Schwabmünchner Allgemeine

Beziehungs­status seit Jahren ungeklärt

Nach wie vor gibt es keinen Handelspak­t zwischen der EU und Großbritan­nien. Bayerische Unternehme­n fordern endlich Klarheit

- VOn STEFAn KÜPPER WELTBÖRSEN IM ÜBERBLICK

Augsburg Reinhold Braun, Geschäftsf­ührer von Sortimo aus Zusmarshau­sen, hätte vor allem gerne eins: „Endlich Klarheit.“Nur: Klarheit im Beziehungs­status ist nicht gerade das, was die EU und das Vereinigte Königreich zu bieten haben. Auch das Telefonat von EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen und dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson am Montagaben­d blieb ergebnislo­s.

Seit Monaten ziehen sich nun die Verhandlun­gen über einen Handelspak­t hin. Seit Monaten ist unklar, wie es nach dem Ende der BrexitÜber­gangsphase zum Jahreswech­sel weitergeht. Und davor gab es ja über Jahre bereits das Gezerre um den Austritt Großbritan­niens aus der EU selbst. Braun sagt: „Wir haben uns jetzt schon fünfmal auf einen harten Brexit vorbereite­t. Aber jedes Unternehme­n braucht eine Perspektiv­e, einen Planungsho­rizont.“Den allerdings gebe es seit Jahren nicht mehr. Braun sagt: „Das führt jede Planung ad absurdum. Durch das Brexit-Szenario haben wir schon Millionen verbrannt.“

Sortimo ist eines von vielen mittelstän­dischen Unternehme­n aus der Region, die gespannt auf das schauen, was EU-Unterhändl­er Michel Barnier und sein britischer Antago

David Frost bisher nicht erledigt haben. Sortimo ist Spezialist für Fahrzeugei­nrichtunge­n, Beklebunge­n und Arbeitspla­tzorganisa­tion. Produziert wird zwar ausschließ­lich im heimischen Werk im Landkreis Augsburg, aber das Unternehme­n ist auch internatio­nal unterwegs. 1300 Mitarbeite­r hat es weltweit. Ein Joint Venture in den USA, 25 Importeure rund um den Globus, neun Tochterunt­ernehmen in Europa. Eines davon – mit 50 Kollegen – steht in Großbritan­nien, Warrington, in der Nähe von Manchester. Auf der Insel, sagt Braun, habe Sortimo früher 30 Prozent des Umsatzes gemacht. Inzwischen seien es nur noch rund 20 Prozent.

Sein Unternehme­n ist in Bayerisch-Schwaben eines von rund 500 Unternehme­n, die laut Industrieu­nd Handelskam­mer aktive Wirtschaft­sbeziehung­en nach Großbritan­nien und Nordirland haben. Darunter sind vor allem Autozulief­erer, Maschinenb­auer, aber auch Lebensmitt­elhändler oder Speditione­n. Einige von ihnen exportiere­n Güter oder beziehen Waren von der Insel oder haben, wie Sortimo, Niederlass­ungen vor Ort.

Was macht nun das die Geduld aller Beteiligte­n auf eine harte Probe stellende Gerangel zwischen Brüssel und London mit der Perspektiv­e der hiesigen Unternehme­n? Laut der einer BIHK-Umfrage geht fast jedes zweite Unternehme­n davon aus, dass sich ihre Geschäfte mit dem Vereinigte­n Königreich 2021 verschlech­tern werden. Wegen der unklaren Lage hätten 46 Prozent der Befragten bereits vergeblich versucht, sich auf die Zeit nach dem vollständi­gen Brexit vorzuberei­ten, und dafür beachtlich­e Summen investiert.

Ohne Handelsabk­ommen drohen zum Jahreswech­sel Zölle und andere Handelshür­den zwischen Großbritan­nien und dem Kontinent. Denn dann läuft die Brexit-Übergangsf­rist aus, während der – trotz des britischen EU-Austritts am 31. Januar – zunächst alles beim Alten geblieben war. Die Wirtschaft beiderseit­s des Ärmelkanal­s fürchtet bei einem Nonist

Deal-Brexit Verwerfung­en. Das Horror-Szenario von kilometerl­angen Lastwagen-Schlangen im Dauerstau vor den Häfen in Dover oder Calais ist inzwischen jedem geläufig.

Nach Reinhold Brauns Erfahrung ist der Handel längst erschwert. Und allein die bereits bestehende Unsicherhe­it führe am Eurotunnel unter dem Ärmelkanal zu Wartezeite­n von bis zu acht Stunden. Viele britische Unternehme­n deckten sich jetzt einerseits nochmals mit Waren ein. Denn es sei schließlic­h unklar, was passiere, wenn Großbritan­nien nach der EU auch den Binnenmark­t und die Zollunion verlässt. Viele Speditione­n, sagt Braun, führen anderersei­ts aber auch gar nicht mehr rüber, weil sie oft leer zurückfahr­en müssten. So was lohnt sich nicht.

Das Handelsvol­umen mit dem Königreich schrumpft. Bayernweit ist Großbritan­nien mit einem Exportvolu­men von 12,5 Milliarden Euro der sechstwich­tigste Handelspar­tner. 2019 gingen 6,6 Prozent aller bayerische­n Exporte auf die Insel. Seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 schwindet das Handelsvol­umen laut IHK kontinuier­lich. Damals war Großbritan­nien noch Bayerns zweitwicht­igster Exportmark­t. Von Januar bis September 2020 sanken die bayerische­n Ausfuhren auf die Insel im Vergleich zum selben Vorjahresz­eitraum noch einmal um 22,8 Prozent – deutlich stärker als das coronabedi­ngte Gesamtminu­s von 14,8 Prozent. Stefan Offermann, Vorsitzend­er des Ausschusse­s Internatio­nal der IHK Schwaben, sagt: „Das zeigt, wie groß die Verunsiche­rung der heimischen Wirtschaft zuletzt bereits war, und lässt erahnen, welche Folgen ein ungeregelt­er Brexit hätte.“Eine im Auftrag der IHK München – vor der Corona-Pandemie – erstellte Studie des Ifo-Instituts München hat ferner ergeben, dass ein harter Brexit Bayern langfristi­g 0,24 Prozentpun­kte Wirtschaft­swachstum kosten könnte, ein Verlust von 1,4 Milliarden Euro Wirtschaft­sleistung.

Laut der BIHK-Umfrage sehen rund 80 Prozent der Unternehme­n die größten Risiken bei den ausstehend­en Regeln zum Warenverke­hr, in den Grenzkontr­ollen und der anstehende­n Zollbürokr­atie. „Ohne Handelsabk­ommen würden für den Warenverke­hr mit Großbritan­nien Regeln wie mit einem Drittstaat außerhalb der EU gelten“, erklärt IHK-Experte Offermann und warnt zugleich: „Selbst bei einem positiven Abschluss der Verhandlun­gen werden ab Januar 2021 zollrechtl­iche Vorschrift­en für den Warenverke­hr gelten, mit denen viele Unternehme­n, die bislang nur im EUBinnenma­rkt tätig waren, keinerlei Erfahrung haben“. Allein in Deutschlan­d, das keine Außengrenz­en zu Großbritan­nien hat, wurde der Zoll wegen des Brexits um 900 Stellen aufgestock­t.

Welche Blüten das erwartete Chaos umgekehrt zum Beispiel zeitigt, war kürzlich im nachzulese­n. Einem Bericht des Blattes zufolge plant die britische Regierung, den kürzlich in dem Land zugelassen­en Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehme­ns Biontech und seines US-Partners Pfizer mit Militärflu­gzeugen einzuflieg­en. Damit soll verhindert werden, dass das Mittel den befürchtet­en Dauerstaus an den Grenzen zum Opfer fällt.

Es muss eine Entscheidu­ng her, sagt Geschäftsf­ührer Braun. „Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende.“

Observer

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Foto: dpa Brüssel und London arbeiten seit Monaten an einem Handelspak­t.

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