Schwabmünchner Allgemeine

Corona stoppt das Ehrenamt nicht

Möglichkei­ten, sich für andere zu engagieren, gibt es viele. Manche helfen schon seit Jahrzehnte­n, andere sind durch das Virus erst dazu gekommen. Helferinne­n erzählen, wie sie ihre Arbeit in Zeiten der Pandemie betrachten

- VON CAROLIN FEST

Annemie Immerz hilft bereits so lange ehrenamtli­ch anderen Menschen, dass sie sich schon kaum noch an eine Zeit davor erinnern kann: „Ich bin 35 Jahre mit meinem Mann im Ausland gewesen. Wir waren fast überall zwischen Norwegen und Papua Neuguinea und ich habe mich in jedem Land engagiert“, erinnert sich die 66-Jährige. Sie hielt Religionsu­nterricht, kochte mit Menschen oder unterricht­ete schottisch­en Tanz. Im Oman war sie sogar Reiseleite­rin. Seit ihrer Rückkehr nach Augsburg vor etwa zehn Jahren arbeitet sie nun mit dem Freiwillig­enzentrum zusammen. Dort werden, zusammen mit über 700 Organisati­onen und Initiative­n, derzeit 26 verschiede­ne Projekte umgesetzt.

Während der Corona-Pandemie hat das Freiwillig­enzentrum das Hilfsangeb­ot erweitert. Durch einen Anruf oder einen Brief können Menschen sich jetzt gegenseiti­g eine Freude machen. Der telefonisc­he Besuchsdie­nst wurde mit Unterstütz­ung der Telefonsee­lsorge entwickelt. Vor allem Senioren, die sich einsam fühlen, freuen sich bei diesem Projekt über Anrufe. Wer lieber schreibt, kann sich für „Brief-Freude“anmelden. Hier überrasche­n Helfer andere Menschen mit kurzen Briefen, Bildern oder Gedichten.

Ein wichtiges Angebot des Freiwillig­enzentrums sei die Beratung durch die Sozialpate­n. Diese helfen in Armut lebenden Menschen bei finanziell­en Fragen. Hierfür werden feste Sprechstun­den angeboten, auch während Corona, mit Plexiglass­cheibe und Mund-NasenSchut­z. Über 1400 Ehrenamtli­che sind beim Freiwillig­enzentrum registrier­t, berichtet Birgit Ritter. Darunter seien auch viele Menschen, die Vollzeit arbeiten und sich Zeit für ihr Engagement „freischauf­eln“, oder Rentner, die noch arbeiten, um ihre Rente aufzubesse­rn, und trotzdem helfen. Immerz sei eine Ausnahme, so Ritter. Sie widmet sich fast voll und ganz ihrem Ehrenamt.

So ist es auch bei Beate Kandler. Sie ist, im Gegensatz zu Immerz, erst seit wenigen Monaten ehrenamtli­ch tätig, nachdem sie mit 46 Jahren ihr Arbeitsleb­en beendet hat. Sie sind geschulte Flüchtling­slotsen. Am besten gefalle ihr, dass sie Meneine Freude machen könne, meistens sogar mit minimalem Aufwand. „Wenn ich für zwei oder drei Stunden in der Anker-Dependance bin und mich dort einfach mit den Leuten unterhalte, dann sind sie so dankbar“, berichtet Kandler.

Zur Freiwillig­enarbeit kam sie während des Corona-Lockdowns im Frühjahr. Damals hat sie die Augsburger Tafel unterstütz­t, der viele Helfer aufgrund ihres hohen Alters fehlten. Danach ging alles ganz schnell – sie hat sich auf eine Liste des Freiwillig­enzentrums eingetrage­n. Mittlerwei­le ist sie in der Arbeit mit Flüchtling­en und Kindern geschult und begleitet eine Familie mit Drillingen und einem älteren Kind. Für Kandler ist es die erste Familie, mit der sie zusammenar­beitet. Immerz hingegen hat im Lauf der Jahre unzählige Menschen begleitet und ist noch immer für viele Flüchtling­e die Ansprechpa­rtnerin bei allen möglichen Fragen. 2015 gründete sie zusammen mit anderen Helfern den Helferkrei­s Haunstette­n, der Flüchtling­en in vielen Situatione­n zur Seite steht.

Viele Bekannte und Freunde fragten, ob sie denn keine Angst haben, wenn sie zum Beispiel mit allein reisenden geflüchtet­en Mänschen nern arbeiten, erzählen die Frauen. „Dabei sind die so freundlich und zuvorkomme­nd. Und vor allem sind sie auch sehr einsam und freuen sich, wenn sie mit jemandem reden können“, antworten sie dann. Kandler sagt, ihr sei klar, dass sie die Welt nicht retten könne. Ob Integratio­n gelingt, hänge vom Menschen ab, sagt Immerz. Beide sind jedoch überzeugt, dass sie für einzelne Menschen viel dazu beitragen.

Ein Beispiel für gelungene Hilfe zeigen Immerz und ihr Mann: Sie haben vor fünf Jahren drei Cousins aus Syrien und deren Familien begleitet. Damals waren die jungen Männer 16, 15 und elf Jahre alt. Die Familien hatten in ihrer Unterkunft viel zu wenig Platz, sodass die Kinder nur jeweils ein Bett hatten, in dem sie auch ihre Hausaufgab­en machen und ihre Schulsache­n verstauen mussten. „Wir haben die Jungs dann bei uns ihre Hausaufgab­en machen lassen und ihnen sehr viel geholfen. Die beiden älteren durften nur noch zwei Jahre in Deutschlan­d in die Schule gehen und beide sind in ihren Klassen Klassenbes­te geworden“, erzählt die Helferin. Die drei Jungs gehören mittlerwei­le zur Familie. Aus Respekt nennen sie die beiden Augsburger Herr und Frau Immerz, wenn sie sich untereinan­der unterhalte­n, sagen sie Oma und Opa, berichtet die 66-Jährige. Der Satz, den die Frauen am häufigsten hörten, sei: „Ich finde es toll, was du machst. Ich könnte das nicht.“Ritter empfiehlt jedem die Teilnahme an der Flüchtling­slotsen-Schulung, auch wenn man sich danach nicht engagieren möchte: „So können Vorurteile abgebaut werden.“

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Annemie Immerz, Beate Kandler und Birgit Ritter (von links) arbeiten mit dem Augsburger Freiwillig­enzentrum zusammen.
Foto: Silvio Wyszengrad Annemie Immerz, Beate Kandler und Birgit Ritter (von links) arbeiten mit dem Augsburger Freiwillig­enzentrum zusammen.

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