„Union muss Blockadehaltung endlich aufgeben“
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will die Rechte von Kindern und Verbrauchern stärken. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist Chefsache und der Verzicht auf das Wort Rasse im Grundgesetz „keine Wortklauberei“
Frau Ministerin, vor einem Jahr haben Sie einen Vorschlag zur Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz vorgelegt. Eine Einigung mit der Union steht immer noch aus. Woran liegt es? Lambrecht:
Prüfauftrag zur Einrichtung eines Härtefallfonds für die Opfer von Ärztepfusch, inklusive der Beweislastumkehr. Dürfen Geschädigte hoffen, dass das bis zur Bundestagswahl im September 2021 noch etwas wird? Lambrecht: Bei dem Fonds geht es nicht um Haftungsregeln, sondern um soziale Härtefälle. Dafür ist nicht mein Ministerium zuständig, sondern das Haus von Gesundheitsminister Jens Spahn. Der Prüfauftrag muss dort bearbeitet werden.
Sie wollen das Wort Rasse aus dem Grundgesetz streichen. Gibt es nicht wichtigere Themen? Welcher Begriff soll das Wort Rasse ersetzen? Lambrecht:
Lambrecht: Wir haben in der Bundesregierung den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Chefsache gemacht, nachdem bei den schrecklichen Anschlägen in Halle und Hanau zahlreiche Menschen von Rassisten ermordet wurden. Es war allerhöchste Zeit dafür. Kaum ein Thema bestimmt meine Amtszeit als Justizministerin bisher so wie dieses. Wir haben mit engagierten Initiativen und Experten gesprochen – und vor allem mit Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind. Jetzt haben wir 89 Maßnahmen beschlossen, die wir sehr schnell umsetzen werden. Hierfür nehmen wir zusätzliche 1,1 Milliarden Euro bis 2024 in die Hand. Die Sensibilisierung für Rassismus wollen wir überall stärken, auch in der Justiz – mit mehr Weiterbildungen und mehr Geschichtsbewusstsein schon im Studium. Wir gehen jetzt auch strafrechtlich dagegen vor, wenn Feindeslisten angelegt werden, mit denen Menschen bedroht werden. Diese und weitere Vorschläge für Strafrechtsänderungen werde ich in Kürze vorlegen.
Verbraucherschützer-Chef Klaus Müller verlangt von der Koalition, dass sich lang laufende Verträge, wie zum Beispiel für das Mobiltelefon oder das TV-Abo, nicht mehr automatisch verlängern. Was halten Sie davon? Lambrecht: Da sind Herr Müller und ich einer Meinung. Ich habe einen Gesetzentwurf für faire Verbraucherverträge vorgelegt. Dort ist vorgesehen, dass Kunden bei den Laufzeiten mehr Entscheidungsmöglichkeiten bekommen. Es sollen nicht mehr nur Verträge mit sehr langer Laufzeit angeboten werden, sondern auch transparente Alternativen mit kürzerer Bindung. Und über automatische Verlängerungen soll so rechtzeitig informiert werden, dass der Kunde die Möglichkeit zur Kündigung hat. Außerdem soll es in Zukunft nicht mehr möglich sein, Kunden telefonisch Verträge über Strom und Gas aufzuschwätzen. Hier werden Menschen häufig angerufen und am Telefon überrumpelt. Künftig müssen Verbraucherinnen und Verbraucher schriftlich bestätigen, dass sie den Vertrag wirklich abschließen wollen. Das ist auch im Interesse der Wirtschaft, denn zufriedene Kunden sind treue Kunden. Sie sind für Unternehmen immens wichtig, denn sie leisten dauerhaft einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg. Deswegen verstehe ich den Widerstand von Bundeswirtschaftsminister Altmaier nicht. Das Gesetz muss jetzt endlich ins Parlament kommen.
Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob die Union das ausgeweitete Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen mitträgt. Nun stellt sich die CDU/CSU-Fraktion auf die Hinterbeine. Wie ist der aktuelle Stand? Lambrecht: Der ist ganz klar: Es gibt einen Kabinettsbeschluss, der einen besseren Schutz vor Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen zum Inhalt hat. Das ist ganz wichtig, um Mieterinnen und Mieter in angespannten Wohnungsmärkten vor Verdrängung zu schützen. Genauso wird es im parlamentarischen Verfahren auch beraten werden.
Also hohe Kampfbereitschaft bei Ihnen und Ihrer Partei?
Lambrecht: Absolut. Wir haben das so beschlossen und dafür werden wir als Sozialdemokraten im Parlament kämpfen.
Beim Thema Corona-Impflicht haben Sie sich schon eindeutig positioniert und eine solche ausgeschlossen. Es gibt aber die Angst vor einer Impfpflicht durch die Hintertür. Also beispielsweise, indem Menschen von bestimmten Aktivitäten ausgeschlossen werden, wenn sie nicht geimpft sind. Was sagen Sie zu solchen Befürchtungen? Lambrecht: Ich halte eine breite öffentliche Diskussion darüber für sehr wichtig. Das ist am Ende nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem auch eine ethische Frage, die wir sehr gründlich abwägen müssen. Bisher gibt es nach meiner Kenntnis allerdings noch keine fundierten Erkenntnisse darüber, ob und in welchem Maße eine Impfung nicht nur die geimpfte Person vor einem Ausbruch der Krankheit schützt, sondern auch andere Personen vor einer Ansteckung. Dies ist aber Voraussetzung für alle weiteren Überlegungen. Davon unabhängig müssen wir intensiv über die Chancen und Risiken einer Impfung sprechen, damit jede und jeder Einzelne für sich gut informierte Entscheidungen treffen kann. Natürlich ist damit die Hoffnung verbunden, dass sich viele Menschen für eine Impfung entscheiden, um sich selbst und auch andere dadurch zu schützen. Dabei muss klar sein: Die Impfung soll auf freiwilliger Basis erfolgen.
Christine Lambrecht, 55, stammt aus Mannheim und studierte Jura in Mannheim und Mainz. 1998 zog sie für die SPD in den Bundestag ein. Seit Juni 2019 ist sie Ministerin für Jus tiz und Verbraucherschutz. Bei der Wahl 2021 tritt sie nicht mehr an.