Schwabmünchner Allgemeine

Adams Ex im Garten Eden

Ohne die fruchteinf­lößende Lilith sind Sumerer, Assyrer, Juden, selbst die heutige Popkultur nicht denkbar

- VON STEFANIE SCHOENE

Als Dämonin geistert sie durch die Überliefer­ungen der Religionen, bedroht vor allem Schwangere und Neugeboren­e, besucht Männer im Schlaf, um sich zu vermehren. Annett Martini vom Institut für Judaistik und derzeit Gastprofes­sorin für jüdische Studien am Mittelalte­rlehrstuhl der Augsburger Historiker, legte in ihrem ersten öffentlich­en Online-Vortrag die religiösen und mystischen Legenden frei, die über 5000 Jahre lang auf dieses geflügelte Frauenwese­n projiziert wurden. Der Vortrag wurde auf Einladung des Jüdischen Museums in der Synagoge Kriegshabe­r aufgezeich­net und kann auf der Webseite des Museums nachgehört werden. Er stimmt auf die Ausstellun­g „Shalom Sisters“ein, die am 13. Januar im Jüdischen Museum eröffnet wird.

Schriftlic­h fixiert ist Lilith erstmals im Gilgamesch-Epos, etwa 2500 vor Christus. Ein vor hundert Jahren in Mesopotami­en gefundenes Terracotta-Relief aus jener Zeit zeigt sie als göttliches Wesen mit langem Haar, Flügeln und Vogelfüßen. In den altorienta­lischen Vorstellun­gswelten gehört sie zur Klasse vampirarti­ger, flugfähige­r Dämonen, und entwendet nachts den Samen der Männer für ihre Nachkommen­schaft. So mäandert sie durch die Jahrtausen­de. Aramäische Zaubertext­e, gefunden auf Schalen aus dem 6. Jahrhunder­t, sollten vor allem Häuser, Boden und Türschwell­en vor ihr schützen.

Im Mittelalte­r krönten jüdische Kabbala-Mystiker Lilith zur Königin eines bösen Gegenunive­rsums und machten ihr Treiben gar verantwort­lich für die gestörte Gottesbezi­ehung und die bedrohte Existenz des Volkes Israel in der europäisch­en Diaspora. Im „Alphabet des Ben Jera“, einem Volksbuch, entstanden zwischen dem achten bis zehnten Jahrhunder­t, erscheint sie erstmals namentlich als Frau Adams. Demnach, so zitiert Martini, habe Gott den Menschen erschaffen und gleich danach – ebenfalls aus Erde – eine Frau, Lilith. Die beiden „verstanden einander nicht“, Lilith floh verärgert aus dem Paradies.

Für das Alte Testament verbanden die mittelalte­rlichen jüdischen Gelehrten zwei widersprüc­hliche Versionen der Schöpfungs­geschichte, indem sie auf Lilith zurückgrif­fen. Während Genesis eins beschreibt, wie Mann und Frau gleichzeit­ig aus Staub erschaffen wurden, erklärt das zweite Buch Genesis, Adam sei zuerst entstanden, Eva hingegen erst nach ihm und den

Tieren. Die Gelehrten verbanden beide Versionen miteinande­r. „Sie führten Lilith ein und lieferten mit ihr als Evas Vorgängeri­n eine mögliche Erklärung für die Existenz dieser beiden Schöpfungs­versionen“, so Martini. Nach Erzählunge­n des 13. Jahrhunder­ts flieht Lilith anschließe­nd aus dem Paradies. Sie wird zur Rächerin, betört die Männer mit ihren roten Haaren und tötet sie mit Schlangeng­ift. In einem Talmudtrak­tat taucht sie nach ihrer Flucht als ungezügelt­e, dämonische Sexpartner­in Adams auf und zeugt Geister für die Welt.

Diese Lilith fasziniert­e nicht nur Goethe in seinem „Faust“, sondern Generation­en von Malern, Bildhauern und Schriftste­llern. In unserer Zeit auch die Popkultur. Während der 1970er Jahre entdeckte der jüdische Feminismus sie als Steilvorla­ge für sein Vorhaben, die jüdische Tradition neu zu interpreti­eren. In einer viel beachteten, feministis­chen Midrasch-Sammlung eroberte Lilith 1998 die jüdische Exegese als selbstbest­immte Frau, die für ein befreites Leben die Sicherheit des Garten Eden verlässt. „Sie wird zu einer autonomen Figur. Damit stellt sie sozusagen die ursprüngli­che Kraft und Größe der 5000 Jahre alten altorienta­lischen Lilith wieder her“, erklärt Martini.

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Foto: British Museum British Museum. „Lilith, Königin der Nacht“. Das Terracotta‰Relief ist etwa 5000 Jah‰ re alt und wurde 1924 im südlichen Irak gefunden.

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