Zoonosen
Wenn Tiere Menschen krank machen
Herr Professor Sutter, Sie sind Inhaber des Lehrstuhls für Virologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Spezialist für Zoonosen – ein Thema, das aufgrund der Corona-Krise wohl kaum brisanter sein könnte. Was genau ist eine Zoonose? Gerd Sutter: Bei einer Zoonose handelt es sich ganz vereinfacht gesagt um eine Infektionskrankheit, die von einem Tier auf den Menschen übertragen wird. Dabei werden grob drei Erregerformen unterschieden: Viren, Bakterien und Parasiten. Bei Viren ist der „Klassiker“beispielsweise die Tollwut. Bei den Bakterien könnte man die etwa von Ratten übertragene Pest als Beispiel nennen – und bei den Parasiten den Fuchsbandwurm.
Dieses Jahr sind in Bayern zwei Menschen an einer Infektion mit Bornaviren gestorben. Und in Deutschland ist erstmals die Übertragung des in Asien verbreiteten und hochinfektiösen Seoulvirus von einem Tier auf einen Menschen nachgewiesen worden. Inwieweit muss man sich auch hierzulande vor Zoonosen vorsehen?
Sutter: Bornaviren können – in seltenen Fällen – tödliche Entzündungen des Gehirns verursachen. Diese Erreger haben vor allem Nagetiere als weitverbreitetes Wirtsreservoir. Seoulviren und die sogenannten Hantaviren wiederum können etwa Lungenentzündungen auslösen. Die Erreger werden etwa von Mäusen via Kot und Urin ausgeschieden.
Wie infiziert man sich dabei?
Sutter: Ein gutes Beispiel ist der Frühjahrsputz in einem Gartenhäuschen. Man fegt, will es besenrein machen. Und wirbelt dabei Nagerexkremente auf. Die Erreger gelangen so in die Luft und werden eingeatmet.
Was sind die gefährlichsten Zoonosen in Deutschland?
Sutter: Die Tollwut ist zwar bei uns inzwischen ausgerottet, aber sie wird in vielen weiter entfernten Reiseländern etwa über Hunde- oder Affenbisse übertragen. Zu beachten ist auch das bereits angesprochene Hantavirus und zudem das WestNil-Virus, das via Stechmücken verbreitet wird, die sich aufgrund des Klimawandels immer weiter auch bei uns im Norden verbreiten. Diese West-Nil-Viren können Gehirnentzündungen auslösen. Nicht zuletzt muss man hier natürlich auch die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) nennen, deren Erreger von Zecken übertragen wird. Andere Viren – etwa das Lassavirus oder das Krim-Kongo-Fieber-Virus – werden selten in der Regel durch Fernreisen sozusagen importiert, kommen aber bei uns originär nicht vor.
Auch Covid-19 ist eine Zoonose. Wie ist da der Forschungsstand?
Sutter: Wir können inzwischen ganz sicher sagen, dass Sars-CoV-2 eine Zoonose ist. Tatsächlich ist das Wirtsreservoir immer noch unbekannt – und nach wie vor sind bestimmte Fledermausspezies in der Diskussion. Es dauert oft sehr lange, bis man ein Wirtsreservoir genau identifizieren kann. Bei Mers-CoV, das ab 2012 auftrat, konnten wir nach Jahren erst herausfinden, dass dieser Infekt durch Dromedare übertragen wird. Mers-CoV ist eine ernsthafte Infektion, die Lunge, Atemwege und Nieren schädigen kann. Der Erreger ist bloß längst nicht so infektiös wie das Sars-CoV2-Virus, das Covid-19 auslöst.
Ist die Infektion der Nerze mit SarsCoV-2 in den Zuchtfarmen Dänemarks dann auch eine Zoonose?
Sutter: Nein, dabei handelt es sich vermutlich um eine sogenannte Anthropozoonose. Das bedeutet, dass sich die Tiere durch den Menschen angesteckt haben. Und in der Massentierhaltung der Nerzfarmen konnte es sich wohl sehr effizient verbreiten.
Ist die Massentierhaltung verantwortlich für die Verbreitung von Zoonosen, die wiederum Pandemien auslösen können?
Sutter: Ich persönlich finde Massentierhaltung nicht gut. Aber zu denken, dass es keine Pandemien geben würde, wenn man nur die Massentierhaltung aufgeben würde – dieser Gedanke ist falsch. Die nächste Pandemie ist gewiss.
Warum?
Sutter: Man muss kein großer Prophet sein, um das vorauszusagen. Es ist eher so, dass dieser Überlegung ein biologisches Prinzip zugrunde liegt, das sehr leicht nachvollziehbar ist.
Wie sieht dieses Prinzip aus?
Sutter: Eine Hauptursache ist das riesige Wachstum der Weltbevölkerung – und damit schlicht und ergreifend auch die wachsende Wahrscheinlichkeit der Ausbreitung von Erregern. Und die zweite Säule ist die hohe Mobilität, die viele Menschen zumindest in den Zeiten vor Covid-19 leben konnten. Morgens steht man noch in Borneo, abends ist man schon am überfüllten Flughafen München. Auf unserem Planeten ging es ja diesbezüglich zu wie in einem globalen Omnibusverkehr.
Wird das in Fachkreisen schon lange diskutiert?
Sutter: Wir predigen schon lange, dass es diese Gefahr der Pandemien gibt. Es hat für mich eher überraschend lang gedauert, bis man etwa die Problematik des interkontinentalen Flugverkehrs ausreichend hinterfragt hat. Wir wurden etwa durch die Ebolakrise 2014 in Afrika besonders auf das Thema aufmerksam gemacht. Ebola überträgt sich zum Glück nicht so leicht wie Covid-19. Es reichen bei Ebola keine Aerosole, es muss schon echter physischer Kontakt vorliegen.
Warum spielen bei den Zoonosen ausgerechnet die Viren eine so verheerende Rolle?
Sutter: Nun, weil unsere Abwehrmöglichkeiten gegen Viren noch immer begrenzt sind. Gegen Bakterien haben wir Antibiotika. Und gegen Parasiten hilft sozusagen körperlicher Abstand und Hygiene. Bei Viren ist das anders. Viren befinden sich nach einem Infekt innerhalb unserer Zellen. Darum kommen wir nicht so leicht an sie heran. Bakterien hingegen sind eigene Zellen abseits unserer Zellen, darum sind sie leichter angreifbar.
Es wird also auf absehbare Zeit kein Virostatikum, also ein virustötendes Therapeutikum, geben? Analog zum Antibiotikum bei Bakterien?
Sutter: Zumindest ist es viel mühsamer, solche Mittel zu entwickeln. Bei Hepatitis-C oder HIV haben wir das ja sogar schon geschafft. Das sind aber Früchte teils jahrelanger Forschung.
Die zweite Möglichkeit neben einem Therapeutikum, ein Virus zu bekämpfen, ist bekanntlich die Impfung. Der Körper wird angeregt, selbst Antikörper zu bilden. Sind Sie auch mit diesem Thema befasst?
Sutter: Natürlich. Wir sind Spezialisten für Pockenviren – und setzen in einen Pockenimpfvirus Informationen über das neue Coronavirus ein. Dann wird dieser modifizierte Pockenimpfstoff gespritzt – und es entstehen Antikörper, Abwehrzellen gegen Coronaviren. Es handelt sich also um einen klassischen Vektorimpfstoff. Vektor kann hier etwa mit dem Begriff „Träger“der Information erklärt werden.
Wird dieser Impfstoff schon getestet?
Sutter: Ja, im Klinikum HamburgEppendorf. Wir sind aber erst in der Phase eins, also in der ersten von den vier vorgeschriebenen Phasen.
Ist Ihre Arbeit im Institut am Englischen Garten gefährlich?
Sutter: Es ist Laborarbeit, die aber nicht gefährlich und eher unspektakulär ist. In ein bis zwei Jahren ziehen wir in unser neues Institut mit modernsten Laborräumen nach Oberschleißheim. Dort werden wir dann auch direkt mit etwas eindrucksvolleren Viren – wie SarsCoV-2 oder Mers-CoV – hantieren können. Das dauert aber leider noch etwas.
Prof. Gerd Sutter, 58, ist Lehrstuhlinhaber für Vi rologie der tierärztlichen Fakultät der LMU in München.