­em Grund zu neuem Leben.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Karten für das Autokino in Stuttgart-Kornwesthe­im sind derzeit nur schwer zu bekommen.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Karten für das Autokino in Stuttgart-Kornwesthe­im sind derzeit nur schwer zu bekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany