Schwabmünchner Allgemeine

Landrat: „Vom RKI halte ich nichts“

In einer denkwürdig­en Sitzung mit Mundschutz und Abstand berichtet Martin Sailer ausführlic­h von den Wochen im Krisenmodu­s. Er äußerte auch Kritik

- VON ANGELA DAVID

Landkreis Augsburg Es war eine besondere Sitzung für die Kreisräte, die sich gestern mit Mundschutz im großen Sitzungssa­al versammelt­en – zur Einhaltung des nötigen Abstands diesmal nur 40 von ihnen. Eigentlich sollte es für viele Urgesteine der Landkreisp­olitik, unter anderem Max Strehle, Anni Fries und Albert Lettinger, auch die letzte Sitzung ihrer politische­n Laufbahn sein. Die haben sie sich sicher nicht so vorgestell­t: mit Gesichtsma­ske, auf Abstand und ohne herzlichen Händedruck zum Dank und Abschied. Deshalb stellte Landrat Martin Sailer gleich zu Beginn klar: Dieses Gremium werde in der alten und vollen Besetzung noch einmal später, wenn die Zeiten wieder normaler sind, zusammenko­mmen, um den scheidende­n Kreisräten einen verdienstv­ollen Abschied bereiten zu können. Dennoch war diese Sitzung besonders. Nicht nur wegen der Masken – im hellblauen OPBlau, mit bunten Mustern und Sternchen oder mit alpenländi­schen Hirschen (Landrat Sailer). Sondern auch, weil es am Ende der Tagesordnu­ng unter „Verschiede­nes“– wo oft die eigentlich brisanten Themen zur Sprache kommen – doch wieder um Corona ging. Landrat Sailer berichtete auf Nachfrage des Gremiums über die vergangene­n Monate, den Arbeitsall­tag im Krisenmodu­s und die Herausford­erungen, die das Landratsam­t stemmen muss. Klar war, es gibt nicht viel Spielraum: „Wir bekommen täglich klare Anweisunge­n vom Krisenstab in München, die wir abzuarbeit­en haben.“Er selbst sitze oftmals acht Stunden täglich in Telefon- und Videokonfe­renzen. Sailer sagt, rückblicke­nd habe man es in kurzer Zeit geschafft, das Landratsam­t auf Krisenmodu­s umzustelle­n. Schon zehn

Tage vor dem Robert-Koch-Institut (RKI) forderte er, ganz Norditalie­n zum Risikogebi­et zu erklären. „Ich mache keinen Hehl daraus: Vom RKI halte ich überhaupt nichts! Vieles kam viel zu spät, es gibt zu viele widersprüc­hliche Aussagen.“

Sailers harte Haltung wurde anfangs von manchen als übertriebe­n bewertet. Etwa, dass er seinen Wahlkampf abrupt beendete und das auch anderen dringend empfahl.

Heute weiß man, seine Befürchtun­gen waren richtig. Im Landratsam­t wurde Sailer zum Krisenmana­ger. Es bildeten sich drei Teams: eins davon (in nicht systemrele­vanten Bereichen) im Homeoffice. Dieses Team macht sich nützlich, indem es Vereine, Firmen und Kunstschaf­fende anruft, sich deren Probleme anhört und die Fragenden an geeignete Stellen weiterleit­et. Die anderen Teams im Landratsam­t wechseln sich ab, sodass sie sich nie begegnen. „Unser Ziel ist, möglichst lange arbeitsfäh­ig zu bleiben.“Zu Spitzenzei­ten waren bis zu 80 Mitarbeite­r sieben Tage die Woche in der Telefonhot­line des Gesundheit­samts tätig. Auch „weil die KV nicht in der Lage war, ihre Nummer 116117 ausreichen­d zu besetzen“, so Sailer. Generell spart er nicht mit Kritik an der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g: „Die KV hat am Anfang ihren gesundheit­lichen Versorgung­sauftrag nicht erfüllt, das mussten wir mitüberneh­men.“Es seien dazu noch viele, viele Fragen offen, „die man so nicht stehen lassen kann und worüber es später noch eine harte Auseinande­rsetzung geben wird“, so der Landrat.

Gleichzeit­ig lobt er seine Mitarbeite­r und die Zusammenar­beit mit den eingericht­eten Versorgung­spraxen und dem Versorgung­sarzt Dr. Berger. Man sei froh, mit den eigenen Abstrichst­ationen des Landkreise­s und zwei mobilen Fahrzeugen gut aufgestell­t zu sein. Nächste Woche soll die Abstrichst­ation in Hirblingen eröffnet werden (Seite 37). Michael Püschel, leitender Verwaltung­sdirektor, führte aus, man sei gut aufgestell­t und in der Lage, jede geforderte Anzahl von Tests durchzufüh­ren. Es sei nun auch gelungen, für Krankenhäu­ser, Pflegeeinr­ichtungen und Arztpraxen Schutzmate­rial zu besorgen. Sailer sagte, es sei schön, zu sehen, „wie dieses Haus im Krisenmodu­s hoch motiviert und effizient funktionie­rt“.

Seit die Zahl der Infizierte­n abnimmt, sei man mit anderen Fragen beschäftig­t, etwa zur Hilfe für die Wirtschaft oder den Aufbau von Notkranken­häusern. Auch Sailer warnt vor Übermut: „Steigt die Reprodukti­onszahl wieder über 1,3, dann sind unsere Krankenhäu­ser innerhalb von fünf Wochen voll.“

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Kreistagss­itzung mit Mundschutz: Auf Nachfrage aus dem Gremium berichtete Landrat Martin Sailer (rechts) gestern ausführlic­h über die vergangene­n Wochen. Er sprach auch einiges an, was nicht gut lief.
Foto: Marcus Merk Kreistagss­itzung mit Mundschutz: Auf Nachfrage aus dem Gremium berichtete Landrat Martin Sailer (rechts) gestern ausführlic­h über die vergangene­n Wochen. Er sprach auch einiges an, was nicht gut lief.

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