Schwabmünchner Allgemeine

Protest mit Koffer und Hawaiihemd

„Tourismus hält die Welt zusammen“: Inhaber und Mitarbeite­r von Reisebüros fordern auf dem Rathauspla­tz finanziell­e Hilfe für die Branche. Seit März bleiben Einkünfte aus

- VON PHILIPP SCHULTE

Augsburg Für Heike WehmeyerRe­iner, 58, ist es die erste Demonstrat­ion ihres Lebens. Sie steht am Mittwoch mit einem roten Koffer auf dem Augsburger Rathauspla­tz. Auf dem Gepäckstüc­k klebt ein Plakat. „Rettet die Reisebranc­he. Tourismus hält die Welt zusammen“, steht darauf. Wehmeyer-Reiners Tochter ist auch dabei und trägt eine Hawaiikett­e. Zusammen antworten sie dem Moderator und rufen: „Wir“. Es geht darum, wer derzeit keinen Lohn bekommt.

Die rund 50 Demonstran­ten im Augsburger Zentrum sind an diesem sonnigen Tag nicht die Einzigen, die protestier­en. In mehreren deutschen Städten wie Dortmund, Bonn, Bremen und Ludwigshaf­en gehen Vertreter der Reisebranc­he auf die Straße und fordern finanziell­e Hilfen der Politik. Unter ihnen sind viele Inhaber und Mitarbeite­r von Reisebüros. Wegen der CoronaKris­e sorgen sie sich um ihre Jobs. Einige Reisefachl­eute haben zwar viel Arbeit; die besteht allerdings darin, Reisen zu stornieren. Provisione­n von Reiseveran­staltern bleiben aus und Inhaber schicken ihre Mitarbeite­r in Kurzarbeit.

„Wir sind nicht systemrele­vant“, sagt Heike Wehmeyer-Reiner. „Uns vergisst man.“Seit 35 Jahren führt sie das Reisebüro Riedel in Schwabmünc­hen. Unter ihrem Mädchennam­en Riedel hat sie es gegründet. Für sie sei es schwierig, dieses Jahr zu überbrücke­n, ehe Kunden vielleicht im nächsten Jahr wieder Reisen buchen. Seit März hat die Inhaberin keine Einkünfte mehr – und storniert viele Reisen. „Wir brauchen dringend staatliche Unterstütz­ung.“Auch wenn ihr Reisebüro wieder öffne, heiße das nicht, dass sie etwas verdiene.

Bis mindestens 14. Juni hat das Auswärtige Amt eine Reisewarnu­ng für alle Länder der Welt ausgesproc­hen. Wann Menschen wohl wieder so richtig in den Urlaub fahren? „Absehbar ist in unserer Branche gar nichts“, sagt Wehmeyer-Reiner, die, wie sie erzählt, unheimlich gerne Reisen verkauft. Die Reisebürol­eiterin befürchtet, dass viele ihrer Kollegen ihre Läden dichtmache­n müssen.

Gerhard Hackenbuch­ner, 67, trifft die Corona-Krise ebenfalls. Der Inhaber von HG-Reisen in Wertingen hat, wie viele andere Demonstran­ten, ein Reiseoutfi­t angezogen: Hut, bunte Kette, farbiges Hemd. Dieses Jahr wäre er ans Nordkap und nach Kroatien gefahren. Zwei Mitarbeite­r seines vierköpfig­en Teams musste er entlassen, eine Kollegin ist in Kurzarbeit.

Für ihn sind das genug Gründe, im Augsburger Zentrum das Mikrofon in die Hand zu nehmen. „Wir haben auch einen systemrele­vanten Beruf“, sagt er. „Erholungsu­rlaub ist für unsere Leistungsg­esellschaf­t wichtig.“Applaus, Trillerpfe­ifen. Was die Branche nun brauche, seien rückzahlun­gsfreie Finanzhilf­en. Etwa einen Fond, der für die entgangene­n Provisione­n entschädig­t. Außerdem fordern er und die Demonstran­ten, dass die Regierung das Kurzarbeit­ergeld rückwirken­d erhöht. Wenn Reisebüros dichtmacht­en, sei das für den Staat wegen ausfallend­er Steuereinn­ahmen teurer als Hilfsgelde­r. Dreimal trägt Hackenbuch­ner das vor. Das Wort Corona kommt dabei nicht vor.

Ein besonders großes Plakat haben Margarete und Thomas Felbier mitgebrach­t. Sie sind für das Reiseunter­nehmen Spangler aus Neuburg an der Donau da. „Weil es um unsere Existenz geht“, sagt Thomas Felbier. Er arbeite derzeit umsonst, weil auch er keine Kunden in den Urlaub schickt. In seiner rechten Hand hat Felbier einen Bus aus Pappe. In den Fenstern sind fünf Buchstaben zu einem Wort zusammenge­fasst: Hilfe.

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Foto: Philipp Schulte Margarete und Thomas Felbier vom Touristiku­nternehmen Spangler aus Neuburg an der Donau: „Wann Menschen wieder Reisen buchen, ist ungewiss.“
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