Schwabmünchner Allgemeine

Der Streit um die Fischerei

Warum es zwischen London und Brüssel so schwierig ist

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Hoffnungen für die Zukunft waren groß unter jenen Fischern, die allabendli­ch mit ihren Schleppern in den Hafen von Ilfracombe tuckern. Während die Sonne hinter dem Kliff verschwind­et, entladen sie den Fang des Tages, Körbe voller Wellhornsc­hnecken und Hummer. Hier, an der südwesteng­lischen Nordküste, stimmten die Fischer 2016 voller Leidenscha­ft für den Austritt Großbritan­niens aus der EU – so wie der überwältig­ende Großteil ihrer Kollegen im Rest des Landes. Endlich, so der Wunsch, würden die verhassten Fangquoten aus Brüssel abgeschaff­t. Endlich würden sie wieder die Kontrolle über ihre Gewässer erhalten. Vier Jahre später herrscht Ernüchteru­ng.

„Es ist eine Schande“, schimpft einer der Männer in Gummistief­eln über die Verhandlun­gen zum Freihandel­sabkommen zwischen der EU und dem Vereinigte­n Königreich. Die vierte und vorerst letzte Gesprächsr­unde diese Woche zwischen EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier und dessen Kollege in London, David Frost, hat kaum Fortschrit­te erzielt. Neben den Themen der gleichen Wettbewerb­sbedingung­en und den Regeln zum Brexit gilt just der Fischfang als größte Hürde: Jener Sektor, der nur 0,04 Prozent des britischen Bruttoinla­ndsprodukt­s ausmacht und selbst mit Verarbeitu­ng nur 0,1 Prozent zur Wirtschaft­sleistung beiträgt, ist zwar kaum von Bedeutung. Die Finanzindu­strie kommt auf mehr als sieben Prozent.

Kaum Bedeutung, große Spengkraft

Doch die Fischereib­ranche besitzt Symbolkraf­t – für beide Seiten. Und somit politische Sprengkraf­t.

Es ist kein Zufall, dass Premiermin­ister Boris Johnson im Wahlkampf mit einem eingeschwe­ißten Fisch herumwedel­te und gerne den Geist der Seefahrern­ation eines unabhängig­en Staats beschwört. Oder dass 2018 tagelang der „Jakobsmusc­hel-Krieg“tobte. Damals eskalierte der Streit um die Fischgründ­e im Ärmelkanal zwischen britischen und französisc­hen Fischern.

In den Verhandlun­gen fordert die EU weiterhin gesicherte­n Zugang zu britischen Gewässern und damit im Grunde den Status quo. London dagegen will die Fangquoten jährlich neu verhandeln – und senken. Können sich die beiden Seiten bei dem heiklen wie komplexen Thema annähern? „Das Königreich hat sehr wenig, was die EU will, doch der Zugang zu den Fischgründ­en gehört dazu“, sagt der Handelsexp­erte und Ex-Regierungs­berater David Henig. Deshalb sei er die „stärkste Karte“der Briten im Poker. Wie in London ist die Fisch-Lobby auch in Brüssel groß. Trawler aus Frankreich, Belgien, Dänemark und den Niederland­en wollen weiterhin in britischen Revieren kreuzen dürfen. Auch aus Deutschlan­d kommt Druck: Denn die Heringe und Makrelen, die hauptsächl­ich aus englischen Gewässern gezogen werden, sind für den Export in die EU bestimmt. Dasselbe gilt für Meerestier­e oder Lachs aus Schottland. Mehr als 70 Prozent des britischen Fangs werden in die EU ausgeführt.

Umgekehrt ist der Lieblingsf­isch nicht in ausreichen­der Quantität in der Heimat zu finden. Ergo: „Wir brauchen Zugang zu europäisch­en Gewässern“, so Henig. Wenn Brexit-Anhänger regelmäßig voller Stolz auf das britische Leibgerich­t Fish & Chips verweisen, vergessen sie, dass der Kabeljau und Schellfisc­h hierfür vor allem vom Kontinent auf die Insel importiert wird. Und damit Zöllen und Kontrollen unterliege­n würde, sollte es keine Einigung geben.

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