WirecardGläubiger fordern 12 Milliarden Euro
Einst war die Firma der Star an der Börse, jetzt kratzt der Insolvenzverwalter die Reste zusammen. Auf der Gläubigerversammlung stellen die Geschädigten ihre Forderungen. Worauf sie hoffen können
München Im Löwenbräukeller am Münchner Stiglmaierplatz servieren die Bedienungen normalerweise Haxe und Krustenbraten, dazu bayerisches Bier. Herzstück des Kellers ist der große Festsaal für bis zu 2000 Menschen. Aufgrund des Herunterfahrens der Wirtschaft in der Corona-Epidemie ruht aber der Betrieb. Und so gibt es Platz genug, dass das Münchner Amtsgericht dort die ersten Gläubigerversammlungen zur Insolvenz des Münchner Zahlungsdienstleisters Wirecard abhalten konnte – unter Einhaltung großer Infektionsschutz-Abstände. Zu feiern gab es nichts. Die Gläubiger dürften nach dem bisherigen Stand auf einem großen Teil ihrer Forderungen sitzen bleiben.
Wie viele Geschädigte gibt es in der Wirecard-Insolvenz und wie hoch ist der Schaden?
Der Fall Wirecard ragt in der deutschen Wirtschaftsgeschichte heraus. Das Unternehmen stieg als anfangs kleiner Zahlungsdienstleister für Sportwetten- und Erotikseiten bis in den Dax auf. Nachdem herauskam, dass rund 1,9 Milliarden Euro an Vermögen in den Bilanzen nicht existierten, rauschte das Unternehmen im Juni in die Insolvenz. In München meldeten nun rund 11 500 Gläubiger ihre Ansprüche an, berichtete das Amtsgericht München. Es erschienen aber nur 74 Personen vor Ort, da sich viele Gläubiger zum Beispiel durch Anwälte vertreten ließen. Die angemeldeten Insolvenzforderungen belaufen sich auf 12,43 Milliarden Euro – ein gewaltiger Betrag.
Wer sind die Gläubiger?
Unter den Geschädigten befinden sich Banken, Investoren und Geschäftspartner. Eine Gruppe von 15 Kreditinstituten – darunter die Commerzbank oder die niederländische ING – hatte Wirecard allein 1,6 Milliarden Euro an Kredit gewährt. Insolvenzverwalter Michael Jaffé stieß in den Wirecard-Büchern auf Forderungen von 3,2 Milliarden Euro. Daneben haben sehr viele Aktionäre und Kleinaktionäre Forderungen eingereicht, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Bei einer normalen Insolvenz haben Aktionäre zwar als Eigenkapitalgeber keinen Anspruch auf eine Ausschüttung. Da sie hier aber Opfer eines Betrugs sein könnten, gelte der Sonderfall, dass sie ihre Ansprüche bei Insolvenzverwalter Jaffé anmelden konnten, berichten die Aktionärsschützer. Viele Aktionäre haben dies genutzt. So ist die hohe Summe der Forderungen von knapp 12,5 Milliarden Euro zu erklären.
Auf wie viel Geld könnten die Gläubiger hoffen?
Insolvenzverwalter Jaffé hatte bei Wirecard leer geräumte Konten vorgefunden. Es war anfangs nicht einmal Geld da, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Aus Verkäufen von Unternehmensteilen und Technologie hat Jaffé bisher rund 500 Millionen Euro erlöst, heißt es in Finanzkreisen. Weitere Verkäufe seien geplant. Die Summe kann sich auch durch Haftungsansprüche und eingeklagtes Geld in den kommenden Jahren noch spürbar erhöhen, berichten Experten. Trotzdem gilt es als ausgeschlossen, dass Jaffé den gesamten Schaden ausgleichen kann. „Für viele Aktionäre ist der Fall Wirecard eine Katastrophe“, sagte Aktionärsschützer Kurz. „Mit Glück erhält man einen Prozentsatz heraus, es wird aber nur ein Bruchteil des Kursverlustes sein.“Im weiteren Insolvenzverfahren wird geprüft werden, ob die Aktionäre wirklich anspruchsberechtigt sind – und auch, ob die Höhe ihrer individuell gemeldeten Ansprüche plausibel ist.
Die spanische Bank Santander übernimmt einen Teil des Geschäftes.
Was bedeutet dies für Wirecard-Kunden?
Santander hat sich mit Insolvenzverwalter Jaffé geeinigt, wichtige Technologie und rund 500 Mitarbeiter von Wirecard zu übernehmen. Stimmen die Behörden zu, soll die Transaktion bis Jahresende abgeschlossen sein. Wirecard-Kunden in Europa könnten damit weiter auf die Dienstleistungen setzen: „Bis zum Closing werden Wirecard und Santander gemeinsam daran arbeiten, in dieser Phase einen reibungslosen Übergang für die derzeitigen Kunden, Lieferanten und Partner zu gewährleisten“, berichtet die Bank.
Was passiert derzeit mit den früheren Wirecard-Managern?
Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun sitzt wegen Betrugsverdachts seit Sommer in Gablingen in Untersuchungshaft. Er soll am Donnerstag vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen. Braun hat sich gewehrt, dort persönlich zu erscheinen. Stattdessen wollte der Österreicher per Video Auskunft geben – er berief sich auch auf die Corona-Epidemie. Der Untersuchungsausschuss will dies nicht akzeptieren. Ex-Manager Jan Marsalek ist noch immer flüchtig.