Schwabmünchner Allgemeine

Das Zoom-Semester

Während Kitas und Schulen langsam wieder öffnen, lehren Universitä­ten und Hochschule­n weiter online. Wie die Zwangsdigi­talisierun­g läuft und wo es Probleme gibt

- VON FABIAN HUBER

München Für gut zwanzig Studenten der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) in München wäre es das Highlight ihres Studiums gewesen: Ostern, New York, National Model United Nations – die größte Simulation der Vereinten Nationen, bei der die Arbeit der Organisati­on nachgestel­lt wird. Ein halbes Jahr Vorbereitu­ng, ein Moment für die Ewigkeit. Doch die US-Metropole ist im Corona-Strudel versunken. Das Prestigeev­ent der Politikwis­senschaft: abgesagt. Im nächsten Jahr darf eine neue Gruppe auf pandemiefr­eie Zeiten hoffen. „Das ist nicht wiedergutz­umachen“, sagt Berthold Rittberger, Professor für Internatio­nale Politik an der LMU.

Die Bildungsel­ite im Würgegriff eines Virus – während Kitas und Schulen im Freistaat langsam wieder öffnen, loggen sich täglich die meisten der gut 400 000 bayerische­n Studenten in das Videoporta­l Zoom ein. Statt auf knarzigen Klappstühl­en findet die Vorlesung seit Wochen im digitalen Raum statt. Präsenzver­anstaltung­en sind weitestgeh­end abgeschaff­t. Darauf haben sich die bayerische­n Hochschule­n mit der Staatsregi­erung geeinigt. Das Sommerseme­ster ist ein Zoomsemest­er, die Hörsäle sind verwaist, die Studentenk­neipen ohnehin zu. Und Stefan Metz, 28, sitzt zu Hause im hessischen Limburg, statt an der Katholisch­en Universitä­t in Eichstätt zu pauken. „Ungewöhnli­ch“, findet er. Das Studentenl­eben falle weg. „Ich bin effiziente­r. Aber lebendig ist die Lehre natürlich nicht“, sagt der Masterstud­ent.

Es ist ein Tenor, der derzeit bei vielen mitschwing­t. Ein fortwähren­des Läuft-ganz-gut-aber. Matthias Schmidt, Professor für Humangeogr­afie an der Universitä­t Augsburg, würde lieber mehr Gestein und weniger Bildschirm­e sehen. Doch die Reisen, die seine Studenten schon nach Zentralasi­en oder Ghana führten, „sind erst mal verschoben. Wir sind gerade dabei, virtuelle Exkursione­n zu erstellen. Aber das ist ja auch widersinni­g.“Rittberger von der LMU erzählt aus dem Homeoffice: „Natürlich fehlt der persönlich­e Kontakt.“

In Regensburg, wo die Bibliothek mittlerwei­le wieder teilgeöffn­et hat und Kunst-und Natur wissen schafts studenten in Klein gruppen in ihre Praxisräum­e dürfen, sagt Universitä­tspräsiden­t Professor Udo Hebel: „Das digitale Semester läuft sehr gut.“Dann kommt das Aber: „Universitä­ten leben von Vielfalt, von Begegnunge­n, vom Leben auf dem Campus. Das ist im Moment natürlich sehr schwierig.“

Gut 32000 deutsche Studenten gingen im Jahr 2017 nach Angaben des Deutschen Akademisch­en Austauschd­iensts allein über das europäisch­e Förderprog­ramm Erasmus ins Ausland. Jetzt, wo sich Unis weltweit im Lockdown befinden, hört man von jungen Erwachsene­n die verrücktes­ten Geschichte­n.

Von Amelie in Stockholm, Studium in Produktdes­ign, die nicht mehr in die Werkstätte­n ihrer Uni kann. Von Max, den Eltern einer Kommiliton­in in einer Nacht- und Nebelaktio­n aus dem dänischen Odense zurück nach Deutschlan­d karrten. Von Theologies­tudent Janes in Costa Rica, der trotz Onlinekurs­en in Mittelamer­ika blieb und schreibt: „Wieso abbrechen? Ist doch schön hier.“Vom angehenden Wirtschaft­singenieur, dem sein Pflichtpra­ktikum bei VW in Bratislava einfach gekündigt wurde. Von der Rom-Studentin, deren Studienkol­legen Angehörige betrauern; von den letzten Flügen aus Danzig, Istanbul oder New Jersey zurück nach Deutschlan­d, bevor Regierunge­n ihre Grenzen schlossen.

Ein Semester im Ausland macht sich gut im Lebenslauf und verspricht Abenteuer pur vor dem Ernst des Lebens. Nun brechen Tausende ihren Aufenthalt ab oder treten ihre Reise gar nicht erst an. Auch Stefan Metz, der Eichstätte­r Student, wird seinen bereits zugesagten Platz in Washington D.C. im Herbst wohl nur online füllen können. Politikkur­s um Mitternach­t, Studieren in Zeiten von Corona.

Davor rollt bereits das nächste Problem auf Bayerns Unis zu: Die Prüfungsph­ase im Juli kündigt sich an, obwohl noch nicht alle Klausuren aus dem Vorsemeste­r nachgeholt worden sind. Es stellt sich die Platzfrage: Bei einem Mindestabs­tand von 1,5 Metern müsste ein Mastersemi­nar in einen Hörsaal ziehen und die Einführung­svorlesung in eine Messehalle. Geografiep­rofessor Schmidt spricht von einem „riesigen, ungelösten Problem“– auch im Hinblick auf eine mögliche Öffnung der Präsenzleh­re, wie sie derzeit im bayerische­n Wissenscha­ftsministe­rium geprüft wird.

Bleiben Onlineprüf­ungen als Lösung. Erste Gehversuch­e an der Münchner LMU bezeichnet Professor Rittberger als positiv. Die Uni Regensburg hat nun eine Taskforce Prüfungen. Ein analoges Bildungssy­stem steht vor modernen Fragen: Wie etwa verhindert man Schummelei­en, ohne Grundrecht­e einzuschrä­nken? „Es gibt absurde Geschichte­n: Dass eine zweite Kamera angebracht und der Raum ausgeleuch­tet werden muss“, berichtet Professor Schmidt aus Augsburg. Gleichzeit­ig sind sich alle einig: Die Zwangsdigi­talisierun­g kann ein positiver Schub sein, eine gute Ergänzung für die Zukunft, wenn Studenten wieder verkatert im Audimax sitzen.

Aber wann ist Uni wieder Uni? Die Regierung selbst will keine Prognose abgeben. Aber es kann wohl noch dauern. „Ich glaube, dass die digitale Lehre auch noch im Winter einen hohen Stellenwer­t haben wird“, sagt Hochschull­eiter Hebel. Schmidts Institut in Augsburg plant das kommende Semester vorerst digital. Auch Rittberger an der LMU rechnet damit. Hinter den Kulissen stellt man sich auf ein weiteres Halbjahr mit Zoom ein.

Das nächste Problem rollt auf Bayerns Unis zu

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Statt auf Klappstühl­en im Hörsaal finden die Vorlesunge­n in bayerische­n Universitä­ten und Hochschule­n derzeit im digitalen Raum statt. Die Studenten lernen vor allem über das Videoporta­l Zoom.

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