Die Frage der Woche Unter diesen Umständen: Auf die Kirche an Weihnachten verzichten?
OLEA BINZER b Kinderchristmette am Nachmittag oder Christmette zu später Stunde: Der Kirchenbesuch an Weihnachten mit der ganzen Familie gehört einfach dazu. Normalerweise. Doch dieses Jahr ist nichts normal. Auch nicht an Heilig Abend. Besinnlichkeit mit Handbremse ist angesagt. Wegen Corona.
Für Gottesdienste das höchste der Gefühle also: Anmelden, Abstand, Masken, kein Gesang und Krippenspiele in abgespeckter Form. Wenn überhaupt. All das aber macht den Zauber, den Glanz des Kirchenbesuchs an Heilig Abend zunichte. Und so sehr es schmerzt: Diese Weihnachten verzichte ich deshalb auf den einzigen Kirchgang im Jahr.
Bisher habe ich das nur ein einziges Mal gemacht. Einmal und nie wieder. Ohne Kirche fehlt Weihnachten einfach etwas. Das Gedränge in den Bänken. Die Gewissheit, dass für die Nachzügler nur Stehplätze
bleiben. Der gemeinsame Gesang, der die ganze Kirche erfüllt und einem jedes Mal einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Das Beisammenstehen nach dem Gottesdienst, um noch mit Freunden und Bekannten zu plaudern. Kirche an Weihnachten ist Gemeinschaft, Wärme und Liebe.
Aber Kirche unter Corona-Bedingungen? Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Das ist Abstand, Frösteln und ein mulmiges Gefühl. Und Stress im Vorfeld, überhaupt noch einen Platz zu ergattern. Dann lieber zu Hause bleiben. Um alternativ Gottesdienste online, im Fernsehen oder Radio zu verfolgen? Nein. Auch sie können den Zauber, den Glanz eines realen Kirchenbesuchs nicht ersetzen. Lieber komplett darauf verzichten und mit der Familie bei Kerzenschein ein paar Weihnachtslieder anstimmen. Das ist besinnlicher, zauberhafter.
Weihnachten ohne Christmette? Schwer vorstellbar. Die Heilige Nacht will gefeiert werden. Mit allem, was üblicherweise dazugehört: mit „Stille Nacht“und „O du fröhliche“, mit Kerzenschein, Tannenduft, mit roten und goldenen Kugeln am Baum, dazu Strohsterne. Für fromme Christen muss das einfach so sein. Und für Gelegenheitskirchgänger, die ihr Bedürfnis nach seelischer Erhebung einmal im Jahr ausleben wollen, genauso.
Nur zweimal im Jahr rücken die christlichen Kirchen in ihren Gottesdiensten die Nacht in den Mittelpunkt: bei der Feier der Auferstehung zu Ostern und bei der Feier von Christi Geburt an Weihnachten. Beide Male geht es um Mysterien des Glaubens, die sich einer exakten Bestimmung entziehen. Die Nacht dient dann zum Ort der Offenbarung. Ihre Dunkelheit gehört unbedingt zur Vergegenwärtigung in der gottesdienstlichen Feier.
ALOIS KNOLLER
Aber die Christmette muss nicht erst zu nachtschlafender Zeit stattfinden, wenn das höhere Gut der Infektionsvorbeugung heuer dagegen steht. Eine stimmungsvolle Christmette lässt sich auch schon am späten Nachmittag des Heiligen Abends zelebrieren. Wer hier abschätzig von einer „Seniorenmette“spricht, als müssten die Alten billiger als mit dem Original vertröstet werden, sollte sich schämen. Auch Familien, die nicht mehr nur ein Krippenspiel sehen wollen, schätzen eine Christmette am frühen Abend, um dann zu Hause unterm Baum weiter feiern zu dürfen ohne zeitliches Limit des späten Kirchgangs.
Im Corona-Jahr wird allerdings nicht jeder, der zur Christmette kommen möchte, einen Platz in der Kirche erhalten. Schade darum. Eine andächtig mitgefeierte Christmette im Fernsehen bietet gewissen Ersatz – und den Vorteil, dass man zu Hause nach Herzenslust mitsingen darf.