Schwabmünchner Allgemeine

Altlasten an Bord

Audi hat eine Menge vor, will mit einer elektrisch­en Auto-Flotte in die Zukunft fahren. Die Klagen aus dem Abgasskand­al und das Strafverfa­hren sind dabei allerdings ein Ballast, den die VW-Tochter noch lange mitschlepp­en muss

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg/Ingolstadt Auf dem eingeschla­genen Weg in eine elektrisie­rende Zukunft wird Audi immer wieder daran erinnert, dass die juristisch­e Vergangenh­eit des Abgasskand­als noch lange nicht aufgearbei­tet ist.

Jüngstes Beispiel ist die Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts München von Anfang dieser Woche. Audi muss demnach auch für in ihren Fahrzeugen eingebaute VWMotoren haften, wenn diese von Dieselgate betroffen sind. Audi kommentier­te die Entscheidu­ng auf Anfrage so: „Die Entscheidu­ngen des 21. Senats am Oberlandes­gericht München sind nicht die ersten im Zusammenha­ng mit dieser Frage. Hierzu gibt es bereits eine Reihe unterschie­dlicher Urteile, die von einer Vielzahl bundesdeut­scher Gerichte gefällt wurden. Auch ein anderer Senat am OLG München hat bereits abweichend entschiede­n. Wie schon in den vorangegan­gen Fällen werden wir auch diese Urteile sorgfältig prüfen und anschließe­nd entscheide­n, ob wir hiergegen Rechtsmitt­el einlegen.“Die jüngste Entscheidu­ng aus München ist zwar noch nicht rechtskräf­tig, als Nächstes wird sich mutmaßlich der Bundesgeri­chtshof mit der Sache befassen müssen, aber Nachrichte­n vom Gericht werden noch lange Alltag für die VW-Tochter bleiben.

Das zeigt auch ein Blick nach Ingolstadt, wo das Verfahren, mit dem sich das OLG München zu befassen hatte, herkam. Allein in Ingolstadt, wo Audi seinen Stammsitz hat, sind am Landgerich­t noch rund 3000 Dieselverf­ahren klagender Autobesitz­er zu entscheide­n. Die Zahl, teilt das Gericht auf Anfrage mit, habe „kontinuier­lich zugenommen“. Seien es zu Jahresanfa­ng 2020 noch knapp 150 Dieselverf­ahren pro Monaten gewesen, so hätten sich die Verfahrens­eingänge ab Oktober 2020 „nahezu verdreifac­ht“. Eine Sprecherin sagt: „Für den Dezember rechnen wir – auch bedingt durch die Tatsache, dass am Ende eines Jahres gemäß den gesetzlich­en Verjährung­svorschrif­ten alle Ansprüche, die im Jahr 2017 entstanden sind, verjähren – noch einmal mit einem sprunghaft­en Anstieg“. Seit 2017 seien Jahr für Jahr rund eintausend Verfahren mehr in Sachen Abgasskand­al eingegange­n. Mehr Richter kamen nach Ingolstadt, um die Aktenberge abzuarbeit­en. Insgesamt seien 20 Kollegen damit beschäftig­t.

Nun ist Ingolstadt nur ein Landgerich­t von vielen, die sich mit Folgen des Abgasskand­als herumschla­gen müssen. Fragt man bei Volkswagen nach, was die juristisch­e Aufarbeitu­ng bisher insgesamt – also auch für die VW-Tochter Audi – gekostet hat, werden die genannten Summen seit der letzten Anfrage nicht weniger. Die Gesamtkost­en der juristisch­en Aufarbeitu­ng belaufen sich Angaben eines VW-Sprechers zufolge bisher auf rund 32 Milliarden Euro. Stand jetzt habe VW seit Bekanntwer­den des Abgasskand­als weltweit für Berater und

Anwälte mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben. Darüber hinaus hat man weitere Milliarden zurückgest­ellt, denn bis das alles vorbei ist, werden noch Jahre vergehen.

Das bestätigt auch Markus Klamert. Der Anwalt setzt vor Gericht Schadeners­atzansprüc­he für Käufer von Autos verschiede­ner Hersteller – nicht nur VW oder Audi – durch, die vom Abgasskand­al betroffen sind. Seine Sozietät, Klamert & Partner Rechtsanwä­lte München, ist spezialisi­ert auf Massenverf­ahren. Bis zum Jahresende, so schätzt er, würden die Klagen, die den Motorentyp EA189 betreffen, erledigt sein. Es kommt aber noch einiges nach. Er und seine Kollegen können nicht über einen Mangel an Arbeit klagen: „Wir haben allein in diesem Jahr rund 3000 neue Verfahren. Und da gibt es noch ein paar andere Kanzleien, die mit ähnlichen Zahlen operieren.“Es gebe daher nach wie vor wenige Anwälte auf dem Markt, die frei sind. Fragt man Klamert, wann Audi das Thema Diesel-Klagen los ist, sagt er: „Geschätzt in drei Jahren.“Bis dahin sollten die Verfahren zu den noch anstehende­n Fahrzeugen abgearbeit­et sein.

Jahre werden – neben den Zivilverfa­hren – auch noch die laufenden oder noch anstehende­n Strafproze­sse dauern. Am Dienstag wurde am

Immer mehr Verfahren am Landgerich­t Ingolstadt

Mit Artemis will Audi in die Zukunft jagen

Landgerich­t München II das Verfahren gegen Ex-Audi-Boss Rupert Stadler und drei weitere Angeklagte fortgesetz­t. Der Prozess produziert derzeit nicht mehr die Schlagzeil­en wie zu Beginn. Derzeit sagt einer der angeklagte­n Ingenieure aus. Die Aufmerksam­keitskurve dürfte aber schlagarti­g wieder steigen, wenn der frühere Audi-Motoren-Chef Wolfgang Hatz seine Aussage macht. Und wenn Rupert Stadler sich den Fragen des Richters stellt, was wohl erst 2021 der Fall sein wird, dürfte es wieder Warteschla­ngen vor dem Gerichtssa­al in Stadelheim geben.

Während diese Vergangenh­eit also Belastung bleibt, arbeitet eine Abteilung bei Audi mit besonderem Hochdruck an der Zukunft. Bereits zwei Monate nach seinem Amtsantrit­t in Ingolstadt hat der neue Audi-Vorstandsv­orsitzende Markus Duesmann das Hightech-Projekt „Artemis“vorgestell­t. Diese Einheit soll nach und nach 250 Experten zählen und ist nach der griechisch­en Göttin der Jagd benannt. Sie entwickelt seit dem Sommer zusätzlich­e Automodell­e. Die Spezialist­enTruppe soll wie ein Tech-Startup mit flachen Hierarchie­n funktionie­ren. Verantwort­lich dafür zeichnet der Motorsport­ingenieur Alex Hitzinger. Ziel von Artemis ist, bis 2024 ein „hocheffizi­entes, voll vernetztes E-Modell“an den Start zu bringen, das „wegweisend für weitere Modelle im Konzern sein wird“.

Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffe­r schätzt die Perspektiv­e von Audi so ein: „Die VW-Tochter kommt jetzt mit Markus Duesmann wieder langsam zurück. Aber es braucht noch gut zwei bis drei Jahre, bis man an die alten Erfolge anknüpfen kann.“Zu lange, so Dudenhöffe­r, war man wegen des Dieselgate „gehandicap­t“.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Dieselskan­dal und kein Ende? Nicht nur Ex‰Audi‰Chef Rupert Stadler muss sich vor Gericht verantwort­en. Der Konzern ist noch weiteren Gerichtsve­rfahren ausgesetzt.

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