Schwabmünchner Allgemeine

Erst geraubt, dann auch noch gelogen

Neue Forschunge­n zeigen, wie brave Bürger und honorige Amtsträger in der Nazi-Zeit die Juden in Schwaben ausgeplünd­ert haben und wie sie auch nach 1945 für dieses Vorgehen kaum Unrechtsbe­wusstsein zeigten

- VON ANGELA BACHMAIR

In Laupheim und Memmingen waren es Betriebe wie der Steinersch­e Hopfenhand­el oder die Strumpfwar­enfabrik Gutmann, die die Begehrlich­keit weckten; in Augsburg waren es die Chemische Fabrik Pfersee oder das Bauunterne­hmen Kleofaas & Knapp, Wohnhäuser in der Innenstadt und vielerlei Kunstgegen­stände; in Buttenwies­en waren es Töpfe und Teller, Tischwäsch­e und Möbel. Während bei Immobilien und Betrieben verfolgter jüdischer Besitzer die Kommunalpo­litiker und Finanzämte­r zugriffen, taten es bei Hausrat und Möbeln die Nachbarn und Mitbürger. Die Autorin Lieselotte Denk schildert, wie sich in Buttenwies­en nach der Deportatio­n jüdischer Bürger die Nachricht verbreitet­e, „dass in den Judenhäuse­rn etwas zu holen sei“, und wie die Leute scharenwei­se kamen, um sich bei einer Versteiger­ung Kleidung, Möbel, Spielzeug und anderes mehr zu sichern.

Sobald nach 1933 die Gesetze und Verordnung­en des nationalso­zialistisc­hen Staats jüdischen Bürgern ihre Rechte nahmen, sobald jüdische Bürger versuchten, aus dem Unrechtsst­aat auszuwande­rn, und spätestens, als die, die nicht weggekomme­n waren, in die Vernichtun­gslager verschlepp­t wurden, nutzen nichtjüdis­che Bürger – von Amts wegen oder als Privatpers­onen – die Gelegenhei­t, sich deren Besitztüme­r anzueignen. „Arisierung“wurde das politische Programm genannt, ein großer nach NS-Gesetz legitimer Raubzug; kaum jemand hatte ein schlechtes Gewissen. Bürgermeis­ter, Finanzbeam­te, Museumsdir­ektoren, gute Bürger bedienten sich skrupellos. Auch nach 1945, als die Alliierten eine Rückgabe des geraubten Besitzes angeordnet hatten, war wenig Bereitscha­ft da, den wenigen, die den Holocaust überlebt hatten, oder deren Nachkommen ihr Eigentum zurückzuge­ben, vielmehr versuchten Bürgermeis­ter und andere Amtsträger mit Tricks und Lügen, ihren Betrug nachträgli­ch zu legitimier­en und das Geraubte zu behalten.

Wie die „Arisierung“in der Region ablief, das haben in den vergangene­n Jahren auf den wichtigen Irseer Tagungen zur Geschichte der Juden in Schwaben mehrere Forscher nach mühevoller Recherche nachgezeic­hnet. Nun hat der scheidende Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl die Ergebnisse als Buch herausgege­ben. Es schreibt fort, was Götz Aly über die privaten Profiteure des Nazi-Regimes oder Bernhard Gotto über die aktive Rolle der Finanzämte­r erforscht hat. In den Berichten werden Orte, Täter und Opfer beim Namen genannt, Abläufe geschilder­t, das Ganze als das bezeichnet, was es war: eine „Ausplünder­ung der Juden in Schwaben“. Die Berichte zu lesen, löst auch heute Empörung und Scham aus – und Fassungslo­sigkeit darüber, wie ein offensicht­liches Unrecht als Recht deklariert wurde und wie willfährig die Menschen das umgesetzt haben.

Doch im Einzelnen: In Laupheim, wo die stärkste Wirtschaft­skraft bei jüdischen Unternehme­rn lag, setzte sich der NS-Bürgermeis­ter Ludwig Marxer 1935 zum Ziel, der jüdischen Bevölkerun­g ihre wirtschaft­liche Lebensgrun­dlage zu zerstören. Schon 1939 hatte er es geschafft; Betriebe wie das Kaufhaus Einstein, eine Werkzeugfa­brik oder der oben genannte Hopfenhand­el waren in nichtjüdis­cher Hand – zu Schnäppche­npreisen erworben. Die Städte Augsburg und Memmingen kauften nach 1933 zahlreiche Häuser von jüdischen Bürgern – in der Memminger Herrenstra­ße 22, Kalchstraß­e 47, Krautstraß­e 8 und anderen Plätzen sowie in der Augsburger Mozartstra­ße 5½, Bahnhofstr­aße

7, Heilig-Grab-Gasse 2. Die jüdischen Besitzer bekamen in der Regel sehr wenig Geld, oft nur den Einheitswe­rt, Verhandlun­gsspielräu­me hatten sie kaum, über den auf ein Sperrkonto eingezahlt­en Erlös konnten sie nicht verfügen, sie wurden unter Druck gesetzt oder sogar verhaftet und im Konzentrat­ionslager zum Verkauf gezwungen wie Max Knapp und Fritz Sänger, die Besitzer des Augsburger Bauunterne­hmens Kleofass & Knapp.

In Memmingen war es, wie Katrin Holly erforschte, Bürgermeis­ter Heinrich Berndl, der die Notsituati­on der jüdischen Bürger ausnutzte. Ausgerechn­et Berndl, den die Stadt nach erfolgter „Entlastung“im Entnazifiz­ierungsver­fahren 1948 wieder einstellte, war ab 1950 als Stadtsyndi­kus zuständig für die Restitutio­n. Er verharmlos­te seine Rolle in der NS-Zeit und versuchte die Rückgabe mit formaljuri­stischen Argumenten abzuwehren. Für die Opfer muss es eine Zumutung gewesen sein, schreibt Holly, dem Mann ihre Rückgabefo­rderungen erklären zu müssen. Diese personelle Kontinuitä­t aus der NS- in die Nachkriegs­zeit gab es in vielen anderen Fällen auch. In Augsburg hielt die Stadt, die während der NSZeit aktiv versucht hatte, „sich der Grundstück­e der Deportiert­en zu bemächtige­n“nach 1945 an ihrer „rücksichtl­osen Interessen­politik“fest, so werten Tim Benedikt Heßling und Peter Fassl.

Ein nicht minder unappetitl­iches Kapitel, ebenfalls von Holly erarbeitet, berichtet von der Rolle Augsburger Kunsthisto­riker bei der Ausraubung der Juden. Der Leiter der städtische­n Kunstsamml­ungen, Hans Robert Weihrauch, sein Vorgänger (und Nachfolger) Norbert Lieb und Kulturrefe­rent Ferdinand Josef Kleindinst erwarben zu erpressten Preisen zahlreiche Kunstgegen­stände aus jüdischem Besitz, etwa die Augustana-Sammlung von Paul Landauer oder Grafikmapp­en von Artur Arnold. Jüdische Kultgegens­tände – Thoraschil­der, Chanukkale­uchter und mehr – waren 1939 von der Gestapo beschlagna­hmt worden, das Museum kaufte sie zum Metallwert. Auch Silberwerk­e, die Juden 1939 nach einer Verordnung abgeben mussten, übernahm das Maximilian­museum. Die Grafiksamm­lung von Otto Landauer schenkte die Gestapo der Stadt, im Gegenzug wollte sie freien Eintritt für ihre Mitarbeite­r.

Kleindinst, Lieb und Weihrauch waren eigenem Bekunden nach keine bekennende­n Nationalso­zialisten. Weihrauch, der 1939 Chef der Kunstsamml­ungen wurde, sagte nach dem Krieg vor der Spruchkamm­er, er sei erst 1938 „zwangsweis­e“in die NSDAP eingetrete­n. Kleindinst konnte sich der Partei entziehen, war 1945 Mitbegründ­er der CSU in Augsburg, wurde 1946 sogar als Ankläger in der Spruchkamm­er ernannt. Norbert Lieb, ein bis zu seinem Tod 1994 geachteter Experte für bayerische und schwäbisch­e Kunstgesch­ichte, trat zwar 1937 in die NSDAP ein, kündigte aber ein Jahr später seine Stelle als Leiter der Kunstsamml­ungen, um sich politische­m Druck zu entziehen. (1947 wurde Lieb wieder Kunstsamml­ungschef.) Nach seiner Kündigung arbeitete er freiberufl­ich auch als Gutachter für die Stadt, wenn es um den Erwerb von Kunst „aus nicht-arischem Besitz“ging. So wurde es ideologiek­onform formuliert, als der Stadt etwa ein Porträt von Adriaen de Vries angeboten wurde. Dieses Bild ist eines der vielen Objekte, deren Herkunft die heutigen Kunstsamml­ungen Augsburg, an denen Horst Kessler seit 2001 Provenienz­forschung betreibt, zu klären versuchen.

Nach dem Zusammenbr­uch des Nazi-Regimes sagten die drei Augsburger Akteure aus, sie hätten vor allem die Kunstwerke retten wollen. Weihrauch, der 1941 gefordert hatte, die Stadt solle jüdische Bürger mit Polizeigew­alt zwingen, ihren Kunstbesit­z dem Augsburger Museum anzubieten, rühmte sich nach 1945 einer „antifaschi­stischen Tat“ der Kunstrettu­ng, Lieb verschwieg seine Gutachtert­ätigkeit für solche Aktionen. Dabei hatten sie unzweifelh­aft zum Funktionie­ren eines Unrechtssy­stems beigetrage­n. Dem Resümee von Holly und Fassl ist zuzustimme­n, dass sie sich durch ihre Erwerbspol­itik des Kunstraubs und der Ausplünder­ung der jüdischen Bevölkerun­g schuldig gemacht haben und dass von ihrem Handeln vor und nach 1945 ein „trüber Eindruck von Opportunis­mus, Unredlichk­eit und mangelndem Schuldbewu­sstsein“bleibt.

» Peter Fassl (Hg.): Ausplünder­ung der Juden in Schwaben während des Nationalso­zialismus und der Kampf um Entschädig­ung, UVK Verlagsges­ell‰ schaft, 391 Seiten, 49 Euro

Ein Bürgermeis­ter verharmlos­te seine Rolle

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Eine alte Zeichnung zeigt, wie die Chemische Fabrik Pfersee früher einmal ausgesehen hat. Die Nationalso­zialisten wollten den Betrieb schon 1933 arisieren. Sie nahmen den Eigentümer Willy Bernheim wegen angebliche­r Devisenver­gehen fest, die Angestellt­en führten daraufhin den Betrieb weiter.
Foto: Ulrich Wagner Eine alte Zeichnung zeigt, wie die Chemische Fabrik Pfersee früher einmal ausgesehen hat. Die Nationalso­zialisten wollten den Betrieb schon 1933 arisieren. Sie nahmen den Eigentümer Willy Bernheim wegen angebliche­r Devisenver­gehen fest, die Angestellt­en führten daraufhin den Betrieb weiter.

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