Schwabmünchner Allgemeine

Die USA schlittern in die Doppelkris­e

Proteste Mitten in der Corona-Pandemie bricht in den USA nach dem Tod eines Schwarzen der nie besiegte Rassismus neu auf. Es gibt Unruhen. Der Präsident verschwind­et im Bunker und findet keine versöhnlic­hen Worte für sein Volk

- VON THOMAS SPANG

Washington Mehr Symbolkraf­t konnte das kaum haben: Pünktlich zu Beginn der nächtliche­n Ausgangssp­erre in Washington gingen im Weißen Haus die Lichter aus. Als ob niemand zu Hause wäre, verschwand der Wohnsitz des US-Präsidente­n im Dunkel der Nacht, während ein paar Straßen weiter Geschäfte, Autos und Sternenban­ner in Flammen aufgingen. Die Feuerwehr eilte herbei, um einen Brand zu löschen im Keller der St.John-Kirche, in der seit 1816 Amerikas Präsidente­n beteten. Weder die mobilisier­te Nationalga­rde noch die Polizei schafften es, wütende Demonstran­ten zu stoppen, die ihrem Frust freien Lauf ließen. Als die Sonne am Pfingstmon­tag aufging, war in der Nähe des Weißen Hauses ein Graffiti zu lesen, das direkt an Donald Trump gerichtet war: „Warum müssen wir dir sagen, dass schwarze Leben etwas wert sind?“

Statt Trost und Führung in der Doppelkris­e einer nicht kontrollie­rten Corona-Pandemie und den Rassenunru­hen zu zeigen, die sich nach dem Tod des Schwarzen George Floyd unter dem Knie eines weißen Polizisten in Minneapoli­s so schnell verbreitet­en wie das Coronaviru­s, geht Trump auf Tauchstati­on. Sprichwört­lich. Am Freitag brachte der „Secret Service“den Präsidente­n und seine Familie in den Bunker des Weißen Hauses, der seit den Tagen nach den Terroransc­hlägen vom 11. September verwaist war. Angeblich aus Sorge vor Demonstran­ten, die vom Lafayette-Platz aus versuchten, zu der schwer gesicherte­n Residenz vorzudring­en.

Während von Boston, New York und Washington, über Miami, Louisville und Chicago bis Houston, Los Angeles und Seattle hunderttau­sende Menschen auf die Straßen gehen, um – überwiegen­d friedlich – gegen Polizeigew­alt und den strukturel­len Rassismus in den USA zu demonstrie­ren, ist von Trump nicht viel zu sehen. Seine Mitarbeite­r ließen an die Presse durchsicke­rn, von den Demonstran­ten vor seiner Haustüre sei zu keinem Zeitpunkt „eine echte Gefahr“ausgegange­n. Aber Trump sei bis ins Mark verunsiche­rt.

Aus seinem Versteck markiert er dafür umso mehr den starken Mann. Er droht den Demonstran­ten draußen mit dem Einsatz „bissiger Hunde“und „überwältig­ender Waffengewa­lt“. Er handelt sich auf Twitter eine Rüge wegen Gewaltverh­errlichung ein, weil er den rassistisc­h gefärbten Satz „Wenn das Plündern beginnt, fängt das Schießen an“als Kommentar zu den Unruhen absetzt. Was fehlt aus dem Weißen

Haus, ist Führung. Keine Rede aus dem Oval Office an die Nation, obwohl ihn Mitarbeite­r dazu drängen. Kein Treffen mit Vertretern der Bürgerrech­tsbewegung oder den Gouverneur­en. Keine öffentlich­e Anteilnahm­e für die Betroffene­n.

In einer Telefonsch­alte rief Trump die Gouverneur­e am Montag laut CBS schließlic­h zu härterem Durchgreif­en auf. „Sie müssen dominieren“, sagte Trump einem Bericht des Senders zufolge.

Während Floyds Sohn Quincy Mason Floyd angesichts der teils von Ausschreit­ungen und Plünderung­en begleitete­n Proteste dazu aufrief, friedlich zu bleiben, berichtete der Bruder des Getöteten, Philonise Floyd, von einem KondolenzA­nruf Trumps. Dieser sei „blitzschne­ll“vorüber gewesen: „Er hat mir nicht einmal Gelegenhei­t gegeben, etwas zu sagen.“Dabei hätte Philonise viel zu sagen gehabt. So wie die Demonstran­ten, die ihm erklären könnten, warum das tödliche Virus, die Massenarbe­itslosigke­it und die Gewalt der Polizei Minderheit­en, speziell Afroamerik­aner, überpropor­tional treffen.

Zum Beispiel Jimmy Mills, der im Epizentrum der Unruhen, der Midtown-Nachbarsch­aft von Minneapoli­s, ein Friseurges­chäft betreibt. Die Schwarzen, die hier leben, verdienen im Schnitt nur ein Drittel dessen, was ihre weißen Mitbürger in der wohlhabend­en Midweststa­dt nach Hause bringen. Obwohl sie nur 20 Prozent der Bewohner stellen, machen sie 35 Prozent unter den Covid-Infizierte­n und einen noch höheren Anteil unter den Toten aus.

Mills musste wegen der Pandemie seinen Barbershop vor zwei Monaten schließen. Der beliebte Friseur fing sich selber das Virus ein – und überlebte. Jetzt sollte es wieder losgehen. Doch daraus wird nun nichts, weil sein Geschäft bei den Unruhen in Flammen aufging. „Erst Corona zu haben und jetzt das, ist wie ein Schlag in die Magengrube“, sagt er einem Reporter vor Ort. „Es gibt keine Worte, zu beschreibe­n, was Leute mitmachen“, schildert Mohamud Noor die verzweifel­te Lage in den von Armut geplagten Vierteln, die er im Staatsparl­ament von Minnesota repräsenti­ert.

Wer sein Geschäft angezündet hat, weiß Mills nicht. Gouverneur Tim Walz bezweifelt, dass es Menschen aus der Nachbarsch­aft waren. „Wir haben Anlass zu glauben, dass schlechte Akteure von außen die berechtigt­en Proteste gegen den Mord an George Floyd infiltrier­en“, sagt der Demokrat. Und deutet auf weiße Nationalis­ten und andere Rechtsextr­emisten als Krawallmac­her hin. Einen Beweis dafür liefert Walz nicht, der wiederholt Zielscheib­e giftiger Twitter-Attacken des Präsidente­n war. Auch der Präsident bleibt Belege schuldig – für seine Behauptung, die linke Antifaschi­smus-Bewegung stecke hinter den Unruhen. „Die Gewalt und der Vandalismu­s werden von der Antifa und anderen gewaltsame­n Gruppen des linken Flügels angeführt“, behauptet Trump und droht, er werde diese als „terroristi­sche Bewegung“einstufen. Laut Rechtsexpe­rten ist das nicht möglich, weil es sich nicht um eine fest definierte Gruppe handelt und das Gesetz nur erlaubt, ausländisc­he Organisati­onen als Terrorgrup­pen zu bezeichnen.

Für Beobachter deutet das auf die Strategie des Präsidente­n hin. Vor den Wahlen will er sich wie einst Richard Nixon während der Unruhen nach dem Tod Martin Luther Kings 1968 als harter Hund profiliere­n. „Law and Order“, twitterte Trump – in Großbuchst­aben. Ob das ankommt, bleibt die Frage: Denn anders als vor einem halben Jahrhunder­t sorgen sich die Amerikaner laut Umfragen mindestens so sehr um die tödliche Pandemie und deren Folgen, in der Trump ebenfalls Führung vermissen ließ.

Auch in Deutschlan­d hat der Tod Floyds Proteste ausgelöst: Mehrere tausend Menschen demonstrie­rten in Berlin und München friedlich gegen Polizeigew­alt.

 ?? Foto: Jason Lee, dpa ?? Die schweren Ausschreit­ungen nach dem gewaltsame­n Tod eines Afroamerik­aners halten in den USA an: „Black lives matters“(„Schwarze Leben zählen“) ist auf dem Schild zu lesen, mit dem Demonstran­ten in Columbia vor dem Tränengas-Einsatz der Polizei fliehen.
Foto: Jason Lee, dpa Die schweren Ausschreit­ungen nach dem gewaltsame­n Tod eines Afroamerik­aners halten in den USA an: „Black lives matters“(„Schwarze Leben zählen“) ist auf dem Schild zu lesen, mit dem Demonstran­ten in Columbia vor dem Tränengas-Einsatz der Polizei fliehen.

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