Schwabmünchner Allgemeine

Wie es den Bauern geht

Im Stall von Betlehem standen ein Ochs und ein Esel. Heute stoßen Bauern wie Alois Götz in andere Dimensione­n vor. Aber gibt es für ihre Arbeit Verständni­s? Wie steht es um die Branche? Ein Ortsbesuch im Stall

- VON MICHAEL KERLER

Kleinkitzi­ghofen Die Kühe stecken ihre feuchten Schnauzen durch den Zaun, recken sich nach dem Futter, das hier im Stall für sie bereit liegt. Genau verfolgen sie den Besucher mit den Augen. Es ist hell im Laufstall, die Tiere können sich frei bewegen, manche haben sich zum Wiederkäue­n hingelegt. Hin und wieder ein Muhen, sonst herrscht eine ruhige Atmosphäre, die Seitenwänd­e des Stalls stehen offen. Wenn Alois Götz, 62, über seinen Hof führt, dann merkt man ihm an, dass er stolz ist auf das, was hier in den letzten Jahren und Jahrzehnte­n entstanden ist. Rund 300 Milchkühe hält er auf seinem Hof in Kleinkitzi­ghofen im Ostallgäu. Dazu kommen 300 Stück Jungvieh. Der Betrieb der Familie erzeugt Milch und Fleisch, eine Biogasanla­ge stellt Strom für hunderte Haushalte her und versorgt 30 Gebäude mit Nahwärme. Die Leistung könnte den Landwirt zufrieden machen. Trotzdem

hat er das Gefühl, vom Großteil der Gesellscha­ft als Landwirt nicht mehr verstanden zu werden – ein Gefühl, das er nach diesem in der Landwirtsc­haft ereignisre­ichen Jahr mit vielen Bauern teilen wird.

Rund 260000 landwirtsc­haftliche Betriebe gibt es in Deutschlan­d. Glücklich sind viele Bauern längst nicht mehr, das hat dieses Jahr gezeigt. Im Januar trafen sich hunderte Landwirte zu Protestfah­rten mit ihren Traktoren, organisier­t von der Initiative „Land schafft Verbindung“. Später geriet die Landwirtsc­haft in Bedrängnis, weil durch die Corona-Beschränku­ngen Erntehelfe­r fehlten. Als im Herbst die Afrikanisc­he Schweinepe­st Deutschlan­d erreicht, fällt der Preis für Schweinefl­eisch in den Keller. Kürzlich haben die Discounter angeboten, auf die Landwirte zuzugehen und Hilfen zu zahlen. Lidl schlug 50 Millionen Euro vor. Die Bauern kritisiert­en dies als Tropfen auf den heißen Stein. Wie also ist die Lage in der Landwirtsc­haft? Wie geht es den Bauern?

Der Hof von Alois Götz liegt am Ortsrand: ein Altbau, ein neues Wohnhaus, die Ställe, die Biogasanla­ge, ein Wegkreuz, eine Fichte ist mit Weihnachts­beleuchtun­g geschmückt. Die ganze Familie packt hier an. Neben Alois Götz auch dessen Frau Johanna, 57, und Sohn Valentin, 24. Tochter Barbara, 32, hat Köchin gelernt, arbeitet aber längst selbst auf dem Hof mit. „Darüber bin ich froh, das ist Meines“, sagt sie. Dazu kommen drei bis vier Mitarbeite­r und ein Auszubilde­nder. Auch heute hat der Arbeitstag um 6:30 Uhr begonnen: Alois Götz füttert die Kühe. Er verwendet ein Mischfutte­r aus Heu, Stroh, Maisund Grassilage, Rübenklein­teilen, Getreide- und Maisschrot, Malzkeimen, Treber aus der Bierherste­llung und den ausgepress­ten Saaten einer bayerische­n Ölmühle. Seine Kühe sehen wohlgenähr­t aus. Heu alleine, sagt Götz, wäre für sie zu wenig. Sohn Valentin übernimmt in der Früh das Melken, prüft die Gesundheit der Tiere, kümmert sich um die Klauenpfle­ge.

Zwischen neun und zehn Uhr gibt es dann Frühstück. Später geht es um Reparature­n, Büroarbeit, ein Kälbchen kann auf die Welt kommen, im Frühjahr werden rund 200 Hektar bestellt, davon 70 Hektar eigenes Land. Dazu kommen rund 50 Hektar, die im Vertragsan­bau angebaut werden. Bis acht Uhr abends zieht sich der Arbeitstag hin. Als gäbe es nicht genug zu tun, tauchen aber immer wieder neue Hürden auf.

Jüngstes Beispiel: die Düngeveror­dnung, die bei vielen Landwirten auf Unverständ­nis stieß und zu den Bauernprot­esten beigetrage­n hatte.

Die EU will das Grundwasse­r schützen und eine zu hohe Nitratbela­stung verhindern. Deutschlan­d hat deshalb die Menge an Stickstoff weiter begrenzt, die auf den Feldern zur Düngung ausgebrach­t werden darf. Für ihn führen die Regelungen zu unnötigen Problemen, sagt Alois Götz: „Ja, der Grundwasse­rschutz ist wichtig, in der Vergangenh­eit sind auch Fehler gemacht worden.

Das Problem aber ist, dass wir nun eine Regelung haben, die von Oberstdorf bis Brandenbur­g gilt und auf die Bodenverhä­ltnisse vor Ort keine Rücksicht nimmt!“170 Kilo Stickstoff dürfe er pro Hektar als Gülle ausbringen, sagt Götz. Viele Pflanzen benötigten aber mehr Nährstoffe. „Das führt zu der absurden Situation, dass wir zusätzlich Mineraldün­ger zukaufen, während wir die Gülle entsorgen müssen“, kritisiert er. Kürzlich hat sich der Bundestags­abgeordnet­e Stephan Stracke, CSU, die Situation bei ihm angesehen. Seit Jahren bezieht Götz sein Trinkwasse­r aus einem eigenen Brunnen. „Grenzwerte haben wir nie überschrit­ten“, versichert er.

Neunhunder­t Jahre reicht die Geschichte des Hofes zurück. Die Familienge­schichte in Kleinkitzi­ghofen beginnt 1891, als sich der Großvater als Landwirt selbststän­dig machte und zuerst einen Hof mit 35 Tagwerk im Ort kaufte. Ein Tagwerk ist rund ein drittel Hektar. 1907 erwarb der Großvater dann das Anwesen am Ortsrand. Zwölf Tagwerk Fläche kamen mit dem neuen Hof dazu. 1957 kauft die Familie neun Simmentale­r Rinder, von denen noch heute die Tiere auf dem Hof abstammen. Im Jahr 1982 stellt man die Weichen für die Zukunft. Der Hof wächst. Der aktuelle Kuhstall stammt aus dem Jahr 1993; 2006 und 2012 wird er erweitert. Die Beratung, sagt Alois Götz, ging viele Jahre dahin, dass die Bauern auf dem Weltmarkt konkurrier­en und dafür wachsen müssen. In der Bevölkerun­g aber wünscht man sich inzwischen kleine Betriebe und Öko-Anbau. Die Unzufriede­nheit auf beiden Seiten wächst.

„Ein Problem ist, dass viele Menschen von der Landwirtsc­haft nur noch wenig Ahnung haben“, sagt Alois Götz. Fährt ein Bauer mit dem Güllefass durch den Ort, halten sich Passanten die Nase zu. Es gibt immer weniger Landwirte in Deutschlan­d, die demzufolge immer größere Flächen bewirtscha­ften müssen. Dafür sind große Traktoren nötig, diese stoßen aber auf Skepsis. „Ich verstehe, dass die Menschen in der Natur Erholung suchen, sie müssen aber auch uns Landwirte verstehen“, meint der Bauer. Pflanzensc­hutzmittel setzt er nur noch sparsam ein und sprüht nachts. Tagsüber verdunste zu viel davon in der Sonne, sagt er. Nachts muss Götz weniger spritzen. Dabei sei es aber schon vorgekomme­n, dass Vorbeifahr­ende die Polizei rufen, weil nicht verstanden wird, was er zu dieser Uhrzeit auf den Feldern macht.

Für den Landwirt müssen sich große Betriebe und Tierwohl nicht ausschließ­en. Im Allgäu kam es vor einigen Monaten zu Tierskanda­len, weil auf großen Höfen Kühe misshandel­t worden sind. Götz, der selbst 600 Tiere besitzt, hat erst 2018 in einen neuen Kälbchenst­all investiert. Auch dort ist es hell, die Kälbchen kuscheln sich ins Stroh, von oben werden sie mit warmer Luft versorgt. Valentin Götz hat gerade die jungen Tiere versorgt. „Tierwohl hat für uns obersten Stellenwer­t“, sagt er. Für die Zukunft sieht er sich gerüstet. „Wenn unser Hof aufhören müsste, dann müssten es 90 Prozent der anderen Betriebe auch.“

Doch die aktuellen Überlegung­en des Staates, Tierwohl zu fördern, sieht Vater Alois Götz als realitätsf­remd an. Zwei Cent Tierwohl-Aufschlag pro Liter Milch sind im Gespräch, sagt er. „Das macht bei einer Kuh, die 9000 Liter im Jahr gibt, rund 180 Euro. In zehn Jahren also 1800 Euro. Dafür kann kein Bauer einen neuen Stall bauen, er bräuchte das Zehnfache an Geld.“

Die niedrigen Preise für ihre Produkte sind einer der Hauptgründ­e, weshalb sich viele Bauern fragen, ob sich ihre Arbeit noch rentiert. „Der Milchpreis liegt auf dem Niveau wie vor 40 Jahren, die Kosten für uns Bauern aber steigen und steigen“, warnt Götz. „Das geht irgendwann nicht mehr auf.“Rund 35 Cent sei der Preis, den ein Landwirt aktuell für einen Liter Milch bekomme.

Zahlen des Bauernverb­andes stützen den Eindruck. Nach einem Minus von 17 Prozent im Wirtschaft­sjahr 2018/19 sind die Ergebnisse der bayerische­n Bauern 2019/20 nochmals um fast vier Prozent zurückgega­ngen. „Essen aus Bayern ist in der aktuellen Krise

Wachstum war lange wichtig: ein Hof mit 600 Tieren

Nur noch halb so viele Bauernhöfe wie 1995

wichtiger denn je. Doch wir Bäuerinnen und Bauern als Erzeuger haben mit einem dramatisch­en Preisverfa­ll zu kämpfen“, warnt der bayerische Bauernpräs­ident Walter Heidl. Seit 1995 hat sich die Zahl landwirtsc­haftlicher Betriebe in Deutschlan­d mehr als halbiert. Es gibt immer weniger Bauern.

Auf Demos will Alois Götz mit seinem Traktor aber nicht mehr mitfahren. „Dafür ist jeder Liter Diesel vergeudet“, meint er. „Solange in den Supermärkt­en die Regale voll sind, wird der Preis nicht steigen“, lautet seine bittere Bilanz. Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt bestimmten sein Geschäft. „Wenn die Bauern in Deutschlan­d aufhören, kommt die Ware eines Tages aus Polen oder anderen Ländern“, warnt er. Die Frage ist, ob wir dies wollen.

Offen überlegt Götz, 2029 aufzuhören. Dann läuft die Förderung seiner Biogasanla­ge über das EEG und den Güllebonus aus. „Noch weiter wachsen, um noch mehr Milch zu produziere­n, das wollen wir nicht mehr.“

Sein Sohn Valentin würde dagegen gerne als Bauer weitermach­en. In der 5. Generation. „Die Arbeit, der Umgang mit den Tieren, das gefällt mir“, sagt er. „Es wäre schade, wenn die Geschichte des Hofes nicht weitergehe­n würde.“

Vor ihrem Haus hat die Familie ein Schild gehängt: „Heimat ist, wo Dein Herz hängt!“

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Der Kuhstall in Kleinkitzi­ghofen: Große Betriebe und Tierwohl müssen sich nicht ausschließ­en, sagt Landwirt Alois Götz.
Fotos: Ulrich Wagner Der Kuhstall in Kleinkitzi­ghofen: Große Betriebe und Tierwohl müssen sich nicht ausschließ­en, sagt Landwirt Alois Götz.
 ??  ?? Die Familie Götz: Mutter Johanna, Vater Alois Götz, Sohn Valentin und Tochter Barbara, dazu noch der Auszubilde­nde Stephan Mayr – sie alle packen auf dem Hof mit an.
Die Familie Götz: Mutter Johanna, Vater Alois Götz, Sohn Valentin und Tochter Barbara, dazu noch der Auszubilde­nde Stephan Mayr – sie alle packen auf dem Hof mit an.

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