Riskante Besuche im Altenheim
Fast die Hälfte der Corona-Toten waren Heimbewohner. Sorge vor schneller Lockerung
München Dass viele andere Länder deutlich höhere Todeszahlen als Deutschland beklagen mussten, liegt vor allem an dramatischen Covid-Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen. Alarmiert von dem verheerenden Ausbruch in Norditalien erließen die Regierungen der Bundesländer strenge Besuchsverbote, dennoch kam es auch in Bayern zu Ausbrüchen in Heimen, so in Würzburg, Schweinfurt, Aichach und Harburg (Donau-Ries), die dutzende Heimbewohner nicht überlebt haben. Allein das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg hat 160 Covid-19-Ausbrüche in Pflegeheimen verzeichnet.
Fast 2900 Bewohner und Pfleger hätten sich angesteckt. Rund 420 Menschen – ausschließlich Bewohner – seien gestorben. Wie hoch das Sterberisiko bei Ausbrüchen unter hochbetagten Heimbewohnern ist, zeigen aktuelle Zahlen des RobertKoch-Instituts: Von knapp 5500 der 6831 Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19-Erkrankungen liegen dem Institut nähere Angaben vor, aus welchem Umfeld die Verstorbenen stammen. Knapp die Hälfte der Toten – 45 Prozent – lebte demnach zuletzt in einem Alten- oder Pflegeheim. In Bayern waren 720 von 1950 gemeldeten Todesfällen Heimbewohner.
In ganz Deutschland starben zudem 31 Berufstätige in Einrichtungen wie Alten- oder Pflegeheimen, sowie Justizvollzugsanstalten, die zur gleichen Erfassungskategorie gehören. Ob es sich allesamt um
Pflegepersonal handelt, ist unbekannt, da es in Deutschland – anders als in anderen europäischen Ländern – keine Meldepflicht für Berufserkrankungen im medizinischen und Pflegebereich gibt.
Vor diesem Hintergrund betrachten viele Heimbetreiber zwiespältig die jetzt gelockerten Besuchsbestimmungen. Vor allem, dass dies in Bayern ausgerechnet kurzfristig vor dem Muttertag geschieht, löst Sorgen vor einem möglichen Besucheransturm aus – ohne dass die Sicherheitsfragen geklärt sind. „Wir begrüßen es, dass die Isolation für die Bewohner beendet werden kann, sind aber über die kurzfristige und vom Ministerium in keiner Weise angedeutete Öffnung zu diesem Zeitpunkt irritiert“, sagt der bayerische Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Thomas Beyer unserer Redaktion.
Bisher lägen von CSU-Gesundheitsministerin Melanie Huml keine Details zu den von Ministerpräsident Markus Söder am Dienstag genannten strengen Auflage vor. „Wir erwarten vom Hause Huml konkrete Hinweise zur Umsetzung, die bisher fehlen, um Infektionsrisiken zu verhindern.“Auch das Rote Kreuz kritisiert, dass noch immer die Versorgung der Pflegeeinrichtungen im Freistaat mit Tests und Schutzausrüstung nicht ausreichend sichergestellt sei. „Voraussetzung für jede Maßnahme muss aber sein, dass Bewohner und Pflegekräfte regelmäßig getestet werden können und ausreichend Schutzausrüstung für die Pflegekräfte vorhanden ist“, sagt BRK-Präsident Theo Zellner.