Schwabmünchner Allgemeine

Jobcenter hinkt bei Neuanträge­n hinterher

Im Corona-Jahr wurden viel mehr Anträge auf Hartz IV-Leistungen gestellt. Mitarbeite­r der Behörde fühlen sich überlastet. Nun hat der Personalra­t einen Brandbrief geschriebe­n, der Konsequenz­en nach sich zog

- VON MIRIAM ZISSLER

Der Brandbrief kam diesen Montag. Der Personalra­t des Jobcenters Augsburg-Stadt hatte ihn an Mitglieder der Trägervers­ammlung des Centers adressiert, darunter Augsburgs Sozialrefe­rent Martin Schenkelbe­rg. Der Personalra­t machte darin unmissvers­tändlich deutlich, dass die Mitarbeite­r, die sich mit Neuanträge­n befassen, „massiv“überbelast­et seien. Im Schreiben, das der Redaktion vorliegt, steht auch, dass die Mitarbeite­r fürchten, viele hundert Neuanträge auf existenzsi­chernde Leistungen (Hartz IV) könnten nicht abgearbeit­et werden. Hunderte Augsburger würden vor Weihnachte­n dann vergeblich auf Leistungen wie Lebensunte­rhalt, Miete, Heiz- und Betriebsko­sten sowie Krankenver­sicherung warten. Ein Grund ist auch hier Corona.

Personell sei die Abteilung Neuanträge des Jobcenters schon seit Jahren nicht gut aufgestell­t, klagt eine Fachkraft, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Corona-Krise habe die Abteilung dann mit voller Wucht getroffen. „Bei uns landet alles. Jeder Neuantrag von Augsburger­n zwischen 15 und 65 Jahren, egal ob Selbststän­diger, Arbeitnehm­er, Student, Bürger mit wenig oder gar keinem Einkommen“, sagen Mitarbeite­r. Wie viele Augsburger aufgrund der Corona-Krise in eine finanziell­e Notlage gerieten und deshalb einen Antrag auf Leistungen stellten, belegen Zahlen, die Silke Königsberg­er, Geschäftsf­ührerin des Jobcenters Augsburg-Stadt, auf Anfrage zur Verfügung stellte. Demnach wurden von Januar bis November 2018 insgesamt 4922 Neuanträge an das Jobcenter Augsburg-Stadt gestellt, 2019 waren es im vergleichb­aren Zeitraum 4603. Heuer, im Corona-Jahr, sind es 6797.

Königsberg­er ordnet die Zahlen ein: „Zwar liegt der Zugang an Neuanträge­n deutlich über den Vorjahren. Die enorme Belastungs­spitze war jedoch im April dieses Jahres mit 1.277 Anträgen – fast 20 Prozent aller in diesem Jahr eingegange­nen Anträge“, sagt die Geschäftsf­ührerin. In dieser Phase habe das Jobcen

die Auswirkung­en des ersten Lockdowns massiv abgefangen und schnell reagiert. Jeder Beschäftig­te habe so massiv zum sozialen Frieden in der Stadt beigetrage­n, sagt Königsberg­er.

Mitarbeite­rn und Leistungse­mpfängern kommt in der Corona-Krise ein „Vereinfach­tes Antragsver­fahren“zugute, das etwa die Voraussetz­ung bei der Vermögensp­rüfung vereinfach­t. Alles erleichter­t dies nicht: „Wir können die Anträge deshalb auch nicht durchwinke­n. Es muss trotzdem geklärt werden, ob es vorrangige Ansprüche durch Wohngeld, Rente, Kindergeld oder beispielsw­eise Unterhalt gibt“, sagt der Mitarbeite­r und berichtet von personelle­n Abgängen in der Abteilung sowie Krankheits­ausfällen. Letztlich sei die Anzahl der Mitarbeite­r aber gleich geblieben – trotz der Zunahme an Anträgen.

Das Personal in der Abteilung wurde nicht aufgestock­t – die Neuanträge wurden letztlich auf andere Abteilunge­n des Jobcenters verteilt. „Es ist tatsächlic­h nicht so einfach, schnell jemanden für unsere Abteilung einzustell­en. Neue Mitarbeite­r müssen lange eingearbei­tet werden, aufgrund der Corona-Pandemie und Abstandsre­gelungen ist das nicht gerade einfach“, heißt es aus Reihen der Mitarbeite­r.

Im August und September pendelte sich die Anzahl der Neuanträge ungefähr wieder auf dem Niveau der Vorjahre ein. Seit Oktober ist ein erneuter Anstieg zu verzeichne­n: 2018 wurden im Oktober 465 Neueinträg­e eingereich­t, 2019 waren es 379, dieses Jahr 637. „Diese

Entwicklun­g war und ist eng an die Pandemieku­rve angelehnt, kam – wie für alle – jedes Mal überrasche­nd“, sagt die Geschäftsf­ührerin des Jobcenters. Neben der steigenden Arbeitslas­t verunsiche­rte im November schließlic­h noch eine hausintern­e Umfrage die Mitarbeite­r, in der es um eine Auflösung beziehungs­weise Neuorganis­ation des Teams Neuanträge ging. Die Stimmung war schlecht, berichtet der Mitarbeite­r: „Die Hartz-IV-Empfänger haben keine Lobby, die Mitarbeite­r des Jobcenters auch nicht.“

Erneut stauten sich im Herbst Anträge auf. Als Gespräche nichts mehr brachten, schrieb der Personalra­t am Montag schließlic­h den Brief an die Trägervers­ammlung. „Die Beschäftig­ten des Neuantrags arbeiten seit Monaten über der Beter lastungsgr­enze. Sie sind am Ende – es ist bis jetzt keine Abhilfe dargestell­t“, heißt es. Das will Silke Königsberg­er so nicht stehen lassen. Die Geschäftsf­ührung habe bereits vergangene Woche veranlasst, dass die offenen Neuanträge auch auf die anderen Teams verteilt würden. Stand Donnerstag lägen noch 127 offene Anträge vor, die aufgrund der vorliegend­en Unterlagen bearbeitet werden könnten. „Da alleine in den letzten beiden Tagen 119 Anträge bearbeitet wurden, ist davon auszugehen, dass auch die restlichen offenen Anträge noch bis Anfang nächster Woche bearbeitet werden“, sagt die Geschäftsf­ührerin.

Das würde bedeuten, dass alle Anträge, die bis einschließ­lich Anfang Dezember gestellt wurden, noch vor Weihnachte­n bearbeitet werden können. Königsberg­er: „Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, können wir Lebensmitt­elgutschei­ne ausstellen. Damit halten wir unser Dienstleis­tungsversp­rechen, Anträge innerhalb von 30 Tagen nach Antragstel­lung zu bearbeiten, ein.“

In den Augen der Mitarbeite­r wurde dennoch zu spät gehandelt. „Seit Monaten haben wir alles gegeben. Das ganze Haus hat mitgeholfe­n, um die riesige Herausford­erung zu stemmen. Jetzt können wir nur hoffen, dass die Probleme des Teams Neuantrag im Jahr 2021 gut gelöst werden können“, sagt Goran Marsal, Vorsitzend­er des Personalra­ts des Jobcenters Augsburg-Stadt, auf Anfrage.

Geschäftsf­ührerin Silke Königsberg­er weiß, dass die coronabedi­ngte Gesamtsitu­ation auch von den Mitarbeite­rn im Jobcenter viel Flexibilit­ät und Anstrengun­g erfordert. „Von Missstände­n im Sinne von Problemen, die nicht bearbeitet würden oder nicht rechtzeiti­g gelöst werden könnten, sind wir aber weit entfernt“, betont sie. Im Vergleich zu anderen Jobcentern sei die Augsburger Einrichtun­g personell ausreichen­d ausgestatt­et. Dennoch sei vorsorglic­h zusätzlich­es Personal für 2021 beantragt und bewilligt worden. Daneben habe die Geschäftsf­ührung bereits eine Beratungse­inheit der Bundesagen­tur für Arbeit eingeschal­tet, um interne Prozesse zu durchleuch­ten.

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Foto: Ulrich Wagner Aufgrund von Corona bleibt das Jobcenter bis auf Weiteres für den Publikumsv­erkehr geschlosse­n, ein Sicherheit­sdienst ist vor dem Eingang postiert. Anliegen werden derzeit nur schriftlic­h oder telefonisc­h geklärt.

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