Bummelletzter
Braucht Deutschland Beschleunigung? Ausgerechnet jenes Land, das (wie Burundi und Afghanistan) kein Tempolimit auf Autobahnen kennt und in dem die Mehrheit links unterwegs ist, also auf der Überholspur? Die Bundeskanzlerin meint ja.
Angela Merkel ist in Sorge. Es geht ihr mitten im Lockdown nicht schnell genug. Sie fürchtet, Deutschland werde abgehängt – von digital aufgemotzten Kleinwagennationen wie Südkorea oder Estland. Denn in Sachen Digitalisierung drücken andere auf die Tube, während hierzulande, so klagte Merkel dieser Tage, alles viel zu langsam gehe. Wenn wir so weitermachten, „werden wir einfach irgendwann Bummelletzter“. Demütigung auf der Datenautobahn!
Bummelletzter? Das ist ein Wort, das aus der analogen Ursuppe kommt, in der auch Kittelschürze, Zimmerantenne und Teppichklopfer schwimmen. Was Nerds und Digital Natives sich darunter wohl vorstellen? Bummelletzter? Ein 4,5-G-Netz? Einen Kräuterlikör, mit dem man sich endgültig abschießt? Einen Scooter, der nicht getunt ist?
Dass der Begriff für viele ein großes Rätsel in der Dimension eines durchschnittlichen deutschen Funklochs darstellen dürfte, liegt womöglich auch an seiner Herkunft. Bummelletzter ist ein Ausdruck ostdeutscher Provenienz. Man sagte es in DDR-Zeiten vor allem in Kitas zu den Trödelkindern, aber auch zu Werktätigen, die im VEB in Zeitlupe an der Planerfüllung herumschraubten.
Im Kinderbuch „Prinz Bummelletzter“von Sybille Hein nennen sie Willibald, den Trödler, eine „Schnarchnase, Trantüte, Kriechgurke“. Doch ausgerechnet dieser Prinz Bummelletzter wird durch seine Verträumtheit und Langsamkeit zum liebenswürdigen Helden. Digitaler Dornröschenschlaf – wäre das keine schöne neue Rolle für Deutschland? Schnarchnase der EU, Trantüte der Nato, Kriechgurke der Weltwirtschaft? Exportweltmeister der Entschleunigung?