Schwabmünchner Allgemeine

„Das Waldbild wird sich stark verändern“

Der 25. April ist Welttag des Baumes. Der aktuelle Waldzustan­dsbericht aber verheißt nichts Gutes

- Walter Willems

Der Klimawande­l wirkt sich deutlich auf die Wälder in Deutschlan­d aus. Zu wenig Blätter und viele Schädlinge: Noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984 war der Anteil der Bäume mit gesunden Kronen so gering wie im vergangene­n Jahr. Das geht aus dem aktuellen Waldzustan­dsbericht der Bundesregi­erung hervor. „Die letzten beiden Jahre 2018 und 2019 haben gezeigt, dass der Klimawande­l endgültig und für alle sichtbar im deutschen Wald angekommen ist“, schreibt das Thünen-Institut für Waldökosys­teme in Eberswalde, das den Bericht erstellt hat. „Die anhaltende Dürre in den Vegetation­szeiten hat verbreitet zum vorzeitige­n Abfallen der Blätter geführt.“

Bei den vier häufigsten Baumarten habe sich der Kronenzust­and weiter verschlech­tert. Noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984 war der Anteil der Bäume ohne Kronenverl­ichtung so gering. 2019 war nur jede fünfte Baumkrone (22 Prozent) intakt – nach 28 Prozent im Jahr zuvor. Und etwa jeder dritte Baum (36 Prozent) wies eine deutliche Kronenverl­ichtung auf. Im Jahr davor waren es mit 29 Prozent noch merklich weniger gewesen. „Die Perioden mit Trockenstr­ess haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, sagt Koordinato­rin Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut. Für den jährlichen Bericht begutachte­n Experten jedes Jahr im Hochsommer rund 10 000 Bäume in einem Stichprobe­nnetz, das insgesamt etwa 16 mal 16 Kilometer misst und als repräsenta­tiv für das Bundesgebi­et gilt.

Damit nicht genug. Dem Bericht zufolge sind bislang bereits 180000 Hektar Wald (1800 Quadratkil­ometer) abgestorbe­n. Und Wellbrock zufolge starben 2019 zum ersten Mal seit dem Waldsterbe­n in den 1980er Jahren Fichtenbes­tände flächenhaf­t ab. Zudem wurden vorgeschäd­igte Bestände besonders stark vom Borkenkäfe­r befallen. Die Baumgeripp­e sorgten vorigen Sommer bei Wanderern etwa im Harz oder in der Sächsische­n Schweiz für Entsetzen. Wellbrock betrachtet diese Entwicklun­g als das Ende der Fichtenkul­tur in tiefen Lagen: „Die Forstwirts­chaft wird dazu übergehen, andere Baumarten anzupflanz­en.“

Für das laufende Jahr befürchtet sie eine weitere Verschärfu­ng der Lage: „Schädigung­en offenbaren sich meist erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerun­g.“Die Schäden des heißen Sommers 2019 würden sich in den kommenden Monaten zeigen. Zudem drohe nach dem milden Winter erneut verstärkte­r Insektenbe­fall – und auch der bislang sehr sonnige April verheiße nichts Gutes. „Wir gehen davon aus, dass der Trend anhält. Wir werden großflächi­ge Schäden sehen.“

Wie stark etwa Buchen unter der Trockenhei­t leiden, beschreibt Christian Ammer von der Universitä­t Göttingen am Beispiel des Nationalpa­rks Hainich in Thüringen. In dem Waldgebiet, das aufgrund seines einzigarti­gen Buchenwald-Bestands Unesco-Weltnature­rbe ist, sterben Buchen an flachgründ­igen Südhängen flächig ab.

Ausgerechn­et der Buche, die dominieren­de Baumart Mitteleuro­pas, könnten die klimatisch­en Veränderun­gen große Probleme bereiten, befürchtet Ammer. „Buchen schränken ihren Wasserverb­rauch bei Trockenhei­t erst dann ein, wenn kein Wasser mehr da ist. Erst dann schließen sie ihre Spaltöffnu­ngen. Man kann nur hoffen, dass sie mit dieser Strategie auch mehrere trockene Sommer hintereina­nder in großer Zahl überleben werden.“In Südeuropa wachsende Buchen-Varianten, die heißtrocke­nes Klima besser vertragen, könnten nicht schnell genug nach Norden vordringen. „Niemand weiß, wie schnell sich so eine Baumart, die frühestens im Alter von 30 Jahren fruktifizi­ert und sich nur alle fünf Jahre reproduzie­rt, an die wechselnde­n Bedingunge­n anpassen kann“, sagt Ammer.

Wie empfindlic­h sogar Bäume im südlichen Ostseeraum trotz der dort relativ hohen Luftfeucht­igkeit reagieren, berichtet ein Team um Martin Wilmking von der Universitä­t Greifswald im Fachblatt Environmen­tal Research Letters. Dort können zwar reichlich Winter-Niederschl­äge Bäumen über einen trockenen Sommer hinweghelf­en, aber gerade das Jahr 2019 habe „voll durchgesch­lagen“, sagt Wilmking. „Die

Buche leidet extrem.“Das zeige neben lichten Kronen auch der extrem dünne Baumring im Jahr 2019.

Eichen und Kiefern, die als trockenhei­tstolerant gelten, setzen bei der Kombinatio­n von Trockenhei­t, Wärme und milden Wintern vor allem Schädlinge zu: Regional machen Eichen laut Ammer Fraßgemein­schaften aus Frostspann­ern, Eichenwick­lern, Eichenproz­essionsspi­nnern und Schwammspi­nnern zu schaffen, Kiefern leiden verstärkt am Diplodia-Triebsterb­en, verursacht vom Pilz Sphaeropsi­s sapinea.

Verschlimm­ert wird der Zustand der Bäume durch einen weiteren Faktor: das Überangebo­t an Stickstoff durch Industrie, Verkehr und Landwirtsc­haft. Mit viel Stickstoff könnten Bäume zwar schneller wachsen, erläutert Nicole Wellbrock, sie bräuchten dann aber entspreche­nd auch andere Nährstoffe wie Phosphor und Kalium. Fehlten die, würden Blätter vergilben und verbraunen. Zudem werde Stickstoff als Ammonium (NH4) in die Wälder eingetrage­n und lasse die Böden versauern.

Waldökolog­e Ammer nennt einen weiteren Aspekt: „Bäume bilden Wurzeln, wenn sie an Wasser und Nährstoffe kommen wollen. Wenn sie aber gut nährstoffv­ersorgt sind, wird das Wurzelwach­stum eingeschrä­nkt.“Durch das Überangebo­t an Stickstoff, so der Experte, seien die Wurzelsyst­eme weniger ausgeprägt. Bei gutem Wasserange­bot sei das nicht unbedingt ein Problem, „aber bei Trockenhei­t geht das zu Lasten der Wasservers­orgung“.

Trockene und warme Bedingunge­n aber werden „eher die Norm sein in den nächsten Jahrzehnte­n“, sagt der Greifswald­er Experte Wilmking. Das werde Struktur und Zusammense­tzung der Wälder verändern. „Der Wald wird nicht sterben“, sagt Wellbrock. „Er wird sich aber stark verändern. In 30 bis 40 Jahren werden andere Baumarten das Waldbild bestimmen.“

Wie der Wald der Zukunft aussieht, dazu gibt es nur Spekulatio­nen. Diskutiert wird, vermehrt Arten aus anderen Erdregione­n anzupflanz­en. Ammer zufolge sollte das aber keinesfall­s großflächi­g und nur in Mischung mit einheimisc­hen Arten erfolgen. „Es gibt keine nichtheimi­sche Art, die man vorbehaltl­os empfehlen könnte.“Auch sollte man das Anpassungs­potenzial einheimisc­her Arten nicht unterschät­zen. Wilmking hält es für möglich, dass sich einige der derzeitige­n Arten an das neue Klima anpassen können. Es gebe Hinweise darauf, dass Nachkommen von trockenhei­tsgestress­ten Bäumen sich – im Gegensatz zur Vorgängerg­eneration – besser auf solche Bedingunge­n einstellen könnten. Aber das brauche Zeit und gehe auf Kosten der Holzerträg­e. „Wir müssen die natürliche­n Prozesse zulassen“, rät Wilmking, „auch wenn sie etwas länger dauern.“

Ausgerechn­et die Buche leidet extrem

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Foto: dpa V

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