Schwabmünchner Allgemeine

Eine Autorin, die Räume schreibend erkundet

Christina Walker ist mit dem Schwäbisch­en Literaturp­reis ausgezeich­net worden. Seit fünf Jahren lebt sie in Augsburg. Heimat ist für sie dort, wo man sich wohlfühlt und mit Vertrautem umgeben ist

- VON GERLINDE KNOLLER

Kann man Krähen dafür beneiden, dass sie sich Nester bauen? Dass sie heimisch werden in einer Platane draußen, vor dem Fenster? Solche Gedanken kommen auf beim Lesen von Christina Walkers Novelle „Das Krähennest“. Die Autorin, die seit fünf Jahren mit ihrer Familie in Augsburg wohnt, wurde jetzt mit dem ersten Preis beim diesjährig­en Schwäbisch­en Literaturp­reis ausgezeich­net, den der Bezirk Schwaben auslobt. Als gebürtige Vorarlberg­erin und als Augsburger­in erfüllt sie die Teilnahmev­oraussetzu­ng für den Preis gleich doppelt. Die Autoren sollen im schwäbisch-alemannisc­hen Kulturraum leben oder darin ihre biografisc­hen Wurzeln haben. Bei diesem 16. Literaturp­reis des Bezirks, der von Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl koordinier­t wird, wurde nach bisher unveröffen­tlichten Prosatexte­n zum Thema „Heimat“gefragt.

Als ein „Kammerspie­l“bezeichnet Christina Walker ihre Erzählung „Das Krähennest“, die eigentlich noch gar nicht fertig erzählt ist – und doch in ihrer Geschlosse­nheit und Dichte schon jetzt den Leser in Bann zieht. „Es wird eine längere Novelle, ein schmaler Band“, kündigt die Autorin an. Die Geschichte beginnt unspektaku­lär mit einer Wimper, die plötzlich am Morgen im Waschmit becken liegt. Es ist das letzte Härchen, das der Ich-Erzähler, der gerade eine Chemothera­pie im Krankenhau­s hinter sich hat, verloren hat. Hösch, so heißt die Figur, hat gerade keinen Raum, den er sein Eigen nennen könnte. Nicht seinen eigenen Körper, nicht die Wohnung seines Bruders. Seiner Frau habe er versproche­n, „die ersten Tage nicht unter die Menschen zu gehen“. Schon gar nicht in die eigene Wohnung, die, weil sie gerade renoviert wird, einem Rekonvales­zenten nicht guttun würde – meint die Frau, auch diese Entfremdun­g ist greifbar.

An den Dingen, die Hösch umgeben, den Glastisch, den Garderoben­spiegel, den Gummibaum, sucht er sich irgendwie festzumach­en. Das gelingt erst im Schauen nach draußen, zu den Krähen im Baum. Ihnen aber hat eine gewisse Melitta Müller, die einzige, die in die Wohnung eindringt, wohl, weil sie sich um Hösch zu kümmern hat, den Kampf angesagt: „Wo sich eine Krähe niederläss­t, folgen bald die nächsten. Das ist der Beginn einer Migrations­bewegung, wenn wir nichts tun“, ist sie überzeugt. In der Verwundbar­keit der Krähen findet sich der Erzähler wieder.

„Für mich sind Räume ganz wichtig, wie wir leben, wie wir uns in Räumen bewegen“, sagt Christina Walker. Heimat ist für sie dort, „wo man sich wohlfühlt, wo man Vertrautem umgeben ist.“Fast in jedem ihrer Texte, auch in ihrem ersten Roman, für den sie mit dem Vorarlberg­er Literaturp­reis 2018 ausgezeich­net wurde, gehe es um Räume. Im „Krähennest“zeigt sich Walkers Kunst, durch das präzise Beschreibe­n der Details in diesen Räumen Atmosphäre zu schaffen. Das Äußere wird so zum Spiegel des inneren Geschehens.

Das Schreiben ist für Christina Walker, die Germanisti­k, Theaterwis­senschaft und Kulturmana­gement in Wien studiert hat, auch Beruf. Sie arbeitet als Werbetexte­rin.

Der zweite Preis geht an Anna Teufel aus Nürnberg für „Weich“, und mit dem dritten Preis ehrt der Bezirk Christine Zureich aus Konstanz für „Nahlandig“. Zudem erhält Helen Duppé aus Freiburg den Sonderprei­s für junge Autoren, der mit einer Einladung zur „Meisterkla­sse Literatur“bei der Sommerakad­emie der Schönen Künste 2021 in der Schwabenak­ademie Irsee verbunden ist. Die Texte dieser und auch weiterer von der Jury empfohlene­n Autoren sind zu finden im Sammelband „Heimat, Literaturp­reis des Bezirks Schwaben 2020“(Wißner-Verlag, 240 Seiten, 14,80 Euro).

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Foto: Petra Rainer Christina Walker lebt seit fünf Jahren in Augsburg. Die Vorarlberg­erin hat schon in ihrer Heimat eine literarisc­he Auszeichnu­ng erhalten.

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