Schwabmünchner Allgemeine

Der Stadtrat tagt seit 400 Jahren im Rathaus

Im Jahr 1620 fand die erste Ratswahl in dem Neubau von Elias Holl statt. Der Goldene Saal befand sich damals noch im Rohbau. Ein Rückblick auf die bewegte Geschichte des Gebäudes

- VON FRANZ HÄUSSLER

Aktuell muss der Stadtrat vorübergeh­end ausziehen. Wegen der Corona-Krise wird in der Kongressha­lle getagt, um mehr Abstand halten zu können. Doch ansonsten tagen die Augsburger Räte seit 400 Jahren im Rathaus. Am 3. August 1620 wurde das Rathaus mit einer Ratswahl eingeweiht. Zu diesem Zeitpunkt war der Goldene Saal noch ein Rohbau. Der Auftrag für die kunstvolle Decke war zwar an den Augsburger Kistler Wolfgang Ebner vergeben, doch der Fertigstel­lungstermi­n für die Nussbaumde­cke war erst im August 1621. Er arbeitete mit elf Gesellen daran, und die Decke wurde fristgerec­ht fertig – ein Jahr nach der ersten Ratswahl im Neubau. 1624 war die Innenausst­attung abgeschlos­sen.

Außen waren vor 400 Jahren die Gerüste entfernt. Im Sommer 1619 waren der Verputz aufgetrage­n und die Fensterges­imse eingesetzt worden. Am 8. Mai 1620 vermerkte Stadtbaume­ister Elias Holl, das Hauptporta­l „von lauter schönem braunem und weißem Marbel“(= Marmor) sei aufgericht­et und das „Gitter mit zwei Greifen, die das Wappen der Stadt halten, angebracht“. Dieses vom Bildhauer Christoph Murmann entworfene Bronzegitt­er – von ihm stammte auch das erste Turamichel­e – befindet sich seit 400 Jahren über den Torflügeln des Rathauspor­tals.

Im August 1620 wurden die Amtsräume belegt, obwohl Handwerker und Künstler noch jahrelang mit der Ausstattun­g der Repräsenta­tionsräume wie dem Goldenen Saal und den vier Fürstenzim­mern beschäftig­t waren. Seit dem Beschluss, ein neues Rathaus zu bauen, waren da bereits fünfeinhal­b Jahre vergangen. Am 15. Januar 1615 hatte der Rat der Reichsstad­t beschlosse­n, das alte gotische Rathaus abzubreche­n und an selber Stelle durch einen repräsenta­tiven Neubau zu ersetzen. Bevor Elias Holl mit dem Abbruch begann, vermaß er es und ließ ein Modell anfertigen. Es ist im Maximilian­museum zu sehen.

Der Abbruch verlief zügig: Bereits am 25. August 1615 konnte der Grundstein für den nördlichen Flügel des neuen Rathauses gelegt werden. Der gesamte Rat war anwesend und schenkte dem Sohn des Stadtwerkm­eisters zwölf Goldtaler. Der Grundstein für den Südflügel wurde am 16. Mai 1616 in den Untergrund versenkt. Die Fundamente des Rathauses sind überdimens­ioniert. Das lässt darauf schließen, dass Elias Holl schon bei Baubeginn die Idee verfolgte, dem Rathaus zwei Türme aufzusetze­n. Auf den ersten Plänen, Modellen und Kostenvora­nschlägen fehlen sie noch. Erst 1618 rückte der Stadtwerkm­eister mit dem Plan heraus. Für 3000 Gulden Mehrkosten pro Turm würde das Rathaus ein „heroischer­es Aussehen“bekommen, argumentie­rte er. Der Rat stimmte zu.

Elias Holl war der federführe­nde Architekt und Bauleiter. Mit den Bildprogra­mmen beschäftig­ten sich mit der Historie Vertraute. Sie gaben vor, was im Goldenen Saal die elf, in die Decke eingefügte­n Ölgemälde und die Wandfreske­n darstellen sollten. Die Künstler setzten die Ideen um. Die römische Geschichte Augsburgs spielte vor 400 Jahren eine bedeutende Rolle. An sie erin

im Unteren Fletz und in den Treppenauf­gängen 14 Bronzebüst­en römischer Kaiser. Stadtgieße­r Wolfgang Neidhard goss sie zwischen 1620 und 1626.

Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden bei der Aktion Kunstsiche­rung nur die an den Wänden hängenden Ölbilder abgenommen und bombensich­er verwahrt. Was unbequem zu entfernen oder fest mit dem Bauwerk verbunden war, blieb dort. Die elf, in die Decke des Goldenen Saals eingefügte­n Ölbilder verblieben dort. Selbst das große „Flüssebild“über dem Nordportal des Goldenen Saals wurde nicht in Sicherheit gebracht. Die Fresken an den Wänden ließ eine Kunstkommi­ssion mit Farbdias dokumentie­ren. Diese Aufnahmen dienten als Grundlage für die Rekonstruk­tion durch den Augsburger Kunstmaler Hermenegil­d Peiker.

In der Bombennach­t des 25./26. Februar 1944 ging das Rathaus in

Flammen auf. Der hölzerne Dachstuhl und die Balkendeck­en brannten wie Zunder. Die vier tonnenschw­eren Kunstöfen in den Fürstenzim­mern stürzten ein Stockwerk tiefer und wurden zerschmett­ert. Das Rathaus war eine Brandruine. Außenmauer­n, starke Innenwände, die Treppenhäu­ser und die Gewölbe im Parterre hatten dem Inferno standgehal­ten. Elias Holls massive Bauweise hatte sich bewährt.

Ein Abbruch der rußgeschwä­rzten Rathausrui­ne stand nie zur Debatte. Die erste Wiederaufb­auphase (Richtfest am 15. Mai 1947) hinterließ ein Provisoriu­m unter einem stählernen Dachstuhl. Holz wurde sparsam verwendet. Die Turmkuppel­n waren 1951 wiederherg­estellt, 1955 gab ein neuer Putz dem Rathaus wieder ein würdiges Äußeres. Der vormalige Goldene Saal hatte einen Stahlbeton­boden und eine Decke aus Hohlsteine­n bekommen. Diese Rohbauhall­e und die Fürstenner­n zimmer dienten als Ausstellun­gsräume. „Neues Bauen in Augsburg“(1955), „Hans Holbein der Ältere und die Kunst der Spätgotik“(1965), „Augsburger Barock“(1968), „Literatur in Bayerisch Schwaben“(1979) fanden hier statt.

Im Jahr 1958 begann der Ausbau von „Funktionsr­äumen“im Rathaus in modernem Stil. Am 18. April 1962 konnten der Sitzungssa­al des Stadtrats und das Obere Fletz eingeweiht werden. Die Diskussion­en über die Ausgestalt­ung des einstigen Goldenen Saals wurden dann am 23. Juli 1980 beendet: Der Stadtrat beschloss bei 13 Gegenstimm­en die Wiederhers­tellung nach dem historisch­en Vorbild. Zu den 2000-Jahr-Feiern 1985 sollte er zur Verfügung stehen. Der Termin wurde auch eingehalte­n: Vom 11. bis 13. Januar 1985 waren alle bei „Tagen des offenen Rathauses“zur Besichtigu­ng des neuen Goldenen Saals eingeladen.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Das vor 400 Jahren eingeweiht­e Rathaus wurde nach seiner Fertigstel­lung sofort auf Stichen abgebildet.
Fotos: Sammlung Häußler Das vor 400 Jahren eingeweiht­e Rathaus wurde nach seiner Fertigstel­lung sofort auf Stichen abgebildet.
 ?? Foto: Kunstsamml­ungen ?? Das im Jahr 1615 abgebroche­ne gotische Rathaus ist im Stadtplan von 1521 abgebildet.
Foto: Kunstsamml­ungen Das im Jahr 1615 abgebroche­ne gotische Rathaus ist im Stadtplan von 1521 abgebildet.
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Diese Silbermeda­ille wurde geprägt zur Einweihung des Augsburger Rathauses im Jahr 1620.
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Diese Büste von Stadtwerkm­eister Elias Holl steht im südlichen Treppenhau­s.
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1944 brannte das von Bomben getroffene Rathaus aus.

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