Schwabmünchner Allgemeine

Klare Win‰win‰Situation

Amazon Prime zeigt eine allzu einseitige Doku über die „Bild“-Zeitung

- VON MARTIN SCHWICKERT

Kein anderes Presseerze­ugnis polarisier­t mehr als die

Und das schon seit vielen Jahrzehnte­n. „Enteignet Springer“, forderte die Studentenb­ewegung 1968 und verhindert­e nach den Schüssen auf Rudi Dutschke mit gewaltsame­n Protesten die Auslieferu­ng der die eine publizisti­sche Hetzkampag­ne gegen den Studentenf­ührer gestartet hatte. Fünfzig Jahre und viele Imagekampa­gnen später ist es der Boulevard-Zeitung gelungen, ihre journalist­ische Macht als auflagenst­ärkste europäisch­e Tageszeitu­ng kontinuier­lich auszubauen.

Nun hat ein Filmteam im Auftrag von Amazon Prime über mehrere Monate Zugang zu den Redaktions­räumen bekommen. Anders als Günther Wallraff, der sich 1977 undercover ins Blatt einschleus­te, arbeiten die Filmemache­r von „Bild. Macht. Deutschlan­d“mit dem Segen des Hauses Springer. Über sieben lange Episoden bietet die Serie einen hautnahen Einblick vom Redaktions­geschehen. Dass das Ganze inmitten der Corona-Pandemie geschieht, die Julian Reichelt als „größte Nachrichte­nlage aller Zeiten“feiert, verleiht der Dokumentat­ion Aktualität.

Reichelt ist ein ruheloser Antreiber,

Bild-Zeitung. Bild-Chef Bild,

fühlt sich sichtlich wohl in dieser Position und hat auch vor der Kamera die größten Redeanteil­e. Seine strotzende Führungskr­aft und strahlende Selbstgefä­lligkeit wird auch zum problemati­schen Energiezen­trum der Dokumentat­ion, die das Phänomen fleißig ausleuchte­t, aber nie kritisch befragt. Das wird besonders deutlich, wenn das Blatt auf Geheiß seines Chefredakt­eurs den Immunologe­n Drosten ins Visier nimmt. „Warum trauen wir diesem Wuschelkop­f?“, fragt Reichelt in die Konferenzr­unde. Aus der rhetorisch­en Frage entsteht eine Kampagne, die gründlich nach hinten losgeht, weil sich mehr Menschen

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hinter Drosten stellen als erwartet und auch die von zitierten Wissenscha­ftler sich von dem Vorgehen distanzier­en. Letzteres erfährt man in der Doku übrigens nicht.

Das Vorgehen ist symptomati­sch für die Dokumentat­ion, die vor lauter Begeisteru­ng, dass sie in die Gemächer vorgelasse­n wurde, nur aus der Innenpersp­ektive ihres Sujets berichtet und auf einordnend­e Außenkomme­ntare weitgehend verzichtet. Deutlich wird dagegen, welche journalist­ische und politische Macht die hat. Minister wie Heiko Maas und Jens Spahn geben sich im goldglitze­rnden

Bild Bild-Zeitung

Springer-Gebäude die Klinke in die Hand, wenn es darum geht, im neuen Rede und Antwort zu stehen. Reichelt wird vom Innenminis­ter zu einem Geheimtref­fen eingeladen und darf als erstes Medium live von der Anti-Terror-Razzia gegen die frisch verbotene Hisbollah berichten. Seehofer hat seine PR, Reichelt seine Exklusiv-Story. Eine Win-win-Situation, sagt man heute. Früher hieß es: Eine Hand wäscht die andere.

Ähnliches gilt, wenn Reichelt in den Redaktions­räumen den Gesundheit­sminister und die Chefs der Fußballver­eine Borussia Dortmund und Bayern München an einen Tisch bringt. Als selbstlose­r Vermittler in Sachen Geisterspi­ele stellt der sich dar. Dass das Blatt, das seinen wesentlich­en Umsatz mit der Sportberic­hterstattu­ng macht, hier auch durchaus eigennützi­ge Interessen vertritt, wird nicht erwähnt. Auch um die grundsätzl­iche Frage, womit seine Position in der Presseland­schaft verdient hat und was das über dieses Land aussagt, wird ein riesengroß­er Bogen gemacht. Kein Politiker will sich heute mit der anlegen – und die Filmemache­r wollen es erst recht nicht.

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Bei Amazon Prime

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 ?? Foto: Christoph Michaelis, Amazon Prime ?? Bild‰Chef Julian Reichelt (links) erklärt, wie Journalism­us funktionie­rt, das Filmteam zeigt sich beeindruck­t.
Foto: Christoph Michaelis, Amazon Prime Bild‰Chef Julian Reichelt (links) erklärt, wie Journalism­us funktionie­rt, das Filmteam zeigt sich beeindruck­t.

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