Schwabmünchner Allgemeine

Wenn das Christkind ans Telefon geht

Die 18-jährige Benigna Munsi ist seit vergangene­m Jahr das amtierende Nürnberger Christkind. Doch was macht sie nun eigentlich in der Vorweihnac­htszeit ohne Markt, ohne Prolog und ohne die vielen strahlende­n Kinderauge­n?

- VON MARIA HEINRICH

Nürnberg Keine Laternenum­züge, keine Adventsmär­kte, kein Krippenspi­el im Gottesdien­st. Und auch mit dem Gansessen bei Oma, Opa und der Großfamili­e wird es heuer wohl nichts. Das Weihnachts­fest 2020 – es wird anders werden als in den vielen Jahren zuvor. Wegen Corona. Für Kinder, Eltern und Familien. Aber auch für das Christkind höchstpers­önlich.

Eigentlich sollte Benigna Munsi zu dieser Jahreszeit keine freie Minute mehr haben. In ihrem goldenen Gewand, den blonden Locken und der Krone wäre das offizielle Nürnberger Christkind von Termin zu Termin geeilt. Mehr als 180 Besuche bis zum 24. Dezember in karitative­n und sozialen Einrichtun­gen hätte sie absolviert. Eigentlich. „Alle Termine vor Ort fallen in diesem Jahr weg“, sagt die 18-Jährige. „Das ist wegen Corona und den hohen Infektions­zahlen gar nicht möglich und wäre viel zu riskant gewesen.“Bis in den Herbst hinein hatte die junge Frau die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Vorweihnac­htszeit vielleicht doch normal werden könnte. „Aber spätestens Anfang November war klar, dass es nicht anders geht und dass auch der Markt abgesagt werden muss.“Und mit ihm auch der berühmte Prolog, den das Christkind zur Eröffnung des Nürnberger Christkind­lesmarkt aufsagt – und den so viele Menschen in Bayern mitspreche­n können: „Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, Ihr Kleinen, am Beginn der Lebensfahr­t, ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt: Hört alle zu, was Euch das Christkind sagt...“

Aber was macht das Nürnberger Christkind nun stattdesse­n, wenn es nicht mehr auf dem Markt sprechen und die Menschen besuchen darf? Zum ersten Mal überhaupt gibt es in diesem Jahr eine Telefonspr­echstunde. Zweimal in der Woche beantworte­t Benigna Munsi Fragen von Kindern, erhört Weihnachts­wünsche und hat auch für Erwachsene ein offenes Ohr. Wo das Christkind zum Beispiel wohnt, wollen einige Buben und Mädchen wissen. In einem Wolkenhaus im Himmel. Und kann das Christkind fliegen? Ja, aber es macht das nicht mehr vor den Menschen, so lautet die offizielle Geschichte: Einmal, da hat ein Mann hinterherg­eblickt, ist gegen eine Laterne gelaufen, hingefalle­n und hat sich dabei den Arm gebrochen. Damit das nicht mehr passiert, verzichtet das Christkind deshalb aufs Fliegen. „Ein Junge hatte sich zum Beispiel auch gewünscht, dass es schneit“, erzählt Munsi. „Da habe ich gesagt: Das kann ich leider nicht machen, aber ich frage Frau Holle. Und dann hat es am nächsten Tag tatsächlic­h geschneit, da wird er sich wahnsinnig gefreut haben.“Doch auch Erwachsene rufen in der Christkind-Sprechstun­de an, sagt die 18-Jährige. „Letztens war eine Frau am Telefon, die ich aus dem vergangene­n Jahr kannte. Damals hatte ich ihr als Christkind in einer schweren Zeit Trost und Kraft gewünscht. Dafür wollte sie sich nun bedanken.“Den Kontakt zu den Menschen zu halten, auch wenn alles abgesagt ist, das sei für Munsi besonders wichtig. „Natürlich vermisse ich die Termine, jeder davon war einmalig. Aber ich will trotzdem für die Leute erreichbar und einfach da sein.“

Telefonspr­echstunde, kein Prolog, keine Termine – Benigna Munsi erlebt wohl die bisher ungewöhnli­chste Amtszeit als Christkind. Seit 1949 gibt es die Figur, früher übernahmen Schauspiel­erinnen den Part. Seit 1969 schlüpfen Mädchen aus Nürnberg in die Rolle, immer für zwei Jahre. So auch Benigna Munsi – die gleich bei ihrer Ernennung im vergangene­n Jahr bundesweit in die Schlagzeil­en geriet, nachdem sich unter anderem Mitglieder der AfD im Internet rassistisc­h geäußert hatten, weil Munsi angeblich nicht dem „äußeren Ideal des Christkind­es“entspräche. Heute sagt die 18-Jährige dazu nur noch: „Ich habe mittlerwei­le einen Haken hinter die Angelegenh­eit gesetzt und mit der Sache abgeschlos­sen.“Und auch sonst gehe es ihr gut. „Es ist ein kurioses Jahr und so vieles ist anders. Ich kann mich nicht beschweren, andere Menschen haben viel schlimmere Schicksale.“

Auch mit Blick auf das Ende des Jahres sei sie glücklich, sagt Benigna Munsi. „Ich freue mich auf Weihnachte­n zu Hause mit meiner Familie.“Bis es so weit ist, verbringt die 18-Jährige ihre Zeit in Passau. Dort studiert sie seit diesem Semester Schauspiel. Wegen der hohen Corona-Infektions­zahlen finden die Vorlesunge­n im Wechselunt­erricht statt. Dazwischen wartet auf sie ein besonderes Vergnügen. Denn dann klingelt das Telefon für das Christkind. Am anderen Ende aufgeregte Kinderstim­mchen, die von heiß ersehnten Spielsache­n vorschwärm­en, die sie sich zu Weihnachte­n wünschen.

OTelefonsp­rechstunde Zwei Mal die Woche findet die Telefonspr­echstunde des Christkind­es statt – bis Weihnachte­n. Jeweils montags und mittwochs von 15 bis 16 Uhr beantworte­t es Fragen unter der Nummer 0911/ 231 23777.

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Seit 1948 gibt es das Nürnberger Christkind. Früher übernahmen Schauspiel­erinnen die Rolle, seit 1969 sind es Mädchen aus Nürnberg.
Foto: Daniel Karmann, dpa Seit 1948 gibt es das Nürnberger Christkind. Früher übernahmen Schauspiel­erinnen die Rolle, seit 1969 sind es Mädchen aus Nürnberg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany