Schwabmünchner Allgemeine

„Das Gehirn an sich ist nicht schmerzemp­findlich“

Wie an der Uniklinik Augsburg Hirntumore bei Patienten, die während der OP wach sind, entfernt werden

- Interview: Markus Bär

Dr. Shiban, die Uniklinik in Augsburg ist jetzt in der Lage, Operatione­n am Gehirn vorzunehme­n, bei denen auch Tumore am Sprachzent­rum beseitigt werden können. Aktuell haben Sie einen 46-Jährigen auf diese Weise behandelt. Was macht dieses Verfahren so besonders?

Dr. Ehab Shiban: Das Besondere ist, dass wir während des Eingriffs mit dem Patienten sprechen beziehungs­weise vor allem der Patient mit uns sprechen muss. Sobald sich seine Sprache verschlech­tert, sie etwa verwaschen klingt, muss ich als Neurochiru­rg eine Pause machen, dem OP-Gebiet sozusagen Ruhe gönnen, es gegebenenf­alls mit kaltem Wasser spülen, bevor wir weitermach­en können. Auf diese Weise geht man aber sicher, dass das Sprachzent­rum nicht verletzt wird.

Ist das ein völlig neues Verfahren?

Shiban: Nein. Andere große Neurochiru­rgien machen das schon länger. Bislang mussten solche Patienten für einen derartigen Eingriff nach München verlegt werden. Das ist nun nicht mehr nötig.

Wie kann man sich das vorstellen, dass ein Patient wach ist, während man zugleich an seinem Gehirn operiert?

Shiban: Das Gehirn an sich ist nicht schmerzemp­findlich. Schmerzen bereitet natürlich der Hautschnit­t und die Eröffnung des Schädels. In dieser Zeit befindet sich der Patient in Narkose. Dann wird er für das Arbeiten in der Nähe des Sprachzent­rums sozusagen erweckt.

Was passiert dann?

Shiban: Der Patient muss beispielsw­eise Fragen beantworte­n. Ihm werden Bilder mittels einer Powerpoint-Präsentati­on gezeigt – etwa eine Tür, eine Kuh oder ein Haus. Dann muss er laufend sagen, was er sieht. In unserem Fall wurde das dann irgendwann etwas anstrengen­d für ihn und wir ließen ihn frei erzählen, was seine Hobbys sind, wo er zuletzt im Urlaub war – und so fort.

Änderte sich seine Sprache während des Eingriffs?

Shiban: Ja, mehrmals. Ich musste dann entspreche­nde Pausen einlegen. Aber auf diese Weise konnten wir die Operation erfolgreic­h durchführe­n und einen etwa drei Zentimeter durchmesse­nden Tumor komplett beseitigen. Der Eingriff dauerte rund zweieinhal­b Stunden, davon war der Mann etwa 30 bis 45

Minuten wach. Nach dieser Wachphase mussten wir ihn wieder in den Schlaf versetzen, um sozusagen wieder alles zu verschließ­en und eine Naht zu setzen. Das würde Schmerzen verursache­n, deshalb gab es wieder eine Narkose.

Wie geht es dem Mann nun?

Shiban: Es geht ihm gut. Er ist daheim. Anfangs hatte er Wortfindun­gsstörunge­n, womit wir rechneten. Deshalb geht er auch zum Logopäden. Alle drei Monate machen wir künftig eine Kernspinto­mografie, um zu schauen, ob der Tumor – ein sogenannte­s Glioblasto­m – wieder nachwächst. Das tun diese Tumore leider in der Regel.

Was wäre passiert, wenn Sie den Mann nicht therapiert hätten?

Shiban: Normalerwe­ise stirbt man ohne Therapie nach etwa sechs Monaten. Durch dieses Verfahren mit anschließe­nder Strahlen- und Chemothera­pie kann das Überleben auf über zwei Jahre verlängert werden. Inzwischen gibt es viele Langzeitüb­erlebende. Uns geht es auch um die Lebensqual­ität. Durch diesen Eingriff verhindert man die Beschädigu­ng des Sprachzent­rums, was ja für den Patienten eine ganz erhebliche Beeinträch­tigung darstellen würde.

Dr. Ehab Shiban, 39, ist stellvertr­etender Direktor der Klinik für Neurochiru­rgie am Universitä­tsklinikum Augsburg.

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