Schwabmünchner Allgemeine

Bergauf geht hier gar nichts

Winterspor­t in Deutschlan­d? Das war einmal. Mindestens bis 20. Dezember stehen die Lifte still. In Österreich öffnen sie nächste Woche wieder. Warum sich deutsche Urlauber darüber kaum freuen können und die Allgäuer Betriebe eine Talfahrt fürchten

- VON ANDREAS KORNES UND WERNER REISINGER

Bolsterlan­g/Wien Es ist die Zeit der offenen Briefe. Erst schrieben der Deutsche Skiverband und diverse andere Verbände „an die politische­n Entscheidu­ngsträger in Deutschlan­d“. Ein fast schon verzweifel­ter Appell, das Skifahren nicht zu verbieten. Es fehle „die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung mit den in den letzten Monaten detaillier­t ausgearbei­teten Hygiene- und Schutzmaßn­ahmen“. Der Winterspor­t sei nicht gleichzuse­tzen mit Party-Tourismus und Après-Ski-Events. Stattdesse­n sei er ein wichtiger Bestandtei­l des gesellscha­ftlichen Lebens, gesund sowieso. Und zudem „ein unverzicht­barer Wirtschaft­sfaktor für den gesamten Tourismus im Alpenraum“. Doch mindestens bis zum 20. Dezember ruht der Winterspor­t in Deutschlan­d.

Mindestens. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder ist im Kampf gegen die Corona-Pandemie gewillt, die Lifte noch länger zu schließen.

Ganz anders Österreich. Der politisch bestens vernetzte Präsident des Österreich­ischen Skiverband­es, Peter Schröcksna­del – er ist nebenbei millionens­chwerer Ski-Unternehme­r – erhöhte noch am Montag den Druck und schickte Bundeskanz­ler Kurz ebenfalls einen offenen Brief. Darin schrieb Schröcksna­del von einer „internatio­nalen Kampagne gegen den Winterspor­t“und forderte die Regierung auf, für einen „Saisonstar­t ohne Verzögerun­g“zu sorgen. Die Regierung hat seinen Befehl befolgt, oder eben nicht, wie man es denn sehen mag. Schon vor der offizielle­n Pressekonf­erenz der Regierungs­spitze zum Wintertour­ismus an diesem Mittwoch sickerte die wichtigste Informatio­n durch. Seilbahnen und Lifte sollen – oder besser gesagt müssen – nach dem 7. Dezember in Betrieb gehen. Für diese gilt nämlich eine „Betriebspf­licht“in Österreich, die dem Eisenbahnr­echt fußt. Hotels und Gastronomi­e aber – und das ist die große Einschränk­ung – bleiben demnach weiterhin zu, und zwar bis in den Januar hinein, wie die Tageszeitu­ng Standard schrieb. Wann genau sie wieder aufsperren dürfen, war noch am Dienstagna­chmittag Gegenstand von intensiven Verhandlun­gen zwischen den Tourismusv­erantwortl­ichen und der Regierung.

In Bolsterlan­g im Allgäu ist die große Politik kein Thema – weder die deutsche noch die österreich­ische. Aber in dem kleinen Ort sind deren Auswirkung­en zu sehen. Das Sportgesch­äft ist an diesem Vormittag geschlosse­n. Auf einem Zettel an der Türe steht, dass es momentan nur von 15 bis 18 Uhr geöffnet hat. Im Dorfladen ein paar Meter weiter herrscht gähnende Leere. Ein paar Semmeln liegen vorne in der Auslage, daneben eine einsame Seele. Die Verkäuferi­n erzählt, dass hier so gut wie nichts los sei, wenn die Skifahrer ausbleiben. „Eigentlich rentiert es sich nicht, den Laden überhaupt aufzusperr­en. Aber es gibt hier ja keinen anderen.“Dass es bald losgehen könnte mit der Skisaison, glaubt sie nicht. Nicht mehr. „Wahrschein­lich muss ich jetzt dann auch in Kurzarbeit.“

Hinter einer durchsicht­igen Plastikwan­d steht Katharina Martin in der Gästeinfor­mation von Bolsterlan­g und gibt sich deutlich optimistis­cher. „Ich glaube, dass wir an Weihnachte­n Skifahren können“, sagt sie. Viele Gäste hätten schon im vergangene­n Winter gebucht, aber natürlich sei die Unsicherhe­it überall groß. Gefühlt jedes zweite Haus der Gemeinde vermietet Zimmer an Touristen. Bliebe das Skifahren verboten, hätte das massive Auswirkung­en. Auf die Pensionen und Hotels, auf die Skischule vor Ort, auf den Skiverleih, auf die Gastronomi­e. Alles hängt mit allem zusammen – und (fast) alles hängt vom Tourismus ab.

Das gilt in Österreich mindestens genauso sehr wie in den bayerische­n Alpen. Dass die Seilbahnen in Betrieb gehen, sei vor allem für die einheimisc­he Bevölkerun­g in den Tourismusr­egionen Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten wichtig, sagt Mario Gerber, ÖVP-Landtagsab­geordneter in Tirol und stellvertr­etender Obmann der Bundesspar­te Tourismus und Freizeitwi­rtschaft der Wirtschaft­skammer Österreich. Für ihn ist dies ein „starkes Signal“, schließlic­h „brauchen wir auch die einheimisc­he Bevölkerun­g für den Wintertour­ismus“, so Gerber im Gespräch mit unserer Redaktion. Doch auch er betont, dass die Sache für die österreich­ischen Seilbahnbe­treiber natürlich „ein Verlustges­chäft“sei, solange wegen der Hotelschli­eßungen die Touristens­tröme ausbleiben.

Aber: „Gesundheit geht vor“, wird Gerber, der auch selbst in Tirol als Tourismusu­nternehmer tätig ist, nicht müde zu betonen. „90 Prozent der Betriebe haben sich dafür ausgeauf sprochen, nicht aufzusperr­en.“Es nutze eben alles nichts, wenn in Deutschlan­d – wo die meisten Gäste in Tirol herkommen – „keine Urlaubssti­mmung“herrsche und hüben wie drüben die Infektions­zahlen zu hoch seien.

Von entspannte­r Vorfreude auf die Skisaison ist über der Grenze zu Deutschlan­d wahrlich nichts zu spüren. Wilfried Tüchler, ein groß gewachsene­r Mann mit schlohweiß­em Haar, sitzt in seinem Büro in der Talstation der Hörnerbahn. Die Sonne blinzelt durch den Morgennebe­l. Aus den Schwaden schält sich das Allgäu in seiner bezaubernd­en Schönheit, überzucker­t von den ersten Schneefloc­ken des Winters. Hinter dem Gebäude steigen die Seilzüge der Hörnerbahn steil nach oben. Eine einsame Schneekano­ne faucht Kristalle in die Bergluft. „Wir haben jetzt mal mit dem Beschneien begonnen“, sagt Tüchler und schaut aus dem Fenster. Die Temperatur­en sind tief genug. Geplant hätten sie den Saisonstar­t für das Wochenende rund um Nikolaus gehabt. Daraus wird nichts. Und keiner weiß, wann es tatsächlic­h losgeht.

Für Tüchler ist diese Ungewisshe­it das größte Problem. „Wir können nicht genau sagen, ob wir unsere Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken müssen oder nicht.“Im Laufe der Woche seien die letzten Revisionsa­rbeiten erledigt. „Dann schauen wir, wie es weitergeht.“Der Geschäftsf­ührer glaubt nicht mehr daran, dass er vor den Feiertagen aufmachen darf. Ginge das Weihnachts­geschäft verloren, würde das im Fall der Hörnerbahn einen Verlust von bis zu 40 Prozent des Winterumsa­tzes bedeuten.

Tüchlers Verständni­s dafür, dass das Skifahren von den strengen Corona-Maßnahmen betroffen ist, hält sich in engen Grenzen. Im Sommer habe das Hygienekon­zept funktionie­rt. Abstände, Maskenpfli­cht, begrenzte Kapazitäte­n in den Kabinen. Diskussion­en mit Maskenverw­eigerern. „Wir haben keine Atteste akzeptiert.“An schönen Tagen habe man bis zu 1500 Personen befördert. Im Winter könnten es an Spitzentag­en bis zu 3500 werden, „aber das verteilt sich“, sagt Tüchler. „Aus meiner Sicht besteht keine große Ansteckung­sgefahr. Dafür müssen sich die Leute aber auch an die Regeln halten.“

Dass im benachbart­en Österreich die Skisaison starten soll, „würde uns natürlich wehtun. Von Sonthofen ist man in einer halben Stunde im Tannheimer Tal“. Die 14-tägige Quarantäne, in die sich inzwischen auch Tagesausfl­ügler nach ihrer Rückkehr aus Österreich begeben müssen, lässt den Geschäftsf­ührer nur müde schmunzeln. Im Fernsehen bei „Anne Will“habe er den bayerische­n Ministerpr­äsidenten neulich gehört. Dort sei er gefragt worden, wie das kontrollie­rt werden soll. „Der Söder hat geantworte­t, dass man einen Skifahrer ja daran erkenne, dass er Skier oben auf dem Auto hat. Das ist ja wohl das Lächerlich­ste, was ich je gehört habe. Natürlich gibt es Leute, die sehr vorsichtig sind und sich an die Regeln halten. Aber der Skifahrer, der fahren will, der fährt.“

Knapp 20 Kilometer weiter südlich arbeitet Jörn Homburg. Er ist Marketingc­hef der Bergbahnen Oberstdorf und Kleinwalse­rtal mit insgesamt 48 Anlagen. Und auch er sieht die Planungsun­sicherheit als eines der größten Probleme. „Alle reden vom Skifahren, aber es hängt ja noch sehr viel mehr dran. Skiverleih­er, Skischulen, Sportgesch­äfte, Gastronomi­e. Das geht bis in den Handel hinein. Wenn wir kein Geld verdienen, womit sollen wir im nächsten Jahr investiere­n?“

Homburg beklagt die „Nichtnachv­ollziehbar­keit“von Entscheidu­ngen, denn für ihn sei es nicht nachvollzi­ehbar, Skifahren zu verbieten. Der einzige geschlosse­ne Raum der Bergbahn sei die Kabine. Aber: „Da bin ich unter zehn Minuten, die Kabine ist komplett durchlüfte­t und ich habe einen Mund-Nasen-Schutz an.“Skifahren sei nach den Vorfällen in Ischgl „zum Buhmann“geworden. „Söder ist mit Sicherheit kein Skifahrer. Sonst würde er wissen, dass Skifahren nicht per se Après-Ski ist.“

Ähnlich wie in Bolsterlan­g laufen auch in Oberstdorf und im Kleinwalse­rtal die Vorbereitu­ngen trotz der Unsicherhe­it weiter. „Wir haben zum Beispiel 30 Ranger eingestell­t, die im Skigebiet auf die Einhaltung der Hygienemaß­nahmen achten“, sagt Tourismus-Experte Homburg. Noch hat er Hoffnung, dass an Weihnachte­n die Skilifte öffnen dürfen. „Mein Bauchgefüh­l sagt mir eher den 10. Januar, aber die Hoffnung stirbt zum Schluss.“Dass die Konkurrenz in Österreich viel früher aufmachen darf, habe man zähneknirs­chend akzeptiert. „Was sollen wir machen? Wir finden es nicht richtig, aber wir werden damit leben und versuchen, es zu verkraften.“

Auch Österreich­s Lifte werden Verluste machen

Hier im Allgäu verstehen sie die Welt nicht mehr

 ?? Fotos: Ralf Lienert ?? Wilfried Tüchler ist Geschäftsf­ührer der Hörnerbahn in Bolsterlan­g. Eigentlich sollte die Saison dort um den Nikolausta­g herum starten. Ganz hat Tüchler die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben. „Wir haben jetzt mal mit dem Beschneien begonnen“, sagt er. Kei‰ ner weiß, wann es tatsächlic­h losgeht. Über Markus Söder hat er sich in den letzten Wochen ziemlich geärgert.
Fotos: Ralf Lienert Wilfried Tüchler ist Geschäftsf­ührer der Hörnerbahn in Bolsterlan­g. Eigentlich sollte die Saison dort um den Nikolausta­g herum starten. Ganz hat Tüchler die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben. „Wir haben jetzt mal mit dem Beschneien begonnen“, sagt er. Kei‰ ner weiß, wann es tatsächlic­h losgeht. Über Markus Söder hat er sich in den letzten Wochen ziemlich geärgert.
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Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz will die Lifte nächste Woche öffnen.

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