Groß, größer, Bundestag
In der Hauptstadt beansprucht das Parlament immer mehr Platz. Gerade entsteht in Berlin schon der nächste Bürokomplex für Abgeordnete. Woher kommt dieser Gigantismus? In Bonn war schließlich alles viel kleiner
Berlin Wer die Hauptstadt in Abständen besucht, hat immer ein Aha-Erlebnis. Berlins Stadtbild verändert sich rasant – auch im Regierungsviertel. Wo einst viel Grün von ein paar Bauten unterbrochen wurde, drohen Bäume und Rasen nun im Beton unterzugehen. Unweit des Reichstagsgebäudes entsteht gerade ein weiteres Abgeordnetenhaus mit 400 Büros. Es soll dem gestiegenen Platzbedarf Rechnung tragen, heißt es in der Bundestagsverwaltung. Doch muss es immer noch mehr und größer sein?
Viele Milliarden Euro wurden für Um- und Neubauten aufgewendet, um aus Berlin nach der Wende wieder eine politische Hauptstadt zu machen. Der Bauhunger der Bundesregierungen scheint indes unersättlich zu sein. Gerade sind im Regierungsviertel die Pfähle für ein weiteres Abgeordnetenhaus in den Boden gerammt worden. „Um seinen dringenden und auch perspektivisch hohen Bedarf an Büroflächen zu decken“, wie es vom Bundestag heißt, sollen hier bis Ende nächsten Jahres 400 Büros entstehen. „Luisenblock (LUI) West“, so der Name der Liegenschaft, wird der knappen Zeit wegen in Modulweise gebaut und besteht größtenteils aus Holz.
Die Baukosten sind mit 70 Millionen Euro beziffert, aber über solche Angaben lachen die Berliner nur noch. Da reicht schon der Blick vom Luisenblock auf das benachbarte Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Das Abgeordnetenhaus hat einen Erweiterungsbau bekommen, der eigentlich schon längst bezugsfertig sein sollte. Es drang jedoch Wasser ein, der Seitenflügel ist immer noch
fertig und mittlerweile schon so alt, dass sich wesentliche Bauvorschriften geändert haben. Dadurch fallen immer mehr Kosten an, sie sind von ursprünglich 190 Millionen Euro offenbar um mindestens 60 Millionen Euro gestiegen.
Der Bund der Steuerzahler spricht von einem Trauerspiel. „Mehr als ein halbes Jahrzehnt nach der geplanten Eröffnung und einer Explosion der Baukosten können die dringend benötigten Räume noch immer nicht genutzt werden“, sagte Präsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. Der Steuerzahlerbund beobachte immer wieder, dass Bauverzögerungen Umbauten und neue Kosten nach sich zögen. „Deshalb muss es zwingendes Ziel sein, dass öffentliche Bauvorhaben im Zeitplan bleiben, weil sonst auch die Kosten aus dem Ruder laufen“, erklärte Holznagel.
Der Bundesrechnungshof zerpflückte gerade erst die Pläne für einen weiteren Erweiterungsbau, nämlich den des Kanzleramts. Auch dort sollen 400 neue Büros nebst allerlei Ausstattung wie etwa eine eigene Kita entstehen. Die ursprünglichen Kosten waren mit 485 Millionen Euro schon hoch, mittlerweile ist von 600 Millionen die Rede. Das ist deutlich mehr, als das Hauptgebäude damals gekostet hat. Seinernicht zeit waren 513 Millionen D-Mark beziehungsweise 262,5 Millionen Euro fällig. Das Kanzleramt begründet den Mehrbedarf an Platz mit „kontinuierlichen Aufgabenerweiterungen“.
Und, muss es nun so groß und immer größer sein? Schließlich wurden weite Teile Deutschlands früher von Bonn aus regiert, und da war alles deutlich kleiner – und auch billiger. „Es sollte in Bonn ja nichts Protziges entstehen“, sagt der Journalist Peter Brinkmann. Er leitete in der Bundeshauptstadt unter anderem das Büro der und kennt die Unterschiede zu Berlin: „Bonn war die provisorische Hauptstadt,
Bild-Zeitung
und so wurde auch gebaut.“„Im Palais Schaumburg saß der Kanzler, das war ein kleines Schlösschen. Später wurde im Garten der hässliche Kanzlerbungalow gebaut“, erinnert sich Brinkmann. Das parlamentarische Geschehen spielte sich zunächst in der Pädagogischen Akademie ab, es gab an wichtigen Gebäuden noch das Abgeordnetenhaus „Langer Eugen“, das Alte Wasserwerk als Parlamentssitz, den Bundesrat sowie die Bürobauten Tulpenfeld mit Bundesministerien, Abgeordnetenbüros und der Bundespressekonferenz.
Alles war kleiner als heute in Berlin. Die Abgeordnetenbüros am Rhein hatten im Schnitt elf Quadratmeter, an der Spree ist es ein Vielfaches. Protz? Ja, sagt Brinkmann. „Alles, was man in Berlin gemacht hat, ist protzig. Es zeigt ja das neue Deutschland.“Als er damals den Rohbau des Kanzleramts in Berlin besichtigt habe, habe er von der „neuen deutschen Großmannssucht“geschrieben.
Brinkmann hält den Protz gleichwohl „angemessen für dieses neue Deutschland“. Man habe so groß gebaut, weil es einhellige politische Ansicht gewesen sei, „dass das Parlament die wichtigste Institution des neuen Deutschlands ist“. Außerdem, sagt Brinkmann, müsse man einem Abgeordneten ausreichend Raum und Mitarbeiter für seine Arbeit geben. „Ein Bundestagsabgeordneter ist ein Vertreter des Volkes. Das ist nicht automatisch ein Jurist“, sagt der erfahrene Korrespondent. Ein Parlamentarier müsse alles, was er fürs Volk mache, schließlich auch verstehen können. „Und deshalb braucht er Platz“, sagt Brinkmann.