Schwabmünchner Allgemeine

Eine Aktion, die mehr wert ist als drei Punkte

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Jeder Fußballer kennt Rassismus: als Opfer, Täter oder Zeuge. Die meisten Mannschaft­en bilden sich aus Spielern verschiede­ner Nationalit­äten. Wer auf dem Feld nicht das Wort „Kanake“gehört hat, muss schwerhöri­g sein. Ähnliche Erfahrunge­n werden Weston McKennie, Achraf Hakimi, Marcus Thuram und Jadon Sancho gemacht haben. Wenn sie nun also gegen Rassismus protestier­en, ist das nicht nur vorbildlic­hes gesellscha­ftliches Engagement, sondern besonders authentisc­h.

Die Aktionen der Bundesliga­stars haben eine viel größere Reichweite als jeder noch so wohlfeil formuliert­e Leitartike­l in der Tageszeitu­ng oder ein flammender Kommentar in den „Tagestheme­n“. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Spieler richtig gehandelt haben. Die Mär vom unpolitisc­hen Sport ist seit langer Zeit auserzählt. Zu oft hat sich die Politik der Athletinne­n und Athleten bemächtigt. Zu oft mussten die Sportlerin­nen und Sportler den Mächtigen als Feigenblat­t dienen.

Zumal die Bekenntnis­se der Fußballer nicht einmal politisch waren. Rassismus ist keine politische Einstellun­g. Rassismus ist eine anerzogene Abart menschlich­en Seins. Sich dagegen zu äußern, sollte nicht nur toleriert, sondern gefördert werden. In diesem Sinne ist es nur positiv, wenn sich Oliver Kahn im „Aktuellen Sportstudi­o“öffentlich wünschte „dass Spieler durchaus mehr solche Verantwort­ung übernehmen. Wir alle wissen, welche Wirkung sie haben, gerade nach außen. Natürlich ist das eine Situation, die nicht erlaubt ist. Trotzdem denke ich, dass die Spieler mündig sein sollten, ihre Meinung zu gesellscha­ftlichen Themen kundzutun.“

Je weitgefass­ter der gesellscha­ftliche Konsens, desto größer die Chance, dem Rassismus seinen Nährboden zu entziehen. Als Katalysato­r könnte sich dabei erweisen, wenn sich auch jene Spieler äußerten, die aufgrund ihrer Hautfarbe privilegie­rt sind. Die Stars der Szene nutzen ihre Popularitä­t gerne, um sich gewinnbrin­gend zu vermarkten. Das ist ihr gutes Recht. Sie dürfen aber auch gerne davon Gebrauch machen, sich für jene einzusetze­n, die Vorurteile­n und Gewalt ausgesetzt sind.

Diese Fähigkeit ist nicht jedem gegeben. So wie sich auch nicht jeder Fliesenleg­er oder Literaturw­issenschaf­tler aktiv gegen Rassismus einsetzt. Wer aber für andere einsteht, verdient Respekt. Der ist mehr wert als drei Punkte auf irgendeine­m Fußballpla­tz.

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Foto: Witters Jadon Sancho setzte mit seinem Shirt ein Zeichen gegen Rassismus.
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