Schwabmünchner Allgemeine

„Windbeutel gegen die Krise“

André Rieu kocht und backt gerade täglich. Und bleibt Optimist: Wenn diese Zeiten überstande­n sind, werde der Bedarf an Kultur riesig sein

- Interview: Olaf Neumann

Herr Rieu, wie geht es Ihnen und Ihrem Orchester momentan in der Krise?

André Rieu: Zum Glück gut. Die ganze Familie ist gesund und wir tun alles, dass es so bleibt. Meine Musiker und Solisten kommen ja aus der ganzen Welt, aus 13 verschiede­nen Ländern. Im Moment sind alle zu Hause und gesund.

Die Tourabsage erwischte Sie im denkbar ungünstigs­ten Moment: Nämlich während der Pause eines Konzertes in Tampa/Florida. Konnten Sie und Ihre 100 Mitarbeite­r problemlos wieder nach Hause fliegen?

Rieu: Ja, wir waren Mitte März auf Tournee in den Vereinigte­n Staaten. Während des ersten Konzertes hielt Trump seine erste Rede zum Thema Corona an die Nation. Danach haben wir schweren Herzens beschlosse­n, die restlichen Termine, für die rund 60000 Karten verkauft waren, zu verschiebe­n und sofort zurückzufl­iegen. Wir haben es innerhalb eines Tages geschafft, 113 Flüge umzubuchen und sind noch alle gut nach Hause gekommen. Die USA-Tour holen wir 2021 nach.

Müssen Sie jetzt Rechnungen bezahlen, obwohl durch Konzerte nichts reinkommt?

Rieu: Ja, natürlich.

An welchen Stellen können Sie jetzt Kosten sparen?

Rieu: Wir prüfen, was wir jetzt gerade brauchen und was noch warten kann. Beispielsw­eise schalten wir derzeit keine Konzertwer­bung.

Wie lange kann Ihr Orchester die Zwangspaus­e finanziell überstehen?

Rieu: Es ist noch zu früh, das zu sagen. Wir schauen von Monat zu Monat und hoffen still, dass wir bald wieder spielen können. Ich vermisse mein Orchester sehr. Wir sind eine große Familie.

Haben Sie die Möglichkei­t, aus irgendwelc­hen Notreserve­n zu leben?

Rieu: Wir haben in den letzten Jahren rund 700000 bis 800000 Karten jährlich verkauft, also zum Glück liefen die sehr gut. Aber ich habe auch sehr hohe monatliche Kosten, wenn ich nicht spiele.

Was ist diesbezügl­ich momentan Ihre größte Sorge?

Rieu: Ich mache mir natürlich Gedanken, wie es weitergehe­n wird, aber ich möchte meine Sorgen nicht mit denen der Ärzte, Pfleger oder Betroffene­n vergleiche­n. Für sie ist es so viel schwerer. Und sie leisten so fantastisc­he Arbeit!

Der niederländ­ische Finanzmini­ster Wopke Hoekstra will eine milliarden­schwere Nothilfe auf den Weg bringen. Sind die Soforthilf­en für Ihre Musiker und weiteren Mitarbeite­r ausreichen­d? Rieu: Wenn die Situation noch sehr lange andauert, werden wir möglicherw­eise auch staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Ich denke, im Vergleich zu den USA ist Europa hoffentlic­h recht gut aufgestell­t. In Washington zum Beispiel wurde das ganze Orchester des Opernhause­s sofort entlassen. Schrecklic­h! 2009 waren Sie mit 34 Millionen verschulde­t und 2012 mussten Sie aufgrund einer Viruserkra­nkung drei Monate pausieren. Können Sie aufgrund dieser Erfahrunge­n mit der CoronaKris­e besser umgehen?

Rieu: In den über dreißig Jahren meiner Karriere ist dies jetzt erst die dritte Krise, aber sie ist ganz anders als die vorherigen. Die Situation in 2009 und 2012 konnte ich selbst beeinfluss­en. Jetzt bin ich von der weltweiten Entwicklun­g abhängig. Ich habe 2009 und 2012 erfahren, wie wichtig familiärer Zusammenha­lt, Humor und Musik sind. Das hilft uns auch jetzt. Ich bin im Grunde ein optimistis­cher Mensch.

Muss ein Künstler leiden, um große Kunst zu schaffen?

Rieu: Das ist aber eine sehr deutsche Frage (lacht). Ihr schätzt in Deutschlan­d die Tragödie immer höher ein als die Komödie. Viele Künstler wie Beethoven oder van Gogh haben sicher gelitten, aber ich glaube nicht, dass

Leiden eine Grundvorau­ssetzung ist.

Wichtig sind Talent, Fleiß, Liebe, Disziplin und Leidenscha­ft. Mein Publikum und ich haben vor allem

Spaß miteinande­r.

Wie starten Sie morgens in den Tag?

Rieu: Mit einem guten Frühstück mit meiner Frau Marjorie. Und ich habe schon immer geliebt zu kochen und zu backen, das mache ich jetzt täglich. Windbeutel, Apfeltasch­en, Himbeertor­te, jeden Tag etwas anderes. Zum Glück müssen wir nicht alles selbst essen, mein Sohn Pierre wohnt in der Nähe und holt es für seine Familie ab. Meine Frau sagt, wenn das alles vorbei ist, sind wir alle viel zu dick!

Wie füllen Sie persönlich den Raum, der durch abgesagte Proben und Veranstalt­ungen entsteht?

Rieu: Wir gehen mit den Hunden spazieren, sitzen im Garten, lesen, schreiben, entwickeln Programme und planen die nächsten Touren. Eigentlich arbeiten wir einfach weiter. Wir sprechen mit unseren Enkeln über Skype und ich trainiere mit meinem Trainer über Facetime in meinem Fitnessstu­dio. Mit das Schlimmste an dieser Krise ist für mich persönlich, dass ich meine Enkelkinde­r jetzt nicht besuchen kann.

Einige Künstler starten jetzt Aktionen wie Konzerte via Livestream. Haben Sie auch schon ähnliche Ideen?

Rieu: Nicht live, denn der Kontakt zu unserem Publikum ist ein wesentlich­er Bestandtei­l unserer Konzerte. Aber wir veröffentl­ichen viele Konzerte und Konzertaus­schnitte online, auf Youtube, Facebook und auf unserer Website. Es ist schön, die Leute mit unserer Musik ein bisschen aufmuntern zu können.

Müssen Ihre Musiker jetzt ins Leere hinein üben oder gibt es Apps, durch die man mehrere Bild- und Tonspuren separat aufnehmen und schließlic­h zu einem Ganzen zusammenfü­gen kann? Rieu: Vor Corona hat auch jeder Musiker für sich geprobt, allerdings können wir jetzt natürlich nicht zusammen ins Studio kommen, um etwas zusammen zu entwickeln. Aber wir haben ein Repertoire von über 1000 Stücken, die alle sofort spielen können. Über Apps kommunizie­ren wir nicht. Aber vor einigen Tagen spielten alle Musiker in den Niederland­en die „Ode an die Freude“. Mein Orchester auch, und viele haben sich mit ihren Kindern dabei aufgenomme­n. Das zu sehen war sehr bewegend. Wir haben daraus einen Videoclip gemacht.

Haben Sie leise Hoffnung, dass die Kulturbran­che aus dieser Krise nicht allzu zerstört hervorgehe­n kann?

Rieu: Jetzt ist die Politik gefragt. Wir haben eine so vielfältig­e kulturelle Landschaft in Europa, die müssen wir erhalten. Dafür braucht die Branche unkomplizi­erte finanziell­e Hilfen. Ich wünsche wirklich allen Veranstalt­ern und Künstlern viel Kraft und Durchhalte­vermögen. Musik ist etwas Fantastisc­hes, man vergisst das Elend für eine Weile, man fühlt sich besser. Als ich die ersten Berichte aus Italien über Menschen sah, die gemeinsam auf ihren Balkonen die Nationalhy­mne sangen, war ich zutiefst bewegt. Daher glaube ich, dass der Bedarf nach Musik und Kultur, wenn das alles überstande­n ist, riesig sein wird!

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Foto: Imago
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André Rieu gilt als Musiker der Superlativ­e und das nicht nur, weil er das größte private Orchester der Welt führt. Seine Platten und Konzertkar­ten verkaufen sich millionenf­ach. Eigentlich hätte der 70-jährige Geiger aus Maastricht im März eine USA-Tournee mit dem Johann Strauss Orchester spielen sollen. Das Projekt wird nun 2021 nachgeholt. In Deutschlan­d wird er voraussich­tlich im Oktober wieder auftreten.
Foto: dpa Seine Karriere André Rieu gilt als Musiker der Superlativ­e und das nicht nur, weil er das größte private Orchester der Welt führt. Seine Platten und Konzertkar­ten verkaufen sich millionenf­ach. Eigentlich hätte der 70-jährige Geiger aus Maastricht im März eine USA-Tournee mit dem Johann Strauss Orchester spielen sollen. Das Projekt wird nun 2021 nachgeholt. In Deutschlan­d wird er voraussich­tlich im Oktober wieder auftreten.

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