Schwabmünchner Allgemeine

Ein Kugel‰Lager für den Lichtergla­nz

Vor bald 175 Jahren entstand in Lauscha ein Exportschl­ager. Bis heute fertigen die Glasbläser ihre Christbaum­kugeln in Handarbeit. Warum für die Feinarbeit Pinsel aus dünnem Eichhörnch­enhaar wichtig sind

- VON HELGE BENDL

Einen langen Atem haben: Das ist, was hier zählt, seit vielen hundert Jahren. Der Gasbrenner faucht und zischt, als würde er direkt vom Höllenfeue­r genährt, doch der Meister arbeitet konzentrie­rt und lässt sich nicht ablenken. Ein Glasröhrch­en nach dem anderen setzt Toni Weigelt an seine Lippen, es sind oft über Tausend am Tag. Erst erwärmt er den Rohling in der Flamme, dann holt er Luft. Wie von Zauberhand wird dem Glas Leben eingehauch­t: Es formt sich binnen Sekunden zu einem federleich­ten, hauchdünne­n, perfekt runden Objekt. Eine weitere von Hand geblasene Kugel wartet darauf, einen Christbaum schmücken zu können.

Ines Zetzmann, die Weihnachts­elfe vom Dienst im Familienbe­trieb Greiner-Mai, würde jetzt widersprec­hen. Zu Recht. Denn so schnell geht es nun auch wieder nicht. Damit die Kugeln am Baum zauberhaft funkeln, kommt erst Silbernitr­at für die Verspiegel­ung hinein. Dann sorgt Bettina Winkler mit ihren Pinseln aus feinstem Eichhörnch­enschwanzs­pitzenhaar für den letzten Schliff: Sind die Kugeln lackiert, sorgt die erfahrene Porzellanm­alerin für die passende Dekoration. Alles ist hier noch immer Handarbeit. Auch das Design orientiert sich an historisch­en Vorbildern: Die Muster sind oft viele hundert Jahre alt.

1597 entstand im Süden des Thüringer Walds der Ort Lauscha durch den Bau einer Dorfglashü­tte. Einer der beiden Gründer war Hans Greiner: Auf diesen Glasmeiste­r geht die Geschichte des Familienbe­triebs Greiner-Mai zurück, der seine Werkstatt inzwischen aus Platzgründ­en ins benachbart­e Neuhaus am Rennweg verlegt hat. 365 Tage im Jahr ist hier Weihnachte­n: Unter der Marke „Der Christbaum“entsteht hier noch immer mundgeblas­ener und handbemalt­er Christbaum­schmuck.

Vor bald 175 Jahren wurden in Lauscha die ersten Christbaum­kugeln erfunden. Die Handwerker nutzten Öllampen und hatten sich auf die Herstellun­g von hohlen Glasperlen spezialisi­ert. Da war es nur noch ein kleiner Schritt, bis sie sich auch den Schmuck für den Weihnachts­baum selbst fertigten. Erst waren es nur kleine Figuren, später wurden daraus die heutigen großen Kunstwerke. Für den Siegeszug verantwort­lich waren die sogenannte­n Verleger: Die Händler hatten ihre Büros und Lager in der Spielzeugs­tadt Sonneberg und vermarktet­en den Christbaum­schmuck als gläserne Kostbarkei­t in aller Welt. Verdient haben sie dabei prächtig, doch bei den Produzente­n kam nicht viel an vom Profit. Die Frauen der Glasbläser mussten sich zu Fuß auf den Weg machen, um die Kugeln abzuliefer­n. Für die Fahrt mit der Eisenbahn fehlte das Geld.

Knapp 15 Kilometer sind es von Lauscha nach Sonneberg, der Pfad führt durch enge Kerbtäler und quer durch den Nadelwald des Thüringer Schieferge­birges. 20 Kilogramm und mehr wogen die riesigen Tragekörbe der Botenfraue­n, die sie auch den steilen Anstieg zur Wiefelsbur­g hinaufschl­eppen mussten, selbst im Winter bei Eis und Schnee. „Meine Großeltern sind den Weg bis Anfang der 50er Jahre noch gegangen“, erzählt Lothar R. Richter, Jahrgang 1946, aus der Kindheit. Auch in Richters Familie lebten damals viele vom Christbaum­schmuck.

Tradition verpflicht­et. Als Lokalpatri­oten helfen Lothar R. Richter und das Team des Lauschaer Tourismuss­tammtischs bei der Organisati­on des Lauschaer Kugelmarkt­s, bei dem normalerwe­ise immer an den ersten beiden Adventswoc­henenden lokale Glasbläser ihre von Hand gefertigte­n Produkte präsentier­en. In diesem Jahr wurde er wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Die Ehrenamtli­chen haben außerdem am Ortseingan­g einen Ganzjahres­weihnachts­baum mit 200 Kugeln errichtet und die Ausschilde­rung von Wegen initiiert. So können nun Besucher auf den Spuren der Glasbläser­frauen von Lauscha nach Sonneberg wandern. Unterwegs entdeckt man alte Schiefermi­nen, wo einst das Material für Griffel gewonnen wurde. Ohne Pausen dauert die Tour drei bis vier Stunden, zurück geht es mit der Bahn. Wer mit Lothar R. Richter unterwegs ist, sollte allerdings etwas mehr Zeit einplanen. Er erzählt nicht nur aus der Geschichte, sondern in seinem fränkische­n Dialekt auch über das Faible der Einheimisc­hen für Löwenzahn. Den nennt man hier Mellichstö­ck und huldigt der Pflanze jeden Mai mit einem kulinarisc­hen „Mellichstö­ckdooch“. Der Wanderführ­er zaubert deswegen an einem Rastplatz nicht nur Blut- und Leberwurst zum Vespern aus dem Rucksack, sondern auch einen hausgemach­ten Löwenzahn-Verdauungs­schnaps.

Ein Feuer ganz anderer Art lodert derweil in der Elias Glashütte Lauscha. Sand, Soda, Pottasche und Kalk kommen hier über Nacht zum Schmelzen in die Öfen. Dazu reichlich Metalloxid, damit das Glas später leuchtet: Genau 274 Farbtöne sind im Sortiment. Vielleicht gibt es noch ein paar weitere Ingredienz­ien, doch dieses Geheimnis lässt sich René Queck, als Hüttenmeis­ter Chef der Hexenküche, natürlich nicht entlocken. „Wir sind in Deutschlan­d die Letzten, die in Handarbeit Röhren und Stäbe ziehen“, sagt er. Dieses Rohmateria­l

Die wichtige Aufgabe der Gurke im Weihnachts­baum

nutzen später Glasbläser und Künstler, um daraus bei der Lampenglas­bläserei filigrane Skulpturen zu formen – früher war das oft eine Tänzerin, heute ist es eher ein Hirsch. Und noch etwas erblickt hier das Licht der Welt: künstliche Menschenau­gen aus Kryolithgl­as. Denn auch das wurde im 19. Jahrhunder­t in Lauscha erfunden.

Ab und an haben die Besucher der Farbglashü­tte auch das Glück, die Experten mit einer langen Glasmacher­pfeife am Mund beobachten zu können. Mit dem etwa eineinhalb Meter langen Rohr wird ein glühender Glasklumpe­n aus dem 1300 Grad heißen Ofen geholt und durch ständiges Drehen, Blasen und gezielte Kühlung in Form gebracht. Aus dezent grünlich schimmernd­em Thüringer Waldglas entsteht so zum Beispiel das Goethe-Wasserglas, die Nachbildun­g eines Glases aus dem Besitz des Dichters. Doch auch Studenten-Teams der Bauhaus-Universitä­t Weimar setzen inzwischen ihre Designidee­n um. Die Becher, Krüge und Schalen sehen auf den ersten Blick zwar alle gleich aus, sind aber trotzdem handgefert­igte Unikate. Im Dachgescho­ss der Glashütte ist das Museum für Glaskunst. Die Sammlung ermöglicht eine Zeitreise zurück zu den Anfängen der Glasherste­llung im Thüringer Wald im zwölften Jahrhunder­t. Doch auch tausende an Glasperlen sowie Kostbarkei­ten aus der Zeit des Jugendstil­s glitzern in den Vitrinen, dazu feinste Emailmaler­ei auf Glas sowie Kaffeeserv­ices aus Beinglas, das so weiß schimmert wie gefragtes Porzellan. Gläserner Weihnachts­schmuck aus allen Epochen ist zu sehen: Früchte und Nüsse, Clowns und Glocken, Elefanten und Engel und natürlich hunderte Kugeln.

Sich die Christbäum­e genau anzuschaue­n, lohnt sich übrigens, hier im Museum, in den Läden der Glasbläser, und an Weihnachte­n dann auch zu Hause. Denn im Grün des geschmückt­en Baums versteckt sich manchmal eine winzig kleine, aus Glas gefertigte Glücksgurk­e. Wie diese Tradition entstanden ist, weiß in Lauscha keiner mehr. Produziert werden die Gurken aber noch immer. An Heiligaben­d geht deswegen in vielen Wohnzimmer­n das Suchen los: Wer die Gurke findet, darf nämlich als Erster die Geschenke auspacken ...

 ??  ?? Bettina Winkler von der Manufaktur Greiner‰Mai GmbH („Der Christbaum“) beim Bemalen der Kugeln.
Bettina Winkler von der Manufaktur Greiner‰Mai GmbH („Der Christbaum“) beim Bemalen der Kugeln.
 ?? Fotos: Helge Bendl (3)/Adobe Stock ?? Konzentrie­rt bei der Arbeit: Glasbläser Toni Weigelt von der Manufaktur Greiner‰Mai
Fotos: Helge Bendl (3)/Adobe Stock Konzentrie­rt bei der Arbeit: Glasbläser Toni Weigelt von der Manufaktur Greiner‰Mai
 ??  ?? So kommt das Gold auf die Kugel. Der Ort Lauscha in Thüringen hat sich auf Weihnachts­produkte spezialisi­ert.
So kommt das Gold auf die Kugel. Der Ort Lauscha in Thüringen hat sich auf Weihnachts­produkte spezialisi­ert.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany