Letzte Bleibe: Hallstraße 14
Als sich die antisemitische Verfolgung im Dritten Reich zuspitzte, wurde der Umzug ins Judenhaus erzwungen
Grossdeutsches Reich Reichsfinanzverwaltung hieß zuletzt 1944 der Eigentümer des Hauses Hallstraße 14. Als sogenanntes „Judenhaus“hatte es ausgedient. Hier gab es keine jüdischen Bewohner mehr. Fortgeschafft in die Arbeits- und Vernichtungslager im Osten hatte man sie – die letzten im Juni 1943. Die Augsburger Hallstraße 14 war für insgesamt 67 Menschen die letzte Station in ihrer angestammten Heimat. Daran erinnert nun die Dokumentation, die Alfred Hausmann von der Erinnerungswerkstatt Augsburg auf Wunsch der heutigen Eigentümerfamilie Witty recherchiert hat.
Die jüdische Geschichte des 1885 errichteten Stadthauses begann mit Emanuel und Olga Polatschek, die es am 22. April 1910 erwarben. Die Kaufleute verlegten sich auf Schuhhandel und gingen 1912 mit ihrem Laden in die Maximilianstraße 8. Als die Polatscheks 1932 auch das Nachbaranwesen kauften, war ihr Schuhhaus „Mercedes“das bekannteste in Augsburg.
Es sollte 1933 eines der ersten Ziele der nationalsozialistischen Boykottaktionen werden. Am 1. April wurden ein Banner aufgestellt und Schaufenster eingeworfen. Der „geschäftsschädigende Druck“, so Hausmann, veranlasste Polatschek dazu, Laden und Haus an Tack & Cie. zu verkaufen. Ende Mai 1938 emigrierte dann die Familie nach Palästina. Ihre Kinder Laura, Siegfried, Hedwig, Ida und Otto waren alle schon früher ausgezogen, Laura bereits 1922 verstorben.
Ihr Haus Hallstraße 14 verkauften die Polatscheks an die jüdischen Kaufleute Max Schwab und Karl Wassermann, die 1938 noch an eine Zukunft in Deutschland glaubten und die Herrenbekleidungsfabrik Pflaumlacher und Schwab, Bahnhofstraße 18 1/5, betrieben. Familie Schwab, die im August 1941 Augsburg verließ, konnte 1942 im letzten Moment noch auswandern, die Familie Wassermann wurde in Auschwitz ermordet.
Seit Kriegsbeginn sollte es in ihren Wohnungen eng werden. Bei den Schwabs wurden im November 1939 die drei Schwestern Bollack (Café Königsbau), dazu im April 1941 noch das Anwalts-Ehepaar Teutsch einquartiert. Nach ihrer Deportation kamen 1942 das Ehepaar Seligsberg und das Arztehepaar Wienskowitz aus Dillingen. Bei den Wassermanns kam zuerst das Ehepaar Ruppin (es überlebte im KZ Theresienstadt), dann ging es Schlag auf Schlag: Eingewiesen wurden das Ehepaar Pach („Schuhkönig“, Wertachstraße 5), das Ehepaar Waitzfelder, dazu Einzelpersonen.
Sie alle wurden Anfang April 1942 nach Piaski deportiert in den sicheren Tod. Die Wohnung belegten die NS-Behörden mit neuen jüdischen Familien, die man aus ihren Häusern auswies: das Ehepaar Goetz, das Ehepaar Oberdorfer sowie Einzelpersonen. Nach der Deportation nach Auschwitz im März 1943 war diese Wohnung „judenfrei“und es zogen regimetreue NS-Funktionäre ein. Die Hasspropaganda, die Juden belegten in den Städten schöne Wohnungen, während „Volksgenossen“wohnungsmäßig darben, tat offensichtlich ihre Wirkung.
Im zweiten Stock wohnten seit 1919 die Witwe Ida Rosenstiel und ihr jüngster Sohn Richard. Im April 1942 verschwanden sie nach Piaski. Zwischendurch wurden weitere Einzelpersonen zugewiesen, die teils noch ausreisen konnten, darunter Regierungsbaumeister Max Knapp. Weniger Glück hatte die Familie Großberg aus Pfersee, die im November 1940 ins Haus zog. Der Ehemann befand sich seit 1939 im KZ, die Familie kam im Raum Piaski um. Im August 1941 wurde Amalie Weil mit ihren beiden Töchtern eingewiesen. Sie starben 1943 in Auschwitz. Zuletzt kam die Familie ins Judenhaus Hallstraße. Wie die meisten Bewohner vor ihnen waren sie einst angesehene Bürger und erfolgreiche Gewerbetreibende. Bei der zwangsweisen Konzentration in Judenhäuser, die in Augsburg Gestapo-Leiter Hugo Gold leitete, hatten sie jedoch alles verloren. Oft mussten sie Zwangsarbeit leisten.
Das Haus Hallstraße 14 wurde bei der Bombardierung 1944 total zerstört. 1950 wurde es den amerikanischen Erben zurückerstattet. Das Ruinengrundstück erwarb im September 1953 der Autovermieter Hermann Melcer und bebaute es neu. 1986 ging es in das Eigentum von Dr. Siegfried Witty über.