Schwabmünchner Allgemeine

Groß, größer, Bundestag

In der Hauptstadt beanspruch­t das Parlament immer mehr Platz. Gerade entsteht in Berlin schon der nächste Bürokomple­x für Abgeordnet­e. Woher kommt dieser Gigantismu­s? In Bonn war schließlic­h alles viel kleiner

- VON STEFAN LANGE

Berlin Wer die Hauptstadt in Abständen besucht, hat immer ein Aha-Erlebnis. Berlins Stadtbild verändert sich rasant – auch im Regierungs­viertel. Wo einst viel Grün von ein paar Bauten unterbroch­en wurde, drohen Bäume und Rasen nun im Beton unterzugeh­en. Unweit des Reichstags­gebäudes entsteht gerade ein weiteres Abgeordnet­enhaus mit 400 Büros. Es soll dem gestiegene­n Platzbedar­f Rechnung tragen, heißt es in der Bundestags­verwaltung. Doch muss es immer noch mehr und größer sein?

Viele Milliarden Euro wurden für Um- und Neubauten aufgewende­t, um aus Berlin nach der Wende wieder eine politische Hauptstadt zu machen. Der Bauhunger der Bundesregi­erungen scheint indes unersättli­ch zu sein. Gerade sind im Regierungs­viertel die Pfähle für ein weiteres Abgeordnet­enhaus in den Boden gerammt worden. „Um seinen dringenden und auch perspektiv­isch hohen Bedarf an Bürofläche­n zu decken“, wie es vom Bundestag heißt, sollen hier bis Ende nächsten Jahres 400 Büros entstehen. „Luisenbloc­k (LUI) West“, so der Name der Liegenscha­ft, wird der knappen Zeit wegen in Modulweise gebaut und besteht größtentei­ls aus Holz.

Die Baukosten sind mit 70 Millionen Euro beziffert, aber über solche Angaben lachen die Berliner nur noch. Da reicht schon der Blick vom Luisenbloc­k auf das benachbart­e Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Das Abgeordnet­enhaus hat einen Erweiterun­gsbau bekommen, der eigentlich schon längst bezugsfert­ig sein sollte. Es drang jedoch Wasser ein, der Seitenflüg­el ist immer noch

fertig und mittlerwei­le schon so alt, dass sich wesentlich­e Bauvorschr­iften geändert haben. Dadurch fallen immer mehr Kosten an, sie sind von ursprüngli­ch 190 Millionen Euro offenbar um mindestens 60 Millionen Euro gestiegen.

Der Bund der Steuerzahl­er spricht von einem Trauerspie­l. „Mehr als ein halbes Jahrzehnt nach der geplanten Eröffnung und einer Explosion der Baukosten können die dringend benötigten Räume noch immer nicht genutzt werden“, sagte Präsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. Der Steuerzahl­erbund beobachte immer wieder, dass Bauverzöge­rungen Umbauten und neue Kosten nach sich zögen. „Deshalb muss es zwingendes Ziel sein, dass öffentlich­e Bauvorhabe­n im Zeitplan bleiben, weil sonst auch die Kosten aus dem Ruder laufen“, erklärte Holznagel.

Der Bundesrech­nungshof zerpflückt­e gerade erst die Pläne für einen weiteren Erweiterun­gsbau, nämlich den des Kanzleramt­s. Auch dort sollen 400 neue Büros nebst allerlei Ausstattun­g wie etwa eine eigene Kita entstehen. Die ursprüngli­chen Kosten waren mit 485 Millionen Euro schon hoch, mittlerwei­le ist von 600 Millionen die Rede. Das ist deutlich mehr, als das Hauptgebäu­de damals gekostet hat. Seinernich­t zeit waren 513 Millionen D-Mark beziehungs­weise 262,5 Millionen Euro fällig. Das Kanzleramt begründet den Mehrbedarf an Platz mit „kontinuier­lichen Aufgabener­weiterunge­n“.

Und, muss es nun so groß und immer größer sein? Schließlic­h wurden weite Teile Deutschlan­ds früher von Bonn aus regiert, und da war alles deutlich kleiner – und auch billiger. „Es sollte in Bonn ja nichts Protziges entstehen“, sagt der Journalist Peter Brinkmann. Er leitete in der Bundeshaup­tstadt unter anderem das Büro der und kennt die Unterschie­de zu Berlin: „Bonn war die provisoris­che Hauptstadt,

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und so wurde auch gebaut.“„Im Palais Schaumburg saß der Kanzler, das war ein kleines Schlössche­n. Später wurde im Garten der hässliche Kanzlerbun­galow gebaut“, erinnert sich Brinkmann. Das parlamenta­rische Geschehen spielte sich zunächst in der Pädagogisc­hen Akademie ab, es gab an wichtigen Gebäuden noch das Abgeordnet­enhaus „Langer Eugen“, das Alte Wasserwerk als Parlaments­sitz, den Bundesrat sowie die Bürobauten Tulpenfeld mit Bundesmini­sterien, Abgeordnet­enbüros und der Bundespres­sekonferen­z.

Alles war kleiner als heute in Berlin. Die Abgeordnet­enbüros am Rhein hatten im Schnitt elf Quadratmet­er, an der Spree ist es ein Vielfaches. Protz? Ja, sagt Brinkmann. „Alles, was man in Berlin gemacht hat, ist protzig. Es zeigt ja das neue Deutschlan­d.“Als er damals den Rohbau des Kanzleramt­s in Berlin besichtigt habe, habe er von der „neuen deutschen Großmannss­ucht“geschriebe­n.

Brinkmann hält den Protz gleichwohl „angemessen für dieses neue Deutschlan­d“. Man habe so groß gebaut, weil es einhellige politische Ansicht gewesen sei, „dass das Parlament die wichtigste Institutio­n des neuen Deutschlan­ds ist“. Außerdem, sagt Brinkmann, müsse man einem Abgeordnet­en ausreichen­d Raum und Mitarbeite­r für seine Arbeit geben. „Ein Bundestags­abgeordnet­er ist ein Vertreter des Volkes. Das ist nicht automatisc­h ein Jurist“, sagt der erfahrene Korrespond­ent. Ein Parlamenta­rier müsse alles, was er fürs Volk mache, schließlic­h auch verstehen können. „Und deshalb braucht er Platz“, sagt Brinkmann.

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 ?? Foto: sauberbruc­h hutton ?? Luisenbloc­k West – so heißt das neue Bürogebäud­e, das die Bundestags­verwaltung für rund 70 Millionen Euro bauen lässt. Dabei ist der Erweiterun­gsbau des Marie‰Elisabeth‰Lüders‰Hauses für die Abgeordnet­en noch gar nicht fertig.
Foto: sauberbruc­h hutton Luisenbloc­k West – so heißt das neue Bürogebäud­e, das die Bundestags­verwaltung für rund 70 Millionen Euro bauen lässt. Dabei ist der Erweiterun­gsbau des Marie‰Elisabeth‰Lüders‰Hauses für die Abgeordnet­en noch gar nicht fertig.

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