Wiens Bürgermeister wird zum KurzRivalen
Im Blitztempo formt Ludwig (SPÖ) Koalition mit Liberalen in der Hauptstadt
Wien Das Wiener Rathaus und das Bundeskanzleramt sind nur wenige hundert Meter von einander entfernt. Doch tatsächlich trennen sie Welten. Im Kanzleramt regiert seit Jahresbeginn ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit den Grünen. Im Rathaus hat SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig das Sagen. Er kehrt den Wiener Grünen nach zehn Jahren den Rücken und wird fortan mit den pinken Neos koalieren, eine AchtProzent-Kleinpartei.
Ein Wagnis? Nein, „Fortschrittskoaliton“nennen Ludwig und sein Neos-Partner Christoph Wiederkehr ihr Bündnis. Am 24. November wird sie vereidigt – als erste sozialliberale Koalition seit den 1980er Jahren in Österreich. Damals auf Bundesebene, jetzt in der Hauptstadt.
Bürgermeister Ludwig avanciert auf diese Weise auch als Gegenspieler von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Im Bund ist die SPÖ unter ihrer glücklosen Frontfrau Pamela Rendi-Wagner eine schwache Opposition. Ludwig, der im Oktober einen fulminanten Sieg bei den Gemeinderatswahlen eingefahren hat, ist jetzt der starke Mann in der Sozialdemokratie. Zusammen mit den wirtschaftsliberalen Neos, bei denen sich viele frühere ÖVP-Abgeordnete tummeln, die allesamt Kurz zutiefst ablehnen, rückt Ludwig in die politische Mitte und kann der Volkspartei bei künftigen Wahlen durchaus bürgerliche Stimmen abspenstig machen.
Kurzfristig wird vor allem der Ton zwischen dem Bund und Wien noch rauer werden. Mit dem Rauswurf der Grünen aus seiner Stadtregierung kappt Ludwig die letzte Verbindung zur Bundesregierung. Inhaltlich liegen zudem viele zentrale Bereiche der Pandemie-Bekämpfung – wie Schulen, Kliniken oder Altenheime – in der Kompetenz der Bundesländer. Ohne das dominante Wien, das rechtlich gesehen immer Stadt und Land zugleich ist, geht also wenig voran. Ludwigs scharfzüngiger Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ist hier an vorderster Front tätig. Es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht verbale Giftpfeile Richtung Kanzleramt abschießt.
Bei der Präsentation von RotPink strahlte Ludwig über das ganze Gesicht. Nur 18 Verhandlungstage und schon war er sich mit seinem neuen Juniorpartner einig. Und damit sogar einen Tag früher als geplant: Denn wegen des zweiten harten Lockdowns in Österreich – für den wiederum Kanzler Kurz verantwortlich ist – musste eine ExtraVerhandlungsrunde am Sonntag eingeschoben werden. Und so konnte die Grundsatzeinigung bereits am Montag verkündet werden.
Auch inhaltlich ging es erstaunlich leicht. Ein paar Zugeständnisse an die Neos in Sachen Transparenz und Kontrolle der Stadtregierung und viel grüner Inhalt – klimaneutral bis 2040, ein vervierfachtes Budget für Radwege – und schon war sich Rot-Pink handelseins.
Nicht durchsetzen konnten sich die Neos mit ihren Forderungen nach Privatisierungen und der Sonntagsöffnung. Aber sie kommen auch nur auf acht Sitze im Wiener Gemeinderat. Die SPÖ ist dort mit 48 Mandataren die alles dominierende Kraft.
Als historische Parallele zu seiner neuen Regierung nannte Ludwig vor der Presse die erste deutsche sozialliberale Koalition von Willy Brandt und Walter Scheel von 1969. Dabei hätte der Rote auch in Österreich Vergleichbares gefunden: Im Bund regierte zwischen 1983 und 1986 eine Koalition zwischen der SPÖ und der damals in Teilen liberalen FPÖ. Diese rot-blaue Regierung wurde im Volksmund als die „Kleine Koalition“bezeichnet. Sie wurde nach nur drei Jahren von einem gewissen Jörg Haider von weit rechts weggeputscht.
Für die Pinken ist der Einzug in die Wiener Stadtregierung ihr mit Abstand größter Erfolg. Sie haben bislang nur in Salzburg mitregiert und erreichten bei Wahlen noch nie ein zweistelliges Ergebnis. Eine rotpinke Bundesregierung ist kaum in Sicht: Bei der Nationalratswahl 2019 kamen SPÖ und Neos zusammen auf nicht einmal 30 Prozent.