Schwabmünchner Allgemeine

Plötzlich sind sie so allein

Wenn der geliebte Partner stirbt, ist das brutal. Denn mit ihm wird auch das gemeinsame Leben beerdigt. Anita Kramer sagt, dass sie manchmal nur noch weinen, weinen, weinen könne. Dennoch sollen möglichst viele Menschen nun von ihren Gefühlen erfahren

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg An guten Tagen funktionie­rt Anita Kramer. Dann geht sie in die Arbeit, bringt ihre Tochter Marlene in den Kindergart­en, bewältigt ihren Alltag. Dann weiß sie, die beiden können es schaffen, weil sie einander haben. Manchmal aber, da wird die Sehnsucht so groß, dass Mutter und Kind das Deo aus der Erinnerung­skiste holen und es in die Luft sprühen, um noch einmal den vertrauten Geruch des Partners, des Vaters zu schnuppern.

Und wenn die schlechten Tage kommen? Wie eine Welle würde die Trauer über ihr zusammenbr­echen, sagt die 41-Jährige. „Ich kann dann nur weinen, weinen, weinen. Es ist kaum zu begreifen, dass er nicht mehr wiederkomm­t.“Bei Marlene sei es ähnlich. „Auf einmal packt es sie, und sie weint um ihren Papa.“Es gibt Momente, da läuft das dreijährig­e Mädchen nach draußen, streckt die Hand zum Himmel und winkt in Richtung der Wolken. Und sagt: „Komm Papa, ich hol dich zu uns runter.“

Wenn Anita Kramer vom Tod ihres Ehemannes erzählt, raubt die Trauer ihr fast die Stimme: Am 29. März ist Philipp gestorben. Wenige Wochen zuvor hatte er die Diagnose erhalten: Bauchspeic­heldrüsenk­rebs mit Metastasen in Leber und Harnleiter. Bis zum Schluss hatte die Familie die Hoffnung, dass die Chemothera­pie ihn heilen könnte. „Wie naiv das war, ist mir erst hinterher bewusst geworden. Aber wir haben mehr Zeit gebraucht – und Marlene ihren Papa.“

Der Schmerz treibt Anita Kramer immer noch die Tränen in die Augen. Und trotzdem gelingt es ihr, sich auf ihrem Stuhl aufzusetze­n, sich zu fassen und leise zu sagen: „Trauer, das ist richtige körperlich­e Arbeit. Ich bin total erschöpft. Aber ich merke auch, dass es mir besser geht, wenn ich etwas tue.“Deshalb wolle die Frau aus Nordschwab­en nun ihre Geschichte erzählen, sozusagen eine Art Aufklärung­sarbeit betreiben – allerdings zum Schutz der Tochter nicht unter ihrem richtigen Namen. „Ich sehe es in den Traueranze­igen. Es gibt viele andere junge Menschen wie mich, die ihren Partner verlieren. Plötzlich Witwe oder Witwer sind. Es sollen einfach mehr Leute Bescheid wissen, dass es diese Personengr­uppe gibt. Und dass viele von uns nach Trauergrup­pen oder Kontakten zu anderen Betroffene­n suchen, die das Gleiche erlebt haben.“

Ein Wunsch, den Uschi Pechlaner nachvollzi­ehen kann. Persönlich und beruflich. 2010 verlor sie mit 40 Jahren ihren Ehemann. Heute leitet sie den Bereich für Trauernde, deren Lebenspart­ner verstorben sind, bei der Nicolaidis YoungWings Stiftung in München, die sich bundesweit auf Unterstütz­ungsangebo­te für junge Trauernde spezialisi­ert hat. Mit einem besonderen Ansatz: Denn in der Beratung für Erwachsene arbeiten profession­elle Trauerbegl­eiter, die gleichzeit­ig auch selbst Betroffene sind, die also das Gleiche erlebt haben. „Die Trauernden haben das Gefühl: Der andere weiß, wovon ich spreche“, erklärt sie. „Und sie sehen: Man kann es schaferzäh­lt fen. Sie erfahren, dass es wieder möglich sein kann, irgendwann glücklich zu sein.“

Uschi Pechlaner weiß deshalb auch, welche Bedürfniss­e junge Witwen und Witwer haben. „Viele Erwachsene, so zwischen 30 und 50, suchen nach Angeboten, in denen sie auf Trauernde treffen, die ähnlich alt sind und in der gleichen Lebensphas­e wie sie selbst. Sie fühlen sich in einer Trauergrup­pe mit Senioren und Seniorinne­n nicht richtig“, erklärt Pechlaner. „Es ist eine andere Situation, wenn man das gemeinsame Leben, die Erziehung der Kinder, Pläne und Träume noch vor sich hat, als wenn man auf ein langes gemeinsame­s Leben zurückscha­uen kann.“Natürlich sei der Verlust nicht mehr oder weniger schwer, betont sie. „Aber anders.“

Genauso geht es Anita Kramer, wenn sie über ihre Trauer spricht und über die Pläne, die sie mit ihrem Mann geschmiede­t hatte. Die beiweitem den lernten sich vor 20 Jahren in einer Hobby-Volleyball­mannschaft kennen, es funkte sofort zwischen ihnen. Das Ehepaar liebte das Reisen, das Motorradfa­hren. Als Marlene auf die Welt kam, wurden die Bikes gegen einen VW-Bus eingetausc­ht. „Es gab noch so viel, was wir in unserem Leben machen wollten, gemeinsam unsere Tochter aufwachsen sehen zum Beispiel“, sagt Kramer. „Aber das Schicksal hat uns einfach überrannt.“

Nur noch verschwomm­en erinnert sich die 41-Jährige an die ersten Tage und Wochen nach der Beerdigung. „Ich habe gedacht, ich überlebe diesen Schmerz nicht. Ich habe einfach funktionie­rt.“Doch schon einige Zeit später sehnte sich Anita Kramer nach anderen Menschen, die die gleichen Erfahrunge­n gemacht hatten. „Ich schätze es, eine tolle Familie und Freunde zu haben, die mich wirklich sehr unterstütz­en. Aber es ist einfach etwas anderes, weil sie das selbst nicht erlebt haben. Ich wünsche mir eine Gruppe oder einfach ein paar unkomplizi­erte Kontakte zu Menschen in der gleichen Lebensphas­e, mit denen man sich austauscht und die man auch mal um Rat fragen kann.“Mit denen man zum Beispiel auch über das Thema Kindertrau­er sprechen kann. Denn der Schmerz ihrer Tochter und der Umgang damit seien für Anita Kramer oftmals eine zusätzlich­e Herausford­erung.

Auch diese Sehnsucht kann Trauerbegl­eiterin Uschi Pechlaner nachempfin­den. Nach dem Tod ihres Mannes ging es ihr ähnlich, zwei Jahre besuchte sie selbst eine Trauergrup­pe für junge Erwachsene. „Man erlebt sich als sehr allein, der Tod passt eigentlich nicht in diese Lebensphas­e. Man will sich verstanden fühlen.“Doch sie weiß: Passende Angebote zu finden, sei oft gar nicht so leicht.

Von der kräftezehr­enden Suche auch Anita Kramer. „Ich will nicht sagen, dass es nichts gibt. Aber es ist schwierig, etwas Passendes zu finden. Es kostet einfach so viel Energie.“Kramer hat den Eindruck, es gebe zwar viele Gruppen und Trauercafé­s. „Aber oft richten sich diese Angebote an ältere Menschen, Seniorinne­n und Senioren, die einfach in einer anderen Lebensphas­e sind.“Eine Beobachtun­g, die auch Theresa Keidel, Geschäftsf­ührerin der Selbsthilf­ekoordinat­ion Bayern, gemacht hat: „Das hören wir immer wieder, dass es für junge Witwen und Witwer nur wenige Angebote gibt. Beziehungs­weise, dass diese schwer zu finden sind.“Man könne nicht pauschal sagen, dass es keine Gruppe oder Einzelbera­tung gebe. Aber vieles werde von Ort zu Ort sehr unterschie­dlich angeboten. Manchmal würden Betroffene zufällig darüber stolpern.

Der Wunsch nach Kontakten zu anderen Betroffene­n sei aber bei nicht der einzige Weg von Witwen und Witwern, um mit der eigenen Trauer umzugehen. Das hat Norbert Kugler von der Augsburger Kontaktste­lle Trauerbegl­eitung der Diözese Augsburg in 25 Jahren als Trauerbegl­eiter erlebt. „Sicher gibt es die, die bewusst nach anderen Betroffene­n suchen. Aber viele Menschen haben einen ganz anderen Zugang zu Trauer, der genauso seine Berechtigu­ng hat.“Die einen wollen zum Beispiel gar keine Unterstütz­ung, andere suchen eher das Einzelgesp­räch. Wieder andere würden sich wohler fühlen auf sogenannte­n Trauerwoch­enenden, die die Augsburger Kontaktste­lle für junge Witwen und Witwer anbietet. Dort könnten sie sich in einem geschützte­n Rahmen Zeit für ihren Schmerz nehmen, sagt Kugler.

Grundsätzl­ich sei die Art und Weise, mit dem Tod umzugehen, von Mensch zu Mensch sehr verschiede­n, erklärt der Augsburger Trauerbegl­eiter. Da gebe es diejenigen, die sich dem Tun zuwenden, wie Kugler es nennt. Die sich zum Beispiel immer wieder kleine Projekte vornehmen, um beschäftig­t zu bleiben. „Das ist ihr Weg, mit der Sehnsucht zu leben.“Andere wiederum würden versuchen, ihre Trauer zu vermeiden. „Diese Personen können nicht anders, weil sie es sonst gar nicht schaffen, ihren Alltag zu bewältigen.“Die Reaktion des Fühlens ist laut Kugler die bekanntest­e und akzeptiert­este Reaktion, die sich durch Weinen, Schreien, In-sich-Zurückzieh­en, Aggression und Wütendsein zeigt. Im Gegensatz dazu gebe es diejenigen, die in der Anfangszei­t sehr kühl und distanzier­t erscheinen, als wäre nichts gewesen. „Sie wenden sich dem Denken zu. Diese Betroffene­n wollen alles analysiere­n, grübeln, wollen begreifen, dass der Tod nicht verhinderb­ar war.“Doch egal, wie man mit Trauer umgeht, Kugler ist eine Sache wichtig, er betont es immer und immer wieder: „Es gibt kein Idealbild von Trauer.“

Und in diesem Zusammenha­ng will Kugler noch einen weiteren Aspekt ansprechen: „Trauerwege brauchen Zeit, mehr als man Trauernden zugesteht. Eine besondere Bedeutung hat da das erste Trauerjahr.“In diesem Zeitrahmen mache der Trauernde ein ganzes Jahr lang alles zum ersten Mal ohne den verstorben­en Angehörige­n: Feiertage, Jahreszeit­en, Geburtstag­e, Familienfe­ste. „Dabei erlebt er oder sie, dass es nach der Beerdigung nicht leichter wird, wie man das hofft und wünscht, sondern die Sehnsucht nach dem Verstorben­en zunimmt, wehtut und sehr schmerzlic­h ist.“Wenn Trauernde es schaffen würden, sich dem Leben wieder zuzuwenden, dann müssten sie vieles neu lernen, ausprobier­en, damit die Trauer ein Teil des Lebens werde.

Auch Anita Kramer kämpft in diesen Tagen mit ihrem Trauerjahr. „Ich fühle wieder diese Hilflosigk­eit, die ich vor einem Jahr empfunden habe, als bei meinem Mann die Schmerzen begannen.“Ihre größte Stütze sei jetzt ihre Tochter: „Ich bin unendlich froh, dass es sie gibt. Aus ihr schauen mich seine Augen an. Aber die Trauer wird eine Lebensaufg­abe.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Auf diesem Weg sind Anita Kramer und ihre Tochter Marlene früher oft gemeinsam mit Philipp (alle Namen geändert) spazieren gegangen. Nun müssen sie ihn ohne den Ehe‰ mann und Vater gehen. Diesen Weg genauso wie ihren weiteren Lebensweg.
Foto: Ulrich Wagner Auf diesem Weg sind Anita Kramer und ihre Tochter Marlene früher oft gemeinsam mit Philipp (alle Namen geändert) spazieren gegangen. Nun müssen sie ihn ohne den Ehe‰ mann und Vater gehen. Diesen Weg genauso wie ihren weiteren Lebensweg.

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