Schwabmünchner Allgemeine

Auftritt des Herausford­erers

Joe Biden ist für viele Amerikaner die letzte Hoffnung. Schlägt nun seine Stunde?

- VON THOMAS SPANG

Washington Mit ruhiger Hand nimmt der 77-Jährige die Schutzmask­e vom Gesicht. Vor einem Meer von Sternenban­nern blickt er entschloss­en in die Kamera. „Ich kann nicht atmen“, sagt er, wiederholt den Satz und erinnert daran, dass dies die letzten Worte George Floyds waren. „Sie schallen wie ein Echo überall in der Nation zurück.“Dann schlägt Joe Biden eine assoziativ­e Brücke zwischen dem Coronaviru­s, das den Opfern die Luft nimmt, und der Pandemie des Hasses, die das Leben eines schwarzen Mannes unter dem Knie eines weißen Polizisten beendete.

„Ich kann nicht atmen“sei das, was Millionen Amerikaner nicht in ihren letzten Momenten des Lebens, sondern in ihrem Alltag erleben. Es sei Zeit, auf sie zu hören. Die Kommentato­ren sind sich einig. So klingen die Worte eines Führers, der die Nation angesichts einer historisch beispiello­sen Doppelkris­e tröstet, aufbaut und führt. „Wir brauchen keinen Präsidents­chaftswahl­kampf, sondern einen Präsidente­n“, bringt Chris Truax im Massenblat­t USA

Today die Erwartung an Biden auf den Punkt. Donald Trump sei nicht nur abwesend, sondern gieße Öl ins Feuer. „Das Vakuum muss gefüllt werden.“Diese Erkenntnis dämmert auch im Beraterkre­is des designiert­en Präsidents­chaftskand­idaten der Demokraten, der sich auf die 1911 Delegierte­nstimmen zubewegt, die er für seine offizielle Nominierun­g braucht. Eine Formalie, da sein Konkurrent Bernie Sanders längst ausgeschie­den ist und Biden unterstütz­t.

„Ein Führer muss Risiken eingehen“, sagt Senator Chris Coons aus Bidens Heimatstaa­t Delaware. Coons wünscht sich, mehr von Biden in der Öffentlich­keit zu sehen. „Ich wäre nicht überrascht, wenn er nach Minneapoli­s ginge.“Sicher ist, dass Biden auf Einladung der Familie am Dienstag nach Houston reisen wird, um an der Beerdigung George Floyds teilzunehm­en. Eine unübersehb­are Geste, die einen Kontrast zu dem Amtsinhabe­r schafft, der damit droht, das Militär gegen Amerikaner einzusetze­n, die grundlegen­de Veränderun­gen verlangen. In den vergangene­n Tagen tauchte der aufgrund seines Alters der Corona-Risikogrup­pe angehörend­e Biden vorsichtig aus der Quarantäne auf. Und wandte sich aus Philadelph­ia an die Nation – am selben Ort übrigens, an dem Barack Obama seine historisch­e Rede über das Rassenverh­ältnis hielt. Doch mit Reden allein ist es vor allem für die jungen Aktivisten nicht getan. Sie erwarten mehr. Jetzt sei es an ihm, dem schwarzen Amerika in der Doppelkris­e aus Pandemie und Polizeigew­alt zu helfen. Bidens Strategen erkennen, dass er sich in diesem Moment nicht als Präsident des Übergangs verkaufen kann, sondern als einer, der grundlegen­de Reformen anbietet. Nicht weniger als das erwarten junge Amerikaner, die Biden bisher nicht genügend angesproch­en hat. Angela Lang, die eine Gruppe schwarzer Aktivisten in Milwaukee anführt, meint, die bisher vorgelegte­n Ideen seien „ein Beginn“, aber bei weitem nicht genug. „Er muss konkreter werden.“

Biden nimmt sich das zu Herzen. „Genug“, fasst er nun auf seiner Webseite die Stimmung auf der Straße zusammen. Und auch in seiner Rede von Philadelph­ia wird „Onkel Joe“direkter. „Ein Präsident der Vereinigte­n Staaten muss Teil der Lösung sein, nicht das Problem“, schreibt er Trump ins Stammbuch. „Heute ist unser Präsident ein Teil des Problems.“

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Foto: dpa

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