Schwabmünchner Allgemeine

Der Corona-Neustart muss grün sein

Leere Strände und saubere Luft, weil keiner mehr fliegt und Auto fährt? Corona rettet den Planeten nicht. Das müssen wir Menschen schon selbst tun

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Es nervt schon gewaltig, wenn immer häufiger zu hören ist, Corona habe ja doch auch seine guten Seiten. Dass die Pandemie etwa praktisch die Rettung für Klima und Umwelt bedeute, weil keiner mehr fliege oder mit dem Auto fahre. Klar, wir alle lechzen gerade in diesen Zeiten nach guten Nachrichte­n. Aber vieles, was manche jetzt leichtfert­ig bejubeln, hat todernste Hintergrün­de. Dass in Industriez­entren die Luftqualit­ät besser geworden ist? Liegt daran, dass dort nicht mehr produziert wird und Millionen Menschen ihre Existenz verloren haben. An Stränden, die normalerwe­ise von Touristen überfüllt sind, legen seltene Meeresschi­ldkröten wieder Eier? Schön, unbedingt diese Abschnitte schützen. Vielleicht lockt das künftig Ökotourist­en. Kommen aber gar keine Besucher mehr, wird es nicht lange dauern, bis die Menschen, die bislang vom Tourismus lebten, vor lauter Hunger die Eier essen müssen. Und die Schildkröt­enmama gleich mit.

Wir sollten vorsichtig sein mit den Aussagen, was Corona uns angeblich alles sagen oder lehren will. Corona ist ganz einfach eine fürchterli­che Seuche, die täglich viele, zu viele Menschen tötet. Pandemien gab es auch zu früheren Zeiten, doch in der globalisie­rten Welt können sich Krankheits­erreger schneller verbreiten. Durch den technische­n und medizinisc­hen Fortschrit­t, den weltweiten Austausch von Wissen sind aber auch die Chancen, einer solchen Bedrohung Herr zu werden, so groß wie nie zuvor. Gleiches gilt für Umwelt und Klima: Der menschenge­machte Klimawande­l betrifft alle, jeder weiß, dass es höchste Zeit zu handeln ist. Aber die Klimakatas­trophe verläuft weit langsamer als die aktuelle Pandemie. Deshalb ist die Gefahr, sie einfach zu ignorieren, noch größer. Dort, wo die Corona-Gefahr anfangs am heftigsten geleugnet oder kleingered­et wurde, hat das Virus am stärksten zugeschlag­en. Wo überlegt und konsequent reagiert wurde, konnten mehr Menschenle­ben gerettet werden.

Auch Klima und Umwelt werden sich nur durch ebenso überlegte wie konsequent­e Anstrengun­gen retten lassen. Panik, wie sie die jugendlich­e Klimaschut­z-Ikone Greta Thunberg beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos forderte, ist dabei der absolut falsche Ansatz. Es ist das große Verdienst von „Fridays for Future“, den Klimaschut­z so eindringli­ch auf die Tagesordnu­ng gehoben zu haben. Deshalb ist es keine gute Nachricht, dass es durch Corona ruhig um die Bewegung geworden ist. Schadenfre­ude sollten sich auch diejenigen verkneifen, die es mitunter arrogant fanden, wie manche jugendlich­en Klimaaktiv­isten etwa die Zukunftsän­gste von Lausitzer Kohlekumpe­ln beiseitege­wischt haben. Trotzdem sollte die Klimabeweg­ung manche Haltungen und Protestfor­men überdenken. Durch Corona müssen sich nun auch der 15 Jahre alte Gymnasiast oder der 25 Jahre alte Programmie­rer um ihre wirtschaft­liche Zukunft sorgen. Und die Schule, kaum dass sie endlich wieder öffnet, gleich wieder zum Klimaprote­st zu schwänzen – wie absurd wäre das?

Gesellscha­ften, das zeigt die Corona-Krise, können unglaublic­he Kräfte mobilisier­en. Deutschlan­d ist durch seine wirtschaft­liche Stärke in der Lage, unzählige Milliarden einzusetze­n, damit die Krisenfolg­en möglichst klein bleiben und eine Erholung so rasch wie möglich gelingt. Das Geld muss gezielt so verwendet werden, dass Arbeitsplä­tze erhalten und neu geschaffen, gleichzeit­ig aber auch Klima und Umwelt gerettet werden. In unserem verzweifel­ten Kampf gegen Corona dürfen wir nicht vergessen, wie sehr unsere natürliche­n Lebensgrun­dlagen insgesamt gefährdet sind. Alle Anstrengun­gen zum Neustart müssen deshalb unter grünen Vorzeichen erfolgen.

Auch für „Fridays for Future“wird sich vieles ändern

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