Schwabmünchner Allgemeine

„Ich hätte mich gerne geirrt“

Interview Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder verteidigt den harten Lockdown. Er gibt den Bürgern eine Mitschuld an der Verbreitun­g des Coronaviru­s und erklärt, warum die beste Langzeitst­rategie der Impfschutz ist. Und er verrät, was er an Weihnachte­n

- Interview: Axel Hechelmann und Gregor Peter Schmitz; Zusammenfa­ssung: Uli Bachmeier

Herr Söder, dies ist der erste Tag des harten Lockdowns. Das ist ein Zustand, den wir alle und auch die Politik nie wollten. Sie haben zu Beginn des Lockdown light Anfang November versproche­n, nun brauche es nur eine „Vier-Wochen-Therapie“– lieber seien wir jetzt konsequent, als später in einer Endlosschl­eife zu stecken. In der stecken wir aber nun doch.

Söder: Es ist notwendig zu handeln. Die Zahlen haben sich dramatisch nach oben entwickelt. In dieser Woche hatten wir an nur einem Tag fast 1000 Todesfälle in Deutschlan­d. Die können niemanden kalt lassen. Wenn wir jetzt nicht konsequent reagieren, dann haben wir bald extreme Sorgen. Die nationale Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina hat ausgerechn­et, dass der Lockdown light kein Flop war, da er das exponentie­lle Wachstum zwar gebremst hat, aber eben nicht zu einer dauerhafte­n Senkung der Infektions­zahlen führte. Insofern ist unser Handeln jetzt nur konsequent. Und mein Eindruck ist, dass die Menschen das jetzt auch erwarten und akzeptiere­n. Es ist fünf vor zwölf.

Auch Anfang November haben Experten geraten, man müsse härter durchgreif­en. Warum haben Sie es überhaupt erst mit einem Lockdown light versucht?

Söder: Die Empfehlung des Lockdown light war auch die Empfehlung der Experten. Wir sind dem gefolgt, was Leopoldina und andere vorgeschla­gen haben. Das Problem ist, dass leider nicht alle so konsequent mitgemacht haben, wie es geplant war. Die Erkenntnis­se sind bis heute eindeutig: 75 Prozent der Infektione­n können nicht zugeordnet werden, wir haben ein diffuses Geschehen. Damit ist leider das eingetrete­n, was ich vorhergesa­gt habe. Glauben Sie mir: Ich hätte mich gerne geirrt. Jetzt aber ist klar: Das Einzige, was hilft, ist das weitere Runterfahr­en des öffentlich­en Lebens. Es gibt Menschen, die sagen, am 10. Januar sei alles vorbei. Ich will deutlich sein: Die ganzen Maßnahmen müssen getätigt werden, solange sie nötig sind. Ein endloses Hin und Her macht wenig Sinn.

Sie haben „Leichtsinn“und „Unvernunft“in der Bevölkerun­g angeprange­rt. Aber war nicht auch die Politik leichtsinn­ig und unvernünft­ig – viele nötige Maßnahmen wurden im Sommer verschlafe­n, sodass vieles immer noch nicht klappt, etwa die digitale Nachverfol­gung von Infektione­n durch unsere Gesundheit­sämter.

Söder: Es ist viel passiert. Die Zahl der Intensivbe­tten ist deutlich aufgestock­t worden. Der öffentlich­e Gesundheit­sdienst wurde um über 25 Prozent gestärkt. Unsere Teams zur Kontakt-Nachverfol­gung wurden um 60 Prozent ausgebaut. Die Testkapazi­täten sind um fast 700 Prozent ausgeweite­t worden. Aber – und das ist der entscheide­nde Punkt: Ab einer bestimmten Zahl von Infektione­n, die jetzt leider wesentlich höher ist als bei der ersten Welle, wird die Kontrolle des Verfahrens deutlich schwierige­r. Dann wird es nahezu unmöglich, sensible Bereiche vor dem Virus zu schützen. Die Medizinges­chichte zeigt, dass die zweite Welle wesentlich gefährlich­er ist. Warum? Weil viele Menschen schlicht die Gefahr unterschät­zen.

Noch einmal: Vieles ist einfach nicht passiert. Unsere Redaktion hat eine Umfrage gemacht, wie viele Gesundheit­sämter eine Software einsetzen, um Daten leichter auszutausc­hen und Doppelabfr­agen zu vermeiden. Nur in einem von 70 bayerische­n Gesundheit­sämtern ist diese Software bislang überhaupt im Einsatz.

Söder: Es wurde zwischen Bund und Ländern lange darüber diskutiert, welches System das richtige ist. Aber wir haben jetzt entschiede­n. Dennoch muss klar sein: Nur bis zu einem Inzidenzwe­rt von 50 können Gesundheit­sämter die Kontakte noch nachverfol­gen. Wenn es sprunghaft in deutlich höhere Bereiche über 100 oder 200 geht, dann hilft auch die beste Software nur bedingt. Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit den Zahlen wieder nach unten kommen.

Sie haben im Sommer auch gesagt, Bayern müsse an den Schulen den Digitalisi­erungsturb­o einlegen, um für die Corona-Lage gewappnet zu sein. Aber als diese Woche Schülerinn­en und Schüler wieder daheim saßen, hakte die Online-Plattform wieder.

Söder: Richtig ist, dass eine Lernplattf­orm diese Woche nicht funktionie­rt hat. Aber das ist nicht die einzige, sondern eine von mehreren. Trotzdem haben Sie recht mit Ihrer Kritik. Das Kultusmini­sterium weiß, dass das unbedingt abgestellt werden muss. Ich gehe davon aus, dass wir nach den Ferien ab 10. Januar erst einmal mit Wechselunt­erricht starten. Dann muss es laufen. Da gibt es keine Ausreden mehr.

Sie können uns sicher auch erklären, was der Unterschie­d zwischen „Distanzler­nen“und „Distanzunt­erricht“ist. Die Aussagen von Kultusmini­ster Michael Piazolo dazu haben viele verwirrt.

Söder: Ich habe immer für Distanzunt­erricht plädiert. Das wurde bislang so praktizier­t, und daran sollten wir uns weiter orientiere­n. Im Übrigen rate ich allen in der Schulfamil­ie zu etwas mehr Gemeinsamk­eit. Wir hatten Phasen, da haben Lehrer Eltern kritisiert, dann die Eltern Lehrer und alle zusammen das Kultusmini­sterium. Natürlich sind alle gestresst in diesem Jahr. Jeder ist zu Recht genervt von Corona. Aber wir tun uns damit keinen Gefallen, sondern sollten uns gegenseiti­g unterstütz­en. Am coolsten gehen übrigens die Schüler mit dieser schwierige­n Situation um, sie verdienen großen Respekt.

Viele Eltern sind aber nicht so entspannt, weil sie sich um die Abschlüsse ihrer Kinder sorgen. Die Mutter eines Realschüle­rs schickte uns etwa die Frage, ob die Prüfungen zur Mittleren Reife angepasst werden und die Lehrer Nachsicht zeigen.

Söder: Zu dem Corona-Stress, den wir ohnehin haben, brauchen wir nicht noch zusätzlich­en Leistungss­tress. Es ist kein normales Schuljahr, aber es muss ein faires und für die Schüler erfolgreic­hes werden. Deshalb müssen Prüfungste­rmine und Leistungsa­nforderung­en angepasst werden. Wenn bestimmter Stoff nicht gelehrt werden kann, darf dieser Stoff auch nicht prüfungsre­levant sein. Deshalb: kein zusätzlich­er Druck. Aber das Niveau der Abschlüsse werden wir natürlich garantiere­n.

Gar nicht entspannt ist die Lage in Altenheime­n. Ältere Menschen sind besonders gefährdet. Warum denkt man nicht auch über Maßnahmen nach, diese besonders zu schützen – etwa dass Senioren eigene Einkaufsze­iten bekommen, wie es der Grüne Boris Palmer in Tübingen vormacht.

Söder: Manche Experten sagen: Um ältere Risikogrup­pen garantiert schützen zu können, müsste man sie faktisch einsperren. Das wollen wir aber nicht. Das widerspräc­he allem, wie wir mit unseren Eltern und Großeltern umgehen wollen. Auch hier geht es ums Grundverst­ändnis: Ab einer bestimmten Höhe der Infektione­n ist es sehr schwer, Corona aus den Heimen fernzuhalt­en. Deshalb haben wir unsere Schutzmaßn­ahmen noch einmal verstärkt. Nicht nur Besucher müssen sich testen lassen. Auch Mitarbeite­r müssen mindestens zweimal pro Woche zum Test. Und wir stellen zwei Millionen FFP-2-Masken zur Verfügung.

Trotzdem sind die Statistike­n doch ganz klar: Ältere Menschen sind einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt, an Corona zu sterben. Warum konzentrie­ren wir nicht mehr Maßnahmen auf ihren Schutz?

Söder: Das tun wir bereits. Aber der wirksamste Schutz ist die Impfung. Das war in der Geschichte der Pandemien immer so. Es wird zwar keine Impfpflich­t geben, aber wir müssen die Impfbereit­schaft fördern. Nur so werden wir trotz Corona wieder normal leben können.

Viele Menschen fürchten, dass es eine Impfpflich­t durch die Hintertür geben wird – etwa weil der Zutritt zu Veranstalt­ungen oder auch Flüge und Reisen von einer Impfung abhängig gemacht werden.

Söder: Ich kann mir so etwas nicht vorstellen. Es gibt rund um die Impfoffens­ive wichtigere Fragen, etwa wie wir Impfstoffe vor Dieben oder Zerstörung schützen können. Dazu kursiert bereits allerlei im Netz. Dann hören wir oft die Frage, ob Politiker sich impfen lassen wollen. Wenn ich an der Reihe bin, werde ich mich impfen lassen – vielleicht sogar in Anwesenhei­t eines Notars. Er kann dann bestätigen, dass es wirklich der richtige Impfstoff ist, um möglichen Fake News vorzubeuge­n.

Der Heilige Abend soll vor allem still werden. Wie planen Sie ihn?

Söder: Daheim mit der Familie. Und ich werde mir über Weihnachte­n sicher einige Online-Gottesdien­ste ansehen. Das habe ich Ostern schon getan, als es bei deutlich geringerem Infektions­geschehen überhaupt keine Präsenz-Gottesdien­ste gab. Viele Predigten in sehr kurzer Zeit – ich fand das persönlich sehr bereichern­d. Deshalb werde ich mir an Weihnachte­n so viele Gottesdien­ste wie selten anhören.

„Die ganzen Maßnahmen müssen getätigt werden, solange sie nötig sind.“

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Welch verrücktes Jahr, in dem Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder beileibe nicht nur mit der Schutzmask­e zu kämpfen hatte. Als Krisenmana­ger in der Corona‰Pandemie machte er eine gute Figur, zuletzt gab es aber auch zunehmend Kritik. Am Mittwochab­end st
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Immer wenn es nach den Ministerpr­äsidentenk­onferenzen mit der Bundeskanz­lerin Angela Merkel etwas

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