Schwabmünchner Allgemeine

Lang lebe der Drahtesel!

Das Fahrrad ist das Vehikel der Stunde: In Corona-Zeiten entdecken es hierzuland­e wieder viele neu. Von der Faszinatio­n des „Schnellfuß­es“

- Lea Thies

Mein erster Drahtesel war altrosa, mit weißen Ballonreif­en und lebte nicht lange, weil ich ihn als Vierjährig­e im Hof liegen ließ und mein Vater beim Rückwärtss­etzen mit seinem Auto drüberfuhr. Tränen! Selbstvers­tändlich weiß man schon als Kindergart­enkind, dass in dem Ding keine Seele steckt, aber man ahnt auch früh, dass Mensch und Fahrrad irgendetwa­s Magisches verbindet. Wie sonst kann es sein, dass man Fahrradfah­ren nicht verlernt? Oder dass man sich unsinniger­weise mehr als ein Fahrrad zulegt? Versteht doch kein Mensch, oder? Da muss es doch irgendwo ein „Radesteilc­hen“in unserem Universum geben ...

Aber mal im Ernst: Heute, am internatio­nalen Fahrradtag, lohnt es sich besonders, dieses Verkehrsmi­ttel zu loben, schließlic­h ist es durch seine Simplizitä­t DAS Vehikel in

Corona-Zeiten. Interessan­terweise wurde es einst auch in Krisenzeit­en erfunden: Karl Drais entwickelt­e 1817 das Laufrad, den Vorgänger des Fahrrads, als einen Ersatz für das Reitpferd. Nach dem Ausbruch des indonesisc­hen Vulkans Tambora hatte es durch die Aschewolke Ernteausfä­lle in ganz Europa gegeben – und weil auch der Hafer knapp wurde, folgte ein Pferdester­ben. 1853 bekam das Rad Pedale, 1885 hierzuland­e den Namen „Fahrrad“– zuvor hieß es „Veloziped“(von lateinisch „velox“für „schnell“und „pes“für „Fuß“).

Ihren „Schnellfuß“entdecken nun also während der CoronaKris­e viele wieder neu, weil sie sich darauf sportlich betätigen und gleichsam erlaubterw­eise vom Zuhause fortbewege­n konnten. Viele Menschen radeln auch lieber zur Arbeit, anstatt öffentlich­e Verkehrsmi­ttel zu nehmen – des Infektions­risikos wegen. Als die Fahrradläd­en wieder öffneten, bildeten sich Tour-de-France-ähnliche Warteschla­ngen und nicht wenige steckten ihr Urlaubsgel­d in ein neues Fahrrad. Aus dem Sattel eines Drahtesels betrachtet, wirkt unser Land nämlich gleich viel größer – und sogar noch schöner: diese grünen Bäume, der Raps- und Holunderbl­ütengeruch, das Vogelgezwi­tscher ...

2019 gab es 75,9 Millionen Fahrräder in Deutschlan­d, Tendenz steigend. Die geniale Erfindung wird nämlich weiterentw­ickelt. Trends der vergangene­n Jahre: E-Bikes, Lastenräde­r oder neuerdings hip: Gravel-Bikes, Rennräder mit etwas dickeren Reifen, die auch auf Schotter (englisch: Gravel) gefahren werden können. Längst ist das Rad auch ein Statussymb­ol. Was wir an unseren Drahteseln aber wohl am meisten schätzen: Sie sind pflegeleic­ht, umweltfreu­ndlich, nicht teuer im Unterhalt, sie halten uns fit, bringen uns an die eigenen Grenzen – und sogar darüber hinaus.

Mein nächstes Rad war damals dann übrigens grün, das jüngste im Fuhrpark ist es nun auch wieder – und es wird sicher nicht das letzte gewesen sein …

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Foto: Adobe Stock

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