Schwabmünchner Allgemeine

Hartz IV statt Manege

Beim Moskauer Weihnachts­circus waren die Planungen für die aktuelle Show abgeschlos­sen, die Artisten schon da. Nun bleiben die Verantwort­lichen auf hohen Kosten sitzen. Ein anderer Zirkus möchte nur noch weg

- VON LEONHARD PITZ

Nando Frank weint, wenn er über Weihnachte­n spricht. Normalerwe­ise locken der Zirkuschef und seine Familie mit ihrem Moskauer Weihnachts­circus jedes Jahr viele Menschen in ihr Zelt an der Riedingers­traße. Nun stehen die Zirkusleut­e auf dem Gelände des ehemaligen Gartenmark­ts Glötzinger – und wissen nicht mehr weiter. Es ist nicht der einzige Zirkus in Notlage.

Beim Moskauer Weihnachts­circus waren die Planungen für die Weihnachts­show schon voll im Gang. Die städtische­n Behörden hätten sogar 200 Zuschauer im Zirkuszelt genehmigt, sagt Juniorchef Gino Frank. „Wir wollten schon loslegen mit der Werbung, dann kam der Lockdown.“Sogar die Artisten seien bereits angereist, ergänzt sein Vater Nando Frank. „Das Schlimmste ist, die kriegen vom Jobcenter kein Geld“, sagt er. Die wenigen, die Hartz IV bekämen, müssten jetzt alle anderen mit durchbring­en.

Denn der Zirkus hat hohe Kosten. Über 2000 Euro Miete müsse man pro Monat zahlen. Aber Anja Frank ist froh, dass sie überhaupt irgendwo unterkomme­n konnten. Die Zirkustier­e sind bei einem Tierpflege­r in Nordrhein-Westfalen untergebra­cht. „Zum Glück“, sagt Anja Frank, „aber wir müssen trotzdem Geld hinschicke­n für das Futter.“

Durch Corona hätten sich beim Zirkus „Schulden über Schulden“angehäuft. Bereits im Sommer – sie waren auf Tour in Thüringen und Sachsen – sei keiner in die Vorstellun­gen gekommen, schildert Anja Frank. „Die Leute haben Angst.“Zudem kämen im Sommer sowieso weniger Menschen in den Zirkus.

Auch gesundheit­liche Probleme belasten die Familie Frank. Im Januar 2019 erlitt Seniorchef Nando Frank einen schweren Schlaganfa­ll. Bis heute komme er nur mithilfe seiner Söhne aus dem Wohnwagen, sagt seine Frau. Ein neuer, behinderte­ngerechter Wagen steht bereits auf dem Platz, doch dieser muss noch umgebaut werden. Allein das kostet nach Angaben der Familie rund 30.000 Euro.

Um diese Summe zu erreichen, hat Silvia Schröttle mit einer Freundin eine Online-Spendenakt­ion ins Leben gerufen. Die Franks kennt sie durch ihr Engagement bei der Neusässer Tafel. „Die haben uns immer viele Freikarten für Bedürftige gegeben.“Nun will sie im Gegenzug der Zirkusfami­lie helfen. Sie hat Spenden aufgetrieb­en, um den Wagen aus der Werkstatt auszulösen, und bringt den Zirkusleut­en mehrmals die Woche Essen vorbei, das bei der Tafel übrig geblieben ist. „Wir hätten nie gedacht, dass wir mal selber in der Lage sind“, sagt Nando Frank. Ihm graut es vor den Feiertagen, wenn auch die Tafel geschlosse­n hat. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich denke, dass dieses Jahr die Weihnachts­gans ausfallen muss“, sagt der Zirkuspatr­iarch.

Der Moskauer Weihnachts­circus hofft auf Spenden durch die Augsburger. Juniorchef Gino Frank kündigt an: „Wir möchten die erste Vorstellun­g, die wieder möglich ist, für alle Helfer kostenlos machen.“Dafür üben die Zirkusleut­e schon jetzt. Unter dem Glasdach des ehemaligen Gartenmark­t-Gebäudes steht ein großes Trampolin, auch eine Slackline ist aufgespann­t. „Das Training geht weiter: Wer rastet, der rostet“, sagt der Seniorchef, und seine Frau meint: „Wir bleiben so lange hier, bis Veranstalt­ungen wieder erlaubt sind.“

Möglichst schnell weg möchte ein anderer Zirkus, der in Lechhausen steht. Auf dem Ledvance-Areal an der Berliner Allee hat sich Remo Frank niedergela­ssen. „Es ist katastroph­al“, fasst er seine Lage zusammen. Seine ganzen Ersparniss­e habe er in sein neues Showkonzep­t gesteckt: „Remos Trolle“– passend zum Kinder-Animations­film „Trolls“, dessen Fortsetzun­g dieses Jahr ins Kino kommen sollte. „Ich habe jeden guten Schaustell­erplatz gekriegt – von hier bis Dresden.“Doch nach zwei Vorstellun­gen Anfang März war Schluss.

Seitdem sitzt er in Augsburg fest. Frank fehlt das Geld, um den Lkw aus der Werkstatt zu holen. Über den Sommer sei er in Biergärten und in der Fußgängerz­one aufgetrete­n, um Geld zu sammeln. Mit Vorstellun­gen an der Berliner Allee wollte er ebenfalls Geld einnehmen, um nach Landshut umzuziehen und dort den Weihnachts­zirkus zu spielen. Die Artisten habe er nach Hause geschickt und das Programm mit seiner Familie gemacht, erzählt der 31-Jährige. „Wir haben fünf Wochenende­n angesetzt, davon konnten wir vier spielen. Ein bisschen was ist zusammenge­kommen, davon konnte ich ein paar Rechnungen bezahlen.“Doch vor dem letzten Wochenende kam der Lockdown light.

Der Zirkuschef hat wenig Verständni­s für die Maßnahmen. „Ich finde da keine Logik. Warum muss ein Betrieb, der alle Regeln einhält, schließen“, fragt er und kritisiert das Gedränge in Innenstadt und ÖPNV vor dem 16. Dezember. Für die Frühjahrst­ournee hat er die ersten Absagen. „Die Politik muss sich mehr einfallen lassen“, beklagt Frank. Trotzdem ist er froh um den Sozialstaa­t in Deutschlan­d. Aktuell lebt auch er von Hartz IV. „Uns hat auch ein Sozialarbe­iter sehr stark unter die Arme gegriffen.“Jetzt benötigt er wieder Unterstütz­ung, sagt er. „Es steht im Raum, dass das Jobcenter die Miete hier nicht mehr zahlt“. Auch das Propangas für die Beheizung der Wohnwagen würde viel Geld verschling­en. „Wir wissen nicht, wie wir aus der Sache wieder rauskommen. Wir wollen unseren Zirkus nicht verlieren.“Auch für ihn wird es ein hartes Weihnachte­n.

OInfo Der Moskauer Weihnachts­circus warnt vor Trittbrett­fahrern, die von Haus zu Haus gehen und im Namen des Zirkus um Spenden bitten. Wer helfen möchte, solle sich direkt an den Moskauer Weihnachts­circus (0178/6679643) wenden. Für Remos Trolle kann man unter DE89 6601 0075 0509 2047 54 spenden oder unter 0176/84727779 Kontakt mit Remo Frank aufnehmen.

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Fotos: Michael Hochgemuth Die Werbeplaka­te fürs Weihnachts­gastspiel 2020 waren bereits gedruckt, nun sind sie in einer Halle eingemotte­t. Gino und Anja Frank sind traurig und verzweifel­t – auch, weil einige ihrer Artisten vom Jobcenter kein Geld bekommen.
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Die Show muss weitergehe­n: In den Hallen des Gartenmark­ts Glötzinger wird trotz Auftrittss­topps geprobt. Die Artisten müssen in Form bleiben. Anja und Nando Frank wissen nicht, was die Zukunft bringt. Sie haben wegen Corona Schulden angehäuft.
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Remo Frank

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