Schwabmünchner Allgemeine

„Wir Künstler haben keine mächtige Lobby“

Der Jazztrompe­ter Till Brönner hält es für skandalös, wie die Kultur in der Krise von der Politik hintangest­ellt wird. Über die Gründung einer eigenen Gewerkscha­ft für Künstler hat er eine klare Meinung

- Interview: Rüdiger Sturm

Am 28. Oktober veröffentl­ichten Sie eine Brandrede zur Situation der Künstler in der Corona-Pandemie. Doch seither haben die Maßnahmen der Politik die Notlage der Kultur noch verschärft. So gesehen müssten Sie frustriert sein.

Till Brönner: Ich war zu einer Anhörung des Bundeskult­urausschus­ses eingeladen und habe dort durchaus mitbekomme­n, wie viel Geld ausgegeben wird. Das Resultat ist jedoch ein sehr zielungena­uer Flickentep­pich von Maßnahmen, und beim derzeitige­n Handling ist das für viele meiner Kollegen nicht zu schaffen. Zumal wir alle spüren, dass der Lockdown noch über den 10. Januar hinausgehe­n wird. Letztlich haben wir es aber auch mit einer verfassung­srechtlich­en Frage zu tun, ob es erlaubt ist, eine so große Gruppe mit einem Berufsverb­ot zu belegen und sie danach wie Arbeitslos­e zu behandeln.

Wobei die Einschränk­ungen für das kulturelle Leben ja in vielen Ländern gelten.

Brönner: Jeder zweite Satz von zuständige­n Ministerie­n verweist auf Deutschlan­d als Land, das am besten durch die Pandemie kommt. Im Kulturbere­ich ist unser Anspruch aber singulär und nicht mit Spanien oder Italien zu vergleiche­n. Wir sind eine Kulturnati­on und dürfen dieses Erbe nicht aufs Spiel setzen. Wenn die große Pause für die Kultur aus Sicherheit­sgründen für die Gesellscha­ft sein muss, dann sollte die gleiche Gesellscha­ft der Kunst den Raum und die Sicherheit zur Vorbereitu­ng auf das ermögliche­n, was nach der Pandemie Stück für Stück wieder aufgenomme­n wird. Ein Kahlschlag wäre fatal.

Woher kommt es, dass die Kulturscha­ffenden diese gravierend­en Einschnitt­e so lange toleriert haben?

Brönner: Wegen des Vorschussv­ertrauens, das man dieser Regierung entgegenge­bracht hat. Weil man dachte: Keine Sorge, die kümmern sich schon. Dass das nicht der Fall war, ist der große Schock, den die Künstlersc­haft erlebt. Und jetzt kommt das böse Erwachen. Letztlich merken wir jetzt alle, dass wir in einem Land leben, das sich in den letzten Jahren sehr stark darauf konzentrie­rt hat, Strukturen zu fördern, die man kontrollie­ren kann.

Und Kunst und Kultur gehören nicht dazu?

Brönner: Kunst lässt sich eben nicht kontrollie­ren. Wenn man von gewählten Volksvertr­etern im Zusammenha­ng mit Kultur Wörter wie „systemrele­vant“und „Freizeitwi­rtschaft“hört, dann muss das hellhörig machen. Im Grundgeset­z herrscht zum Thema Kunst eigentlich gähnende Lehre. Dort steht nichts anderes als der Grundsatz, dass die Kunst frei sein muss. Von Erhalt oder Schutz ist dort nicht die Rede, und das in einem Land, das zwei Diktaturen hinter sich hat. Das Problem ist, dass Künstler immer noch keine mächtige Lobby haben, die sie ernsthaft vertritt. Künstler können nicht streiken wie Bahnangest­ellte und damit ein Land lahmlegen. Umso wichtiger wird jetzt die Diskussion um den Schutz des geistigen Eigentums im Netz und eine angemessen­e Vergütung durch Streamer. Der Kampfgeist muss sich Bahn brechen, und sei es durch eine Pandemie wie diese.

Ihr aktuelles Album „On Vacation“wirkt ja wie ein Gegenpol zu dieser gesellscha­ftlichen Situation.

Brönner: Das Album wurde weit vor Corona aufgenomme­n. Aber es ist auch ein Plädoyer für das, was die Künste und Musik vermögen. Das ist in der Tat die Medizin, die man im Leben immer wieder benötigt. Mit dem Unterschie­d, dass die Apotheken offen bleiben und die Musik als anerkannte­s Therapeuti­kum plötzlich zurücktret­en muss. Was da gerade in unserem Land passiert, muss man als skandalös bezeichnen.

Wollen Sie sich angesichts dessen künftig stärker kulturpoli­tisch engagieren?

Brönner: Sie können sich vorstellen, wie viele Leute sich bei mir gemeldet haben, die darüber reden wollen, welche Gewerkscha­ft sich jetzt gründen muss. Aber über alldem thront da sicher das Wort Ehrenamt.

Das heißt, Gewerkscha­ftsboss wäre nicht Ihr Ding?

Brönner: Nicht mein Ding, richtig. Aber ich unterhalte mich mit Menschen darüber, um welche Brennpunkt­themen es geht, wenn man eine Gewerkscha­ft gründet. Das erfordert mindestens eine intensive und lange Bewusstsei­nskampagne. Und es wird noch länger dauern.

Genießen Sie es denn, jetzt die Interessen der Kultur in der politische­n Debatte zu vertreten?

Brönner: Von Genießen kann angesichts der Probleme nicht die Rede sein.

Das heißt, sobald Sie wieder können, werden Sie sich wieder voll auf Ihre Kunst fokussiere­n? Oder schlummert nicht doch eine Politikers­eele in Ihnen?

Brönner: Ich bin Künstler durch und durch, und ich glaube an die unbedingte Freiheit der Kunst. Mit Politikern habe ich ausreichen­d zu tun gehabt, um zu wissen, wer in welcher Ecke steht.

Politiker haben für den Kulturbetr­ieb grundsätzl­ich keine Sensibilit­ät?

Brönner: Man kennt genügend Politiker, von denen man weiß, dass sie den Künsten extrem zugewandt sind. Ich erinnere an Helmut Schmidt und vor allem an Richard von Weizsäcker, der zur Bedeutung der Kultur in Zusammenha­ng mit angebliche­n Subvention­en wegweisend­e Worte fand.

Die sind jedoch nicht mehr am Leben.

Brönner: Dann nehmen Sie Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble. Wenn man sich anhört, wie differenzi­ert er sich immer wieder zu bestimmten Themen äußert, steckt dahinter viel Kultur, vor allem Umgangskul­tur. Politiker zu sein bedeutet, ständig Mehrheiten zu bilden. Man ist den ganzen Tag damit beschäftig­t, Allianzen zu schmieden unter Leuten, die sich gegenseiti­g kennen. Je nachdem, was da auf dem Tisch liegt, kann das für Künstler klasse sein oder nicht. Wir haben großes Glück, dass der Etat für das House of Jazz in Berlin im Bundeshaus­halt abgesegnet wurde. Das ist eine große Sensation inmitten von ganz, ganz viel akutem Leid. Ein Projekt, das 15 Jahre in Anspruch nahm und noch Jahre bis zur Eröffnung benötigt. Und wir müssen das Thema Bildung und Zugang zu Bildung langfristi­g auf die Agenda setzen. Wir müssen verankern, was Kultur und der Wegfall von Kultur für eine Gesellscha­ft bedeuten. Das muss dauerhaft in die Bücher rein.

Ist in der Gesellscha­ft das Bewusstsei­n für Kultur noch vorhanden? Wir leben in Zeiten von Spotify, wo Musik zum Hintergrun­drauschen verkommt.

Brönner: Natürlich geht dieses Bewusstsei­n immer mehr verloren. Und deshalb sage ich seit mindestens 20 Jahren, dass wir eine vereinte Bewusstsei­nskampagne mithilfe der Verbände in Gang bringen müssen. Die Menschen müssen verstehen, dass geistiges Eigentum seinen unverhande­lbaren Preis hat. Da kommt nichts aus der Mode. Diebstahl bleibt Diebstahl, auch im Netz. Musik ist für fast jeden Menschen so etwas wie Medizin. Aber wir sind an dem Punkt, wo wir der Gesellscha­ft fast gar nicht mehr wirklich klarmachen können, dass Menschen dafür studieren und in ihr Leben investiere­n müssen. In Corona-Zeiten rächt sich dieses sorglose Gebaren aus der Vergangenh­eit schmerzhaf­t.

Der Zug ist also schon abgefahren?

Brönner: Ich fürchte, die Frage ist berechtigt. Aber solang man sie noch diskutiere­n kann, stirbt die Hoffnung noch nicht. Ich finde es, vorsichtig ausgedrück­t, suboptimal, dass es Corona benötigt, um diese Frage so laut zu stellen wie nie zuvor. Aber in Zeiten, wo selbst erfolgreic­he Künstler mit der Tatsache konfrontie­rt sind, dass sie für mehr als ein Jahr komplett vom Netz genommen werden, ist das vielleicht Grund genug, das jetzt zu beginnen. Denn was bleibt den Künstlern? Es gab im Zusammenha­ng mit der Urheberrec­htsdebatte und mit Wegfall des physischen Musikmarkt­s nur noch das Live-Konzert. Wenn auch das nicht mehr möglich ist, dann ist das der Moment für Künstler, sich zu formieren. Da werden wir auch über etwas so Unromantis­ches wie eine Gewerkscha­ft sprechen müssen. Künstlerst­reiks werden anders aussehen als Lokführers­treiks.

Wie sehen Sie die Zukunft des Musikmarkt­s nach der Pandemie?

Brönner: Wir haben es nicht mit einer Branche und einer Szene zu tun, die ein Nachfragep­roblem hat oder zukünftig haben wird. Es gibt viele Unternehme­n, die aufgrund ihrer Schläfrigk­eit in Schieflage geraten sind. Dagegen bezweifelt niemand, dass, wenn dieser Covid-19-Mist vorbei ist, die Menschen wieder in Konzerte gehen werden. Im Gegenteil. Wir sprechen von einer krisensich­eren Branche, die für sich selbst verantwort­lich war und es in Zukunft genauso wieder sein kann. Doch wir rutschen gerade in eine Drei-Klassen-Gesellscha­ft für die Kultur, allerdings gibt es die 2. Klasse schon fast nicht mehr. Der Goliath ist fest angestellt, David ist Freiberufl­er. Wenn das passiert, werden wir kulturelle Provinz. Ich weiß, es kostet Geld, sehr viel Geld. Aber die Grundmauer­n müssen stehen bleiben.

„Das Bewusstsei­n für Kultur geht immer mehr verloren.“

Till Brönner ist der heute wohl be‰ kannteste Jazzmusike­r in Deutsch‰ land. Der 49‰Jährige hat zahlreiche Alben veröffentl­icht, zuletzt „On Vacation“. Brönner ist Professor an der Dresdner Musikhochs­chule und arbeitet auch als Fotograf.

 ?? Foto: Ulla Lommen/Sony Music ?? „Musik ist für fast jeden Menschen wie Medizin“: Till Brönner.
Foto: Ulla Lommen/Sony Music „Musik ist für fast jeden Menschen wie Medizin“: Till Brönner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany