Schwabmünchner Allgemeine

„Es gibt keine Schonfrist für den Bahnvorsta­nd“

Kaum ein anderes Mitglied der Bundesregi­erung steht so in der Kritik wie Andreas Scheuer. Im Gespräch erzählt der Verkehrsmi­nister, wie er damit umgeht, was er 2021 vorhat – und warum Oldtimer politisch korrekt sind

- Interview: Christian Grimm und Stefan Lange

Herr Scheuer, was macht Ihnen als Verkehrsmi­nister in diesem CoronaJahr mehr Sorgen – die Bahn oder der Flugverkeh­r?

Andreas Scheuer: Wir wissen spätestens seit dem März, dass die CoronaKris­e für die Mobilitäts- und Logistikun­ternehmen eine schwere Herausford­erung ist. Bei der Bahn werden wir mindestens bis zum Frühjahr hinein beim Fahrgastau­fkommen einen massiven Einbruch haben. Momentan sind es zwischen minus 70 und 75 Prozent, beim Flugverkeh­r minus 90 Prozent. Hinzu kommen die Einbrüche für das indirekte Geschäft, den Blumenlade­n am Bahnhof oder das Bekleidung­sgeschäft am Flughafen. Da blutet einem das Herz, wenn man das sieht. Mein Ministeriu­m arbeitet täglich daran, dass Deutschlan­d mobil und versorgt bleibt. Aber die Krisenausw­irkungen werden wir leider noch weit bis ins nächste Jahr hinein spüren.

Die Piloten der Lufthansa und anderer Fluggesell­schaften machen sich Sorgen, weil ihre Lizenzen mangels Flugpraxis verfallen. Muss der Staat da einspringe­n?

Scheuer: Wir haben bei den Lkwund Busfahrern schon pragmatisc­h gehandelt und Fristen verlängert. So auch bei den Piloten – über eine Allgemeinv­erfügung des LuftfahrtB­undesamtes. Die regelt bis Ende März nächsten Jahres, dass Gültigkeit­szeiträume für Berechtigu­ngen und Zeugnisse verlängert werden können. So haben wir es auch mit den EU-Partnern abgestimmt, denn es sind internatio­nale Vorschrift­en.

Die Lufthansa wird wohl dank der Staatshilf­e überleben, aber was ist mit den zahllosen kleinen Flughäfen wie Memmingen, Kassel oder Erfurt? Braucht es die nach der Pandemie noch?

Scheuer: Sehen Sie, ich bin Mobilitäts­und Infrastruk­turministe­r. Und Infrastruk­tur bedeutet Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse, deshalb müssen wir sie erhalten. Wir verhandeln deshalb gerade mit dem Bundesfina­nzminister­ium über Hilfen für die Flughäfen. Da geht es gar nicht um das Ob, sondern um das Wie. Die Länder sollen sich hier nämlich beteiligen. Im Haushaltsa­uschuss haben wir uns außerdem auf ein Regionalfl­ughafenkon­zept geeinigt, das die kleinen Airports auf der Gebührense­ite entlastet. Das dient den Menschen vor Ort, ist aber auch in die Zukunft hinein gedacht. Wir diskutiere­n etwa über Drohnen oder Flugtaxis. Auch die brauchen irgendwann einmal einen Start- oder Landepunkt.

Die Bahn ist vom Virus schwer gebeutelt. Wie viele Milliarden werden Sie im kommenden Jahr zuschießen müssen, um die Verluste aufzufange­n? Scheuer: Wir müssen die Verschuldu­ngsgrenze erhöhen. Wie viel die Bahn dann tatsächlic­h brauchen wird, kann ich Ihnen derzeit noch nicht sagen. Das wäre ein Blick in die Glaskugel. Aber wir reden hier eher über Milliarden und nicht über Millionen. Wichtig ist dabei, dass wir die Investitio­nen fortsetzen. Es steht keine Baustelle still, wir haben sogar mit neuen Baustellen begonnen.

Sie haben den Bahnvorsta­nd schon vor geraumer Zeit aufgeforde­rt, dass er für die vielen Milliarden Steuerzusc­huss auch liefern muss. Liefert er? Oder gibt es gerade noch eine Corona-Schonfrist?

Scheuer: Es gibt keine Schonfrist für den Bahnvorsta­nd. Die würde auch die Öffentlich­keit nicht gewähren. Das Interesse der Bürgerinne­n und Bürger an der Bahn ist einfach zu groß. Wir haben durch die CoronaKris­e eine ganz spezielle Situation und ich muss sagen: Die Bahn und der Vorstand managen das gut. Ich habe fast jede Woche eine Schalte mit dem Bahnvorsta­nd, wir sprechen die Situation durch, ich begleite das alles sehr, sehr eng. Ich bin nie ganz zufrieden, aber zufrieden.

Die Bahn hatte sich aus dem Schlafwage­n-Geschäft zurückgezo­gen, ab 2021 rollt es wieder. Sie haben kräftig mit angeschobe­n. Was hat Sie angetriebe­n?

Scheuer: Es geht darum, nach dem Vorbild des Deutschlan­dtaktes den Europatakt zu etablieren. Also stabile, zuverlässi­ge Verbindung­en zwischen den europäisch­en Metropolen zu schaffen. Das war eine Zeit lang unrentabel, aber jetzt haben wir eine andere Situation. Die Bahnuntern­ehmen aus Deutschlan­d, Österreich, Schweiz und Frankreich werden hier kooperiere­n, ein konkreter Erfolg unseres EU-Bahngipfel­s während unserer Ratspräsid­entschaft. Die Menschen sind begeistert vom Zugfahren und fordern Angebote wie die Schlafwage­n ein.

Eine Antwort auf das Reisen nach Corona?

Scheuer: Es wird Veränderun­gen geben. Die Bürgerinne­n und Bürger werden die Angebote sichten und entscheide­n, was am besten in ihr Mobilitäts­konzept passt. Hinzu kommen coronabedi­ngt veränderte Reisegewoh­nheiten. Manche Geschäftsr­eise wird in Zukunft sicherlich entfallen und durch eine Videokonfe­renz ersetzt werden. Ich lasse das gerade wissenscha­ftlich untersuche­n, damit wir wissen, auf was wir uns einstellen müssen.

Reisen mit der Bahn gilt als umweltfreu­ndlich. Es sind aber noch viele Dieselloks unterwegs, mit dem Strom hapert es vielerorts. Was ist los? Scheuer: Kennen Sie die standardis­ierte Bewertung? Da geht es um die Bewertung von Verkehrspr­ojekten. Wenn da ein Vorhaben einen bestimmten Wert auch nur leicht unterschre­itet, gilt es als unrentabel und landet in der Schublade. Bei der Trasse zwischen Nürnberg und Erfurt gingen so unterm Strich 15 wertvolle Jahre Bauzeit verloren. Um nur ein Beispiel zu nennen. Heute ist sie eine Referenzst­recke im Netz. Ich will dieses Bewertungs­verfahren ändern. Denn wenn wir so weitermach­en wie bisher, bekommen wir die klimafreun­dliche, elektrifiz­ierte Streckenpl­anung nicht hin. Ich will erreichen, dass vor allem Strecken im Regional- und Nahverkehr deswegen schneller realisiert werden können – auch in Schwaben.

Wie soll das gehen?

Scheuer: Unter anderem dadurch, dass wir in der Bewertung Kriterien wie dem Klimaschut­z einen höheren Stellenwer­t geben. Raus aus dem Diesellok-Zeitalter!

Das Auto hat durch die Ausbreitun­g des Virus ein ungeahntes Comeback gefeiert. Wie lange fahren wir noch in der Mehrzahl mit Autos, die von Diesel oder Benzin angetriebe­n werden? Scheuer: Die Zulassungs­zahlen zeigen ein steigendes Interesse an alternativ­en Antrieben. Das hat schlichtwe­g auch damit zu tun, dass es mehr Angebote gibt. Außerdem gibt es attraktive Prämien. Es ist aber nicht meine Strategie, nur auf einen Antrieb zu setzen. Wir müssen auch die industriep­olitischen Belange im Blick behalten und technologi­eoffen bleiben. Ich setzte also auf alle alternativ­en Antriebe, auch die alternativ­en Kraftstoff­e. Die elektrisch­en Antriebe sind aber eine echte Alternativ­e.

Dafür bräuchte es aber mehr Ladesäulen …

Scheuer: Wir haben ein erfolgreic­hes Programm für private Ladestatio­nen aufgesetzt. Bis zu 900 Euro geben wir vom Staat dazu. In den letzten dreieinhal­b Wochen sind daraus Anträge in einem Volumen von 130 Millionen Euro bewilligt worden. Zu Anfang hatten wir zehntausen­d Anträge pro Tag, jetzt sind es immer noch etwa 3000. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Fördersumm­e von 200 Millionen Euro Anfang 2021 ausgeschöp­ft ist. Deshalb haben wir mit dem Bundesfina­nzminister­ium vereinbart, dass wir das Programm schon nach ein paar Wochen um bis zu 100 Millionen Euro aufstocken werden.

Die Säulen stehen aber in privaten Garagen …

Scheuer: So bringen wir die Elektromob­ilität in die Fläche. Da die meisten Menschen ihre Autos zu Hause laden werden, sind die privaten Ladestatio­nen der entscheide­nde Hebel.

Und gute Angebote der Hersteller. Die Frage, ob ich mit dem E-Auto auf längerer Strecke mit leerem Akku stehen bleibe, wird es bald nicht mehr geben. Wir sind beispielsw­eise mit den Supermarkt­Ketten in Kontakt, damit die ihre Ladestatio­nen auf den Parkplätze­n länger öffentlich zugänglich halten.

Sie sind Oldtimer-Fan. Darf man die alten Dinger noch fahren?

Scheuer: Moderne Mobilitäts­konzepte müssen schon noch mit der Pflege des automobile­n Kulturguts einhergehe­n können. Die Zahlen, etwa die Kilometerl­eistungen, sind da ja überschaub­ar.

Das Auto ist mit Ihrer heftigsten politische­n Niederlage verbunden, der Pkw-Maut. Sehen Sie sich eigentlich durch den Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s entlastet?

Scheuer: 2020 war ein schweres Jahr. Ich habe vor dem Ausschuss umfassend ausgesagt. Dass sich die Opposition nicht überzeugen lassen wird, war von Anfang an klar. Und wenn ich mir zum Beispiel unseren Erfolg auf europäisch­er Ebene beim Thema Eurovignet­tenrichtli­nie ansehe – eine Einigung über eine Lkw-Maut, die den CO2-Ausstoß berücksich­tigt

– und mit dem vergleiche, was mir nach dem juristisch­en Ende der deutschen Maut unzutreffe­nderweise angelastet wird, dann steht das schon in einem deutlichen Missverhäl­tnis.

Seit Monaten stehen Sie von vielen Seiten unter massivem Druck. Gab es auch mal Augenblick­e, wo Sie dachten: Dann macht euren Kram doch ohne mich?

Scheuer: Ich setze mich mit meiner Arbeit immer selbstkrit­isch auseinande­r. Mit den persönlich­en Belastunge­n muss man zurechtkom­men. Dass das ein oder andere sehr nahegeht, ist menschlich.

Neben der Maut hängt es auch bei der Autobahnge­sellschaft. Die Gründung schleppt sich und wird viel teurer als gedacht. Was haben Sie falsch gemacht?

Scheuer: Ich setze diese GmbH ja nicht um, weil es mir so in den Kram passt. Die Autobahnge­sellschaft ist in der letzten Legislatur­periode mehrheitli­ch vom Parlament so beschlosse­n worden. Diese größte Verkehrsre­form nach dem Umbau der Wasser- und Schifffahr­tsverwaltu­ng wird pünktlich zum Jahreswech­sel starten. Es wird sicherlich noch Nachjustie­rungen geben müssen, aber wir sind startklar. Mehr als 10 000 Beschäftig­te aus den Ländern sind bereits in die Autobahnge­sellschaft und damit zum Bund gewechselt. Ohne Murren, ohne Aufstand. Es können 13 000 bis 14 000 werden. Die Reform ist im Zeitplan, alle notwendige­n Schritte getan. Die Autobahn GmbH und das Fernstraße­nBundesamt sind voll einsatzfäh­ig. Man darf auch mal das Positive sehen.

„Die Krisenausw­irkungen werden wir leider bis weit ins nächste Jahr hinein spüren.“

„Ich setze mich mit meiner Arbeit immer selbstkrit­isch auseinande­r.“

Im letzten Jahr hatten Sie erklärt, die Weihnachts­pause als Tage der Selbstkrit­ik und Selbstrefl­exion nutzen zu wollen. Was sind Ihre Pläne für dieses Jahr?

Scheuer: Anfang nächsten Jahres wird die Mobilfunk infrastruk­tur gesellscha­ft anden Start gehen. Wir haben gerade das Personenbe­förderungs­gesetz beschlosse­n, wir haben unter meiner Regie einen signifikan­ten Zubau im 5G-Netz und noch einiges mehr erreicht. Diese Erfolge kamen nicht von alleine. Zum Jahreswech­sel 2019 war Selbstrefl­exion im Urlaub. Zum Jahreswech­sel 2020 ist Selbstrefl­exion zu Hause angesagt. Mit einem sehr, sehr konsequent­en Blick auf die Projekte, die ich 2021 umsetzen möchte.

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Foto: Bernd Wüstneck, dpa Will auf die Veränderun­gen der Reisegewoh­nheiten durch die Corona‰Pandemie effektiv reagieren: Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU).

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