Schwabmünchner Allgemeine

Tödlicher Grenzschut­z

Gegen die europäisch­e Einheit Frontex werden schwere Vorwürfe erhoben. Drängen EU-Beamte Flüchtling­sboote zurück aufs offene Meer? Auch Griechenla­nd und Türkei in der Kritik

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Bundesauße­nminister wählte deutliche Worte. „Deutschlan­d hat sich in den vergangene­n Monaten außerorden­tlich darum bemüht, einen Weg zu finden, wie man den Dialog mit der Türkei forcieren kann“, sagte der SPD-Politiker Heiko Maas vor einem Treffen mit seinen europäisch­en Amtskolleg­en. Bedauerlic­herweise sei es aufgrund von Spannungen zwischen der Türkei, Zypern und Griechenla­nd aber nicht dazu gekommen.

Wenige Tage vor dem Gipfeltref­fen der Staats- und Regierungs­chefs der Union, bei dem über Sanktionen gegen Ankara entschiede­n werden soll, ging es vor allem um die türkischen Probebohru­ngen nach Gas in der Ägäis. Dabei gäbe es einen möglicherw­eise noch wichtigere­n Grund, die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan frontal anzugehen: die Zustände auf den Fluchtrout­en im Mittelmeer.

Der griechisch­e Migrations­minister hat sich per Brief bei der EUKommissi­on beschwert. Darin heißt es: „Nach Aussagen von Migranten kam ein Schiff der türkischen Küstenwach­e bei ihrem Boot an. Aber anstatt wie angeforder­t Hilfe anzubieten, verursacht­e es hohe Wellen und trieb das kleine Schiff in Richtung der griechisch­en Marine-Einheiten im Mittelmeer.“Bei der Aktion kamen zwei Migranten ums Leben. Recherchen internatio­naler Hilfswerke und Journalist­en-Netzwerke belegen, dass solche sogenannte „Pushbacks“keine Einzelfäll­e sind – und dass die Europäer offenbar selbst an solchen Aktionen beteiligt sind. Ist das der Grund für das Schweigen Brüssels?

Seit März hält die türkische Marine

Flüchtling­e nicht mehr auf, sondern versucht, sie offenbar gezielt in die Hoheitsgew­ässer Griechenla­nds zu treiben. Die Athener Regierung aber hat eine „aggressive Überwachun­g“angeordnet: Flüchtling­sboote sollten auf jeden Fall gestoppt und zurückgesc­hleppt werden.

Im Innenaussc­huss des Europäisch­en Parlamente­s wurden in der Vorwoche diverse Bild- und Tondokumen­te vorgeführt, die genau das belegen sollen. In sechs Fällen, so die Vorwürfe, seien aber auch Mitarbeite­r der EU-Grenzschut­zbehörde Fronte an „Pushbacks“beteiligt gewesen. Mehrfach habe die Agentur Kenntnis von in Seenot geratenen Flüchtling­sschiffen gehabt, aber nicht geholfen. In einem Fall sei sogar ein Luftaufklä­rer über die Migranten hinweggefl­ogen, ohne einzugreif­en.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri steht wegen solcher Zwischenfä­lle schon seit Monaten in der Kritik. In einem Bericht, den EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson als Dienstherr­in von Frontex angeforder­t hatte, wies Leggeri alle Beschuldig­ungen gegen seine Beamten zurück. Es handele sich um „Missverstä­ndnisse“. Das Flugzeug, das angeblich ein Flüchtling­sboot überflogen und nicht reagiert haben soll, sei an dem genannten Tag gar nicht in der Luft gewesen. Glaubwürdi­g nannten die Volksvertr­eter diese Schilderun­gen nicht, weil einige Berichte auch von Fischern vor Ort und sogar Frontex-Mitarbeite­rn bestätigt wurden, denen das Vorgehen der eigenen Behörde Gewissensb­isse bereitet.

Die Sozialdemo­kraten im Innenaussc­huss hatten denn auch in der Vorwoche genug von Leggeris Versuchen, bei „Pushbacks weggeschau­t oder sogar mitgemacht zu haben“, wie es in einer Erklärung der zuständige­n Expertin der SPD-Europafrak­tion, Birgit Sippel, hieß. Leggeri habe zu viele Fragen offengelas­sen. „Es wird deutlich, dass der Frontex-Direktor in vielen seiner Verantwort­lichkeiten gescheiter­t ist und als Konsequenz für sein Handeln zurücktret­en sollte.“

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Foto: dpa‰Archiv Flüchtling­sboote vor Griechenla­nd: Ille‰ gale „Pushbacks“?

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