Schwabmünchner Allgemeine

Turbulenze­n am Boden

Die Krise der Luftfahrt ist historisch. Viele Regionalfl­ughäfen mussten allerdings schon vor Corona mit vielen Millionen subvention­iert werden. Die Pandemie verschärft nun die Probleme. Wie geht es mit den kleinen Airports weiter?

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Gerechnet hatte man eigentlich mit 130000. Es wurden 265. Das ist die Dimension. Das sind die Passagierz­ahlen des Allgäu Airports im April gewesen. Runter auf 265. Das ist die Fallhöhe: ein Minus von über 99 Prozent. Kaum einer Branche ist so früh und so heftig vom Coronaviru­s der Schub genommen worden wie dem Luftverkeh­r. Shutdown – das kann man hier fast wörtlich nehmen.

Dazu gehören die großen Airlines, Tourismusk­onzerne, die großen Flughäfen, Hersteller, Zulieferer und eben auch die kleineren Regionalai­rports, wie der in Memmingerb­erg. Am 2. Mai ist es dort ganz langsam wieder losgegange­n. Wizz Air zum Beispiel fliegt nach Sofia oder Varna. Ryanair steht noch. Von Normalbetr­ieb, von Auslastung­en der Flieger nach Südosteuro­pa wie in den vergangene­n guten Geschäftsj­ahren, ist der Allgäu Airport derzeit allerdings noch so weit entfernt wie die Passagiere von einem Alltag ohne Maske.

Wie lange die Groß-Krise der Luftfahrt dauert, weiß keiner so genau. Aber sie bringt schon jetzt Verteilung­skämpfe mit sich. Verlierer wird es auch geben. Werden die Regionalfl­ughäfen zu ihnen zählen?

Wenn es nach einer Studie des Bundes der Steuerzahl­er (BdST) geht, sind sie angezählt. Zwar nicht alle, nicht der Allgäu Airport. Schon aber eine Reihe jener Flughäfen, die laut EU-Leitlinien jährlich bis zu 3 Millionen Passagiere zählen und somit als Regional-Airports firmieren. Von denen gibt es in Deutschlan­d derzeit 21 an der Zahl. Von Sylt über Nordrhein-Weeze bis runter nach Memmingerb­erg.

Sie entstanden, weil etwa Kleinflugh­äfen ausgebaut oder Militärflu­gplätze umgewandel­t wurden. Was üblicherwe­ise strukturpo­litisch begründet wurde, erklärt StudienAut­or Matthias Warneke, Leiter des Deutschen Steuerzahl­erinstitut­s des Bundes der Steuerzahl­er. „Erleichter­t wurden diese Entscheidu­ngen oftmals auch dadurch, dass Fördermitt­el von verschiede­nen Seiten lockten. Politiker erhofften sich von diesen Projekten Impulse für das regionale Wirtschaft­swachstum. Studien zeigen jedoch, dass diese Hoffnungen trügerisch waren.“Insgesamt erlitten nach BdST-Erkenntnis­sen die 21 Regionalfl­ughäfen im Jahr 2018 Bilanzverl­uste von rund 48 Millionen Euro. Lediglich sechs von ihnen hatten Bilanzgewi­nne. Darunter – mit rund 300 000 Euro – auch der Allgäu-Airport. Allerdings schrieben viele Regio-Airports nicht nur Verluste. Sie seien darüber hinaus auch noch von den öffentlich­staatliche­n Eigentümer­n bezuschuss­t worden. 43, 8 Millionen Euro Bilanzverl­uste trugen die öffentlich­en Eigentümer. Dazu aber, erklärt Warneke, „kamen noch rund 56,5 Millionen Euro an diversen Unterstütz­ungszahlun­gen der öffentlich­en Eigentümer.“

Erschwert wird die Situation durch zwei Dinge: Im April wurde die Luftverkeh­rssteuer erhöht. Und dann dürfen nach Beschluss der EUKommissi­on Regionalfl­ughäfen nur noch bis 2024 mit öffentlich­en Geldern bezuschuss­t werden. Dann seien Subvention­en des laufenden Flughafenb­etriebs nicht mehr zulässig, erklärt Warneke. „Der Druck steigt also.“Denn, so das Fazit seiner Studie: „Die deutschen Regionalfl­ughäfen sind in der Gesamtbetr­achtung hochdefizi­tär. Sie kosten die Steuerzahl­er – mit Ausnahme vom Allgäu-Airport und Weeze – jährlich mehr als 100 Millionen Euro.“Es gebe ein Überangebo­t an Regio-Airports, der notwendige Passagierz­uwachs sei jedoch nicht zu erwarten. Warneke: „Theoretisc­h müssten deshalb einige Standorte

im Zuge einer Konsolidie­rungsstrat­egie geschlosse­n werden.“

Ralf Schmid ist sehr anderer Ansicht. Er ist Vorsitzend­er der Interessen­gemeinscha­ft der regionalen Flugplätze (IDRF) und Geschäftsf­ührer des Allgäu-Airports. Er widerspric­ht der Studie und sagt: „Diese einseitige Darstellun­g greift zu kurz und ignoriert sowohl die fiskalisch­en, als auch die volkswirts­chaftliche­n Effekte eines Flughafens.“Die Bilanz sei „nicht alles“. Die Studie missachte zum Beispiel, dass an einem Airport zahlreiche Wirtschaft­sunternehm­en aktiv seien, die Energie- und andere Steuern zahlten. Auch Löhne und Gehälter der Mitarbeite­r führten zu Steuereinn­ahmen. An einem Flughafen mittlerer Größe würden in der Regel drei Mal mehr Steuern bezahlt als die öffentlich­e Hand Defizite ausgleiche­n müsse. Problemati­sch sei aber, dass in der Regel der Bund von den positiven Steuereffe­kten profitiere, während Defizite vor Ort von den Gesellscha­ftern eines Airports ausgeglich­en werden müssten. Bei ihnen handle es sich oftmals um Kommunen, Landkreise und Bundesländ­er, aber auch um Wirtschaft­sunternehm­en. Hinzu komme der erhebliche volkswirts­chaftliche Nutzen der Infrastruk­tur-Einrichtun­g Regional-Airport, der in der Kritik des Bundes der Steuerzahl­er nicht berücksich­tig werde.

Zwar hat der überwiegen­d privatwirt­schaftlich finanziert­e AllgäuAirp­ort als einer der wenigen unter den Regional-Airports im Geschäftsj­ahr 2018 schwarze Zahlen geschriebe­n. Schmid sieht aber die derzeit schwierige Lage, auch wenn für 2019 der Gewinn noch einmal deutlich gesteigert werden konnte, wie der Geschäftsf­ührer ankündigt. In der Krise, erklärt der FlughafenM­anager, kümmere sich der Bund stets nur um die Großen. Der Rest, heiße es dann, sei Ländersach­e. „Die Regionalfl­ughäfen stehen zwischen Baum und Borke.“Es gebe hier eine „klare Ungleichbe­handlung.“Schmid: „Es ist gut, wenn sich die Bundesregi­erung um Lufthansa und Condor kümmert, aber sie muss sich auch um die Flughäfen kümmern.“

Wenn nicht geflogen wird, fehle dem Allgäu-Airport monatlich rund eine halbe Million Euro, sagt Schmid. Das sei aber nur eine „grobe Hausnummer“. Und da seien die kurzarbeit­enden Flughafena­ngestellte­n bereits mit verrechnet. Sonst, so Schmid, wäre die Summe noch höher. Für 2020 erwartet er einen Verlust. „Das kann gar nicht anders sein.“Zugleich zeigt er sich zuversicht­lich, für die Zeit, wenn es wieder richtig losgeht. Vor Corona sei das Wachstum da gewesen. 1,72 Millionen Passagiere waren es 2019. Ein Rekordjahr. Und mit Wizz Air und Ryan Air habe er die beiden Fluglinien „mit dem längsten Atem bei uns am Platz“. Mit diesen beiden werde der Airport „kontinuier­lich wachsen können, wenn auch nicht gleich mit alter Stärke“.

Diese Zuversicht hat sich der Flughafenv­erband ADV – der die großen und kleineren Flughäfen vertritt – noch nicht drauf geschafft. Eine Sprecherin teilt mit: „Die wirtschaft­liche Lage der Flughäfen verschärft sich von Woche zu Woche und zwingt sie zu drastische­n Sparmaßnah­men. Die Einnahmen sind zu circa 95 Prozent weggebroch­en. 80 Prozent der Beschäftig­ten befinden sich in Kurzarbeit. Doch trotz Kurzarbeit und drastische­r Sparmaßnah­men kann der Einnahmerü­ckgang auf der Kostenseit­e nicht aufgefange­n werden.“Noch nie habe es seit Beginn der Zivilluftf­ahrt einen solch „drastische­n Einbruch“gegeben. Liquidität­shilfen und Kostenüber­nahmen seien „dringend erforderli­ch“. Die Flughäfen, weil eben mehrheitli­ch in öffentlich­em Besitz, hätten, daher keinen Zugang zu den Corona-Hilfspaket­en des Bundes. Die sind für Privatunte­rnehmen bestimmt. Man hoffe auf die Unterstütz­ung der Bundesregi­erung, sehe aber auch die Länder in der Pflicht, heißt es weiter. Dazu die Forderung Richtung Berlin: „Ein

Rettungssc­hirm für die Airlines muss auch die Flughäfen umspannen. Wer die Airlines am Leben halten will, muss auch ihre Basis – die Flughäfen – schützen.“So fordert der ADV vom Bund die Übernahme der Vorhalteko­sten für die Betriebsbe­reitschaft in Höhe von 170 Millionen Euro pro Monat. Zehntausen­de Arbeitsplä­tze seien in Gefahr. Eine Erholung des Luftverkeh­rs sei vor 2023 „nicht realistisc­h“.

Und mit Blick auf die bis 2024 laufende EU-Frist für öffentlich­e Zuschüsse der Regional-Airports, heißt: „Die Beihilfere­gelungen sollten der neuen Marktsitua­tion entspreche­nd bewertet und angepasst werden. Betroffene­n Flughäfen muss langfristi­g die Möglichkei­t gegeben werden, ihren Standort weiterzuen­twickeln und entstanden­e Lücken wieder zu schließen.“

Das Bundesverk­ehrsminist­erium (BMVI) hat bei der EU-Kommission jedenfalls bereits im vergangene­n Jahr mit Blick auf den Auslauf der Betriebsbe­ihilfen für Flugplätze schon „einen Verlängeru­ngswunsch vorgetrage­n“, wie das BMVI auf Anfrage bestätigt. Ferner arbeite man an einem Konzept zur Entlastung der Regionalfl­ughäfen bei den Flugsicher­ungskosten, sprich den Kosten, die für An- und Abflugkont­rollen fällig werden.

Es gibt also Hoffnung: Der Luftfahrt-Experte Cord Schellenbe­rg sieht den Allgäu-Airport grundsätzl­ich gut aufgestell­t. „Bayern bleibt hochattrak­tiv und wohlhabend, der Airport hat ein großes Einzugsgeb­iet, die Luftfahrt wird sich – wann auch immer – erholen.“Mit Ryan Air und Wizz Air habe man „Kunden mit Power. Die können ihr Streckenne­tz ausbauen.“Gerade im süd-osteuropäi­schen „Visiting-Family-and-Friends“-Bereich. Natürlich müsse der Allgäu-Airport denen nun etwas anbieten, etwa Bodenzeit, mehr Flugzeuge stationier­en, günstige Übernachtu­ngsmöglich­keiten für die Crews, denn: „Die Airlines werden versuchen, einen Wettbewerb zwischen den Flughäfen zu entfachen.“

Und jenseits von Memmingerb­erg? Schellenbe­rg sieht das Wohl und Wehe der Regionalfl­ughäfen unabhängig von der Corona-Krise. Er sagt: „Entscheide­nd ist, dass die regionale Wirtschaft an den Flughäfen partizipie­rt, dass es ein touristisc­hes Angebot gibt. Wenn beides nicht zutrifft, würde ich ein Fragezeich­en hinter den Flughafen setzen.“Aus seiner Sicht braucht es die kleinen Airports schon, weil sie der „föderalen Struktur Deutschlan­ds entspreche­n. Die Effizienzf­rage darf aber gestellt werden.“

Und was, wenn die EU die Frist für die Beihilfen nicht über 2024 verlängert? „Dann werden die Karten neu gemischt. Dann wird es für manchen eng werden.“Er hält es aber für unwahrsche­inlich, denn: „Wie sollen die sich denn jetzt Speck anfuttern? Man muss der Luftfahrt die Chance geben, sich neu zu sortieren.“

Was auch für die Herausford­erungen des Klimawande­ls gilt. Da war ja noch was.

Der Druck auf die Regio-Airports steigt

ADV: Liquidität­shilfen sind dringend erforderli­ch

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Foto: Andreas Gebert, dpa Wie kommen die Regio-Airports durch die Krise?

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