Schwabmünchner Allgemeine

Droht Augsburg 2021 eine Insolvenzw­elle?

Firmen und Selbststän­dige in der Stadt leiden unter den Pandemie-Maßnahmen. Zwar ging die Zahl der Pleiten 2020 noch zurück, doch Experten sehen nun mehrere Gefahren

- VON JAN KANDZORA

Die Zahlen wirken paradox: Da treffen viele der Corona-Maßnahmen Selbststän­dige und Firmen enorm hart, zwingen sie oftmals zur Schließung ihrer Betriebe – doch offiziell pleitegega­ngen sind in Augsburg und Umgebung 2020 nicht mehr Unternehme­n als im Vorjahr. Im Gegenteil: Betrachtet man sich die Daten des Amtsgerich­tes, bei dem die Firmenplei­ten in der Region angemeldet werden, gibt es im Vergleich zu 2019 gar einen deutlichen Rückgang. Waren es dieses Jahr bis einschließ­lich November 347 sogenannte Regelinsol­venzen, die beim Amtsgerich­t beantragt wurden, waren es im gesamten Vorjahr 578. Eine so deutliche Differenz, dass der Dezember in der Gesamtbetr­achtung keinen großen Unterschie­d machen dürfte. Diese überrasche­nde Entwicklun­g hat einen Grund, der nach Ansicht von Experten durchaus Gefahren birgt, sowohl für gesunde Unternehme­n als auch für Firmenchef­s.

Hintergrun­d sind verschiede­ne Maßnahmen der Politik, die den in der Corona-Krise in Bedrängnis geratenen Unternehme­n Luft und Zeit verschaffe­n sollen. So wurde etwa die gesetzlich­e Pflicht, eine drohende Zahlungsun­fähigkeit oder die Überschuld­ung sofort gerichtlic­h anzuzeigen, ausgesetzt. Normalerwe­ise sind Geschäftsf­ührer verpflicht­et, nach Eintritt von Zahlungsun­fähigkeit oder Überschuld­ung innerhalb von drei Wochen den Antrag auf Insolvenz einzureich­en.

Die aktuellen Zahlen zeigen also aller Wahrschein­lichkeit nach kein realistisc­hes Bild der tatsächlic­hen wirtschaft­lichen Lage, Amtsgerich­ts-Sprecherin Simone Bader sagte unserer Zeitung bereits im Juni, dass man „einen sehr starken Anstieg bei den Anträgen“erwarte und dafür auch entspreche­nde Indizien habe. Häufig gingen einem Anstieg der Insolvenzz­ahlen entspreche­nde Zivilklage­n voraus. Das Amtsgerich­t Augsburg ist bei Insolvenzs­achen insgesamt zuständig für den Großraum Augsburg sowie den Landkreis Landsberg am Lech.

Seit dem 1. Oktober gibt es eine neue Regelung. Seither müssen Firmen, die vor der Zahlungsun­fähigkeit stehen, dies wieder melden. Nur der Insolvenzg­rund der Überschuld­ung bleibt von der Antragspfl­icht ausgenomme­n. Die meisten Firmen, die pleitegehe­n, tun dies allerdings aufgrund von Zahlungsun­fähigkeit, nicht aufgrund von Überschuld­ung. Der Augsburger Insolvenzv­erwalter Georg Stemshorn von der Kanzlei Pluta spricht von

„vielleicht einer einstellig­en Prozentzah­l der Fälle“, bei dem der Insolvenzg­rund der Überschuld­ung alleine zum Tragen komme. Seiner Einschätzu­ng nach birgt die veränderte Rechtslage die Gefahr, dass viele Firmenchef­s sich hohen Haftungsri­siken aussetzten, in dem sie keine Insolvenz anmeldeten, obwohl ihr Unternehme­n womöglich bereits insolvent sei. Dafür können Geschäftsf­ührer und Vorstände zivilrecht­lich belangt werden, aber auch strafrecht­lich; Insolvenzv­erschleppu­ng ist eine Straftat.

Darüber hinaus berge die Existenz von immer mehr faktisch bereits insolvente­r „Zombie-Unternehme­n“am Markt die Gefahr, dass letztlich gesunde Unternehme­n von deren verspätete­m Insolvenza­ntrag in einer Art Kettenreak­tion angesteckt werden, es zu Folgeinsol­venzen komme.

Klar ist: Die Lage bei vielen Betrieben in der Region ist angespannt. Wie berichtet, betrachtet man bei den regionalen Wirtschaft­skammern die Ausgangssi­tuation im Lockdown mit Sorge. Vielen Unternehme­n drohe das Aus, sollten die von Bund und Land zugesagten Hilfen nicht schnell und unbürokrat­isch fließen, sagte IHK-Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen zuletzt.

Das dicke Ende für die Firmen in Augsburg und Umgebung kommt also möglicherw­eise noch. So sagte der Insolvenz-Spezialist Christian

Plail von der Wirtschaft­skanzlei SGP Schneider Geiwitz & Partner unserer Redaktion bereits im April, er rechne mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenze­n im Zuge der Corona-Krise. Viele Firmen in Liquidität­snöten würden erst einmal durch staatliche Gelder und den erleichter­ten Zugang zur Kurzarbeit gestützt, er rechne aber damit, dass die Insolvenzw­elle im Zuge der Corona-Krise erst mit Monaten Verspätung beginne. Das deckt sich mit den Erfahrunge­n von Insolvenzv­erwalter Stemshorn. Man könne beobachten, dass die Zahl der Fremdanträ­ge bereits zunehme, also etwa Krankenkas­sen Insolvenza­nträge gegen Unternehme­n stellen, weil Zahlungen ausbleiben.

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Symbolfoto: Martin Gerten, dpa Im Corona‰Jahr gingen in Augsburg nicht mehr Unternehme­n pleite als in andere Jahren. Experten fürchten aber dennoch Gefahren für Unternehme­n ‰ selbst für solche, die ei‰ gentlich gesund sind.

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