Auferstanden aus Ruinen
Einst Ausdruck von Preußens Glanz und Gloria, vom DDR-Regime gesprengt, jetzt neu erbaut: Das Berliner Schloss hat sich zum Humboldt Forum gewandelt. An Kritik mangelt es nicht
Berlin Berlin hat einen neuen Mittelpunkt, der so widersprüchlich ist wie die Geschichte der deutschen Hauptstadt selbst. Das Humboldt Forum, die Wiedergeburt des 1950 gesprengten Berliner Stadtschlosses auf der Museumsinsel, ist nach achtjähriger Bauzeit fertiggestellt. Mehr als 640 Millionen Euro hat das Gebäude, das historische und moderne Elemente verknüpft, gekostet. Mit seiner markanten Kuppel, der ausladenden Treppe hinunter zur Spree und dem lichten Innenhof schließt es eine klaffende Lücke im Zentrum der Stadt. Doch wegen Corona ist ungewiss, wann die ersten Besucher durch die nüchternen Innenräume der Anlage flanieren können.
Wie umgehen mit einer wechselvollen Vergangenheit? Das ist die Frage, die sich immer wieder stellt, wenn es um diese besondere Immobilie geht. Zwischen 1443 und 1918 bildete das Berliner Schloss die hauptstädtische Residenz der Hohenzollern, Symbol von Preußens Glanz und Gloria. Mehrfach wurde es dem Zeitgeschmack entsprechend umgebaut. In der Weimarer Republik wurde das Schloss, eben noch steinerner Ausdruck kaiserlicher Macht, zum Museum umgewidmet. Die Nazis veranstalteten dort Ausstellungen und Konzerte.
Als Hauptwerk des norddeutschen Barock und weltweit bekannt als Wahrzeichen Berlins prägte das Schloss mit seiner markanten, 60 Meter hohen Kuppel lange das Stadtbild. Doch bei einem alliierten Luftangriff 1945 wurde es in großen Teilen zerstört. An einem Wiederaufbau des preußischen Wahrzeichens zeigten die Machthaber in der sowjetischen Besatzungszone so wenig Interesse wie später die Führung der sozialistischen DDR. Einige noch intakte Skulpturen und zahlreiche Glasfenster gingen bei Dreharbeiten zu einem patriotischen russischen Film über die Einnahme Berlins zu Bruch. 1950 schließlich verfügte die DDR-Spitze um Walter Ulbricht die Sprengung, obwohl sich auf der ganzen Welt heftiger Protest gegen die Vernichtung des Kulturdenkmals regte. „Es soll uns nichts mehr an unrühmlich Vergangenes erinnern“schrieb die SEDParteizeitung Neues Deutschland.
Zurück blieb eine Brache, bis die DDR sich mit dem 1976 eröffneten Palast der Republik ihrerseits ein Machtsymbol baute. Nach der Wende erwies sich das Gebäude als hochgradig mit Asbest verseucht und wurde abgerissen. Wieder klaffte eine Brache im Herzen der Stadt. Der Bundestag des wiedervereinigten Deutschlands beschloss schließlich den Neubau als Humboldt Forum, der 2013 begann. Nach den Plänen des italienischen Architekten Franco Stella wurde eine moderne Konstruktion errichtet, die auf drei Seiten dem historischen Vorbild entspricht. In der eigens gegründeten Schlossbauhütte bildeten Steinmetze hunderte teils mehr als drei Meter hohe Figuren, Schmuck- und Zierelemente der Fassade aus sächsischem und schlesischem Sandstein nach. Der Gebäudekörper selbst ist in moderner Bauweise ausgeführt. Die Gesamtkosten liegen bei 644 Millionen Euro, von denen der Bund 532 Millionen und das Land Berlin 32 Millionen Euro übernehmen. 80 Millionen haben private Spender für die Rekonstruktion der Fassaden aufgebracht.
Ein unbekannter Mäzen ermöglichte dann auch noch die ursprünglich aus Kostengründen nicht vorgesehene Neuerrichtung der 20 Millionen Euro teuren Kuppel. Während sich das Schloss nun auf drei Seiten im auf alt gemachten Gewand präsentiert, ist die Ostseite im bewusst modernen Rasterstil gehalten. Auch die prächtigen Säle im Inneren wurden nicht rekonstruiert. Nüchterne Funktionsarchitektur, Mehrzweckhallen-Atmosphäre, bemängeln Kritiker. Ob die Mischung aus originalgetreuen und neuen Gestaltungselementen passt, ist Gegenstand erbitterter Diskussionen. Für erhitzte Gemüter sorgte auch das golden glänzende Kreuz, das nach historischem Vorbild auf der Kuppel prangt. Die einen kritisieren, das Zeichen der Verbindung von Thron und Altar sei heute fehl am Platze. Es gehöre eben nun mal dazu, sagen die anderen.
Sosehr die Äußerlichkeiten polarisieren, so sehr wird auch über das gestritten, was sich im Inneren des Humboldt Forums künftig abspielen soll. Mehrere Träger bilden eine Art Wohngemeinschaft, in der es schon vor dem Einzug Spannungen gab. Verbindende Klammer soll die Auseinandersetzung mit den Gebrüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt sein. Der eine war berühmter preußischer Bildungsreformer, der andere Weltreisender und Entdecker. So schien es nur passend, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Objekte aus dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst einbringt.
Doch inzwischen ist die Debatte um die mögliche Rückgabe sogenannter Raubkunst voll entbrannt. Nigeria etwa fordert die sogenannten „Benin-Bronzen“von Deutschland zurück. Die Macher des Humboldt-Forums versprechen nun, einen Beitrag zur Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte zu leisten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte bei der virtuellen Eröffnung: „Das Vermächtnis der Humboldt-Brüder, sich die Welt mit eigenen Augen anzuschauen, dem Fremdem zu begegnen, statt es abzuwehren und abzuwerten, ist heute aktueller denn je.“Gerade für den Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten solle das Humboldt Forum künftig Maßstab und Vorbild sein.
Unter dem gleichen Dach will sich das Berliner Stadtmuseum mit der Geschichte der deutschen Hauptstadt beschäftigen. Das „Humboldt-Labor“der HumboldtUniversität befasst sich mit der Wechselwirkung von Mensch und Natur. Laut Generalintendant Hartmut Dorgerloh will das Haus nicht nur Museum sein, sondern auch Forum – für Diskussionen, Musik, Film, Theater und Literatur.
Alt und neu, Geschichte und Zukunft, Kultur und Wissenschaft – ob das alles zusammenpasst? Sobald es die Corona-Lage zulässt, wird sich zeigen, wie die Besucher diese vielfältige Mischung annehmen.