Diesmal also nicht wie alle Jahre wieder
Die Corona-Pandemie hat die Advents- und Weihnachtszeit auf den Kopf gestellt. Viele lieb gewordene Traditionen sind heuer nicht umsetzbar. Doch die ungewohnte Stille hat auch ihr Gutes
Nicht eine einzige Aufführung des Augsburger Engelesspiels hat Juliana Kraus in den vergangenen 27 Jahren verpasst. Jeden Freitag, Samstag und Sonntag im Advent stand sie mit ihren Kolleginnen in Engelskostümen in den beleuchteten Fenstern des Rathauses und schenkte den Besuchern des Christkindlesmarktes weihnachtliche Augenblicke. In diesem Jahr hat sie den ganzen Advent frei. Und vermisst „ihr“Engelesspiel schmerzlich.
Kaum eine Saison ist so von lieb gewordenen Traditionen geprägt wie die Advents- und Weihnachtszeit. Doch in diesem Jahr hält Corona auch das Fest der Liebe im Griff. Weihnachtsmärkte finden nicht statt, nahezu alle Veranstaltungen mussten abgesagt werden. Nicht einmal der Nikolaus konnte in diesem Jahr die Kinder beschenken – höchstens von Ferne. Und manche Familie muss diesmal im kleinen Kreis unter dem Weihnachtsbaum feiern, weil das Virus auch Reisen unmöglich macht.
Juliana Kraus gehört zu den Engeln der ersten Stunde. Schon als junge Frau wurde die Balletttänzerin vom Vater des Engelesspiels, Fritz Kleiber, als eine der „Lichtgestalten“entdeckt. Auch wenn sie in den letzten Jahren nicht mehr selbst am Fenster stand, war sie als künstlerische Leiterin auf jeder Probe. „Als ich schwanger war, konnte ich einmal als Engel nicht mitmachen, aber ich war trotzdem dabei“, erinnert sie sich. Als sich im September abzeichnete, dass es dieses Jahr nichts werden könnte mit dem Spiel, habe sie sich darauf gefreut, zum ersten Mal die Adventszeit für sich zu haben. „Aber der Advent hat sich einfach nicht richtig angefühlt.“Die Veranstaltungen, auf die sie all die Jahre für ihr Engelesspiel verzichtet hatte, fanden nicht statt. Und auch Zuhause wollte so gar keine Adventsstimmung aufkommen. „Mir gehen die Menschen ab, die Engel, die Hausmeister im Rathaus und die Bergwachtler, die uns hinter den Kulissen helfen.“Sie hofft, dass im nächsten Jahr die Engel wieder für Augsburg da sein dürfen.
„Wie soll man Kindern erklären, dass Corona sogar den Nikolaus betrifft?“, fragt sich Reinhold Demel. Als Leiter der Augsburger Agentur für Arbeit war er lange Jahre Chef der Augsburger Nikoläuse. In Augsburg können Familien den Nikolaus bei der Arbeitsagentur buchen – ein ganzer Stab von Nikoläusen ist Anfang Dezember im Stadtgebiet unterwegs. Nach seiner Pensionierung
zog sich Demel selbst Bischofsmantel und Mitra an und ging mit den Kollegen los, Kinder zu beschenken. „Ich hatte mich auch in diesem Jahr auf den Termin gefreut. Die strahlenden Augen der Kinder, wenn der Nikolaus mit ihnen spricht, sind so etwas Schönes“, sagt Demel. Auch die „Nachbesprechung“der Nikoläuse nach getaner Arbeit in einer kleinen Kneipe, in der man sich noch einmal die Erlebnisse des Abends erzählte, habe in den letzten Jahren für ihn erst so richtig Weihnachten eingeläutet. „Ich verstehe natürlich, dass es in der aktuellen Situation keine gute Idee gewesen wäre, hätte der Nikolaus 14 Familien besucht – aber schade ist es trotzdem.“
Der Augsburger Christkindlesmarkt ist wohl für viele Menschen das sicherste Zeichen, dass es auf Weihnachten zugeht. Weihnachtsmusik und der Duft nach Bratwürsten und Glühwein gehören zur Vorweihnachtszeit. Manfred Müller verbringt üblicherweise den Dezember in seinem Glühweinstand „Schneeflöckchen“neben dem Kinderkarussell am Moritzplatz. „Ich bin jeden Tag ab 9 Uhr dort, befülle die Glühweinbehälter und bereite alles vor.“Viele seiner Kunden seien über die Jahre zu Freunden geworden, die immer wieder kommen. „Es sind die Menschen, die Familien, Stammkunden und Freunde, die mir in diesem Jahr besonders stark abgehen“, sagt der Marktkaufmann. „Aber es ist nicht alles schlecht an der Situation. Ich nutzte die Zeit, um über mich selbst nachzudenken – es muss ja nicht immer Druck nach vorn sein.“In den vergangenen Jahren habe er im Advent, während seiner 15-StundenArbeitstage, kaum Zeit gehabt, um einmal mit seiner Schwester zu telefonieren. „Das hole ich jetzt gerade alles nach“, sagt Müller.
Christkindlesmärkte, Weihnachtstrubel und bunte Lichter gibt es bei Christoph Bick gerade genügend. Nur keinen Glühwein und erst recht keine Bratwürste. Der Augsburger Ingenieur lebt mit seiner Frau und den Töchtern Lea (5) und Hanna (4) im Süden von China in der Metropole Guangzhou und forscht dort für den Augsburger Roboterbauer Kuka. Zum ersten Mal wird die Familie Weihnachten nicht gemeinsam mit den Großeltern verbringen, weil sie China nicht verlassen wollen. Wer aus dem Auslandsurlaub zurückkehrt, wird in China noch am Flughafen in einen in Plastik ausgekleideten Bus gesteckt und in ein Quarantäne-Hotel im Nir2017 gendwo gefahren. Zwei Wochen verbringt man dort in strenger Isolierung in einem kleinen Zimmer – etwas, was Bick seiner Familie ohne Not nicht zumuten möchte.
Durch die Schutzmaßnahmen könne man sich in Guangzhou allerdings nahezu unbeschwert bewegen – die Menschen genießen die Weihnachtszeit ohne Maske und Feierbeschränkungen. „Das weihnachtliche Ambiente mit Lichterketten, Rentieren und Christbäumen wird vor allem von westlichen Hotelketten veranstaltet“, erzählt Bick. In den umzäunten Ausländer-Wohngebieten gibt es Weihnachtsmärkte. „Wir gestalten die Adventszeit in China wie Zuhause auch – mit einem selbst gemachtem Adventskalender und dem Besuch des Nikolaus am 6. Dezember“, berichtet der Familienvater. Der Christbaum ist allerdings künstlich, und das „Beef-Wellington“zu Heilig-Abend wurde tiefgefroren eingeflogen.
Dass das Treffen mit den Großeltern ausfallen muss, sei für die Kinder schade, sagt der Vater. Nur über Video können die Mädchen Oma und Opa dieses Jahr sehen. Statt in die Schweiz geht der Weihnachtsurlaub ans südchinesische Meer auf die Insel Hainan. Auch das kann eine Folge von Corona sein – Palmen statt Weihnachtstannen.