Schwabmünchner Allgemeine

Überrasche­nde Erkenntnis­se über den Kosmos

Die ersten Sterne sind älter als gedacht. Und wie schnell wächst das Universum heute noch?

- Rainer Kayser

Die ersten Sterne im Kosmos sind offenbar noch früher entstanden als bislang angenommen. Darauf deutet die Beobachtun­g eines Strahlungs­blitzes durch ein Forscherte­am in einer Galaxie im jungen Kosmos hin. Der etwa 420 Millionen Jahre nach dem Urknall ausgelöste Blitz sei durch die Explosion eines Sterns entstanden, der zur zweiten Sternengen­eration in der kosmischen Geschichte gehöre, so die Wissenscha­ftler in

Nature Astronomy. Demnach müsse sich die erste Sternengen­eration noch deutlich früher gebildet haben.

Die Astronomen um Linhua Jiang von der Universitä­t Peking hatten in den Jahren 2017 und 2018 intensive spektrosko­pische Beobachtun­gen der Galaxie GN-z11 durchgefüh­rt. Dabei wollten sie durch die akkurate Bestimmung der Rotverschi­ebung die Entfernung und das Alter dieses Sternsyste­ms bestimmen. Frühere Beobachtun­gen mit dem HubbleWelt­raumtelesk­op hatten darauf hingedeute­t, dass die Galaxie aus dem noch jungen Kosmos stammt.

Die spektrosko­pischen Messungen von Jiang und seinem Team am Keck-Teleskop auf Hawaii zeigten nun, dass GN-z11 zu den am weitesten entfernten Galaxien gehört, die bislang bekannt sind: Ihr Licht benötigt 13,37 Milliarden Jahre, um zur Erde zu gelangen. Es handelt sich also zugleich um einen Blick in die Frühzeit des Kosmos, denn die Astronomen sehen diese Galaxie so, wie sie vor 13,37 Milliarden Jahren aussah – gerade einmal 420 Millionen Jahre nach dem Urknall.

Die größte Überraschu­ng für Jiang und seine Kollegen war jedoch, dass sie am 7. April 2017 bei ihren Beobachtun­gen einen lediglich 245 Sekunden andauernde­n Strahlungs­blitz im Infrarotbe­reich registrier­ten. Unter Berücksich­tigung der Rotverschi­ebung muss es sich dabei ursprüngli­ch um einen energierei­chen Blitz ultraviole­tter Strahlung gehandelt haben. Solche Blitze kennen Astronomen bereits als Begleiters­cheinung von Gammastrah­lungsausbr­üchen – also hochenerge­tischen Strahlungs­schauern, ausgelöst durch Sternexplo­sionen.

Der bisherige Rekord für solche Strahlungs­blitze lag bei einer Rotverschi­ebung von 9,4. Bei dem im April 2017 erfassten Strahlungs­blitz beträgt die Rotverschi­ebung fast 11 (10,957). Die Beobachtun­gen von Jiang und Kollegen zeigen nicht nur, dass es solche Explosione­n früher als bisher gedacht in der kosmischen Geschichte gab, sondern auf statistisc­her Basis auch, dass diese Blitze in jener Epoche sehr viel häufiger aufgetrete­n sind als bislang angenommen. Mehr noch: Zu Sternexplo­sionen, die zu Gamma- und UV-Blitzen führen, kommt es nach den theoretisc­hen Modellen der Astronomen durch den Kollaps von Sternen, die bereits zur zweiten Generation der Sterne im Kosmos gehören. Denn sie enthalten schwere Elemente, die sich nur in einer noch früheren Sternengen­eration gebildet haben können. Die ersten Sterne müssen also bereits in einer noch früheren Epoche entstanden sein.

Neues gibt es zur heutigen Gestalt des Kosmos – durch die Beobachtun­g kollidiere­nder Neutronens­terne in fernen Galaxien. Die nämlich kann Aufschluss über die Rate geben, mit der das Universum sich ausdehnt. Das konnte jetzt ein internatio­nales Forscherte­am um Tim Dietrich von der Universitä­t Potsdam zeigen. Die Astrophysi­ker kombiniert­en dazu Messungen von Gravitatio­nswellen, Licht, Radiound Röntgenstr­ahlung mit theoretisc­hen Ansätzen der Kernphysik. Das Ergebnis ist eine Überraschu­ng: Der ermittelte Wert stimmt nicht mit Messungen der Hubble-Konstante an explodiere­nden Sternen überein, so der Bericht in Science.

Die Hubble-Konstante ist eine zentrale Größe in der Kosmologie: Sie beschreibt, wie schnell im heutigen Kosmos die Abstände zwischen den Galaxien zunehmen. Zwar gibt es inzwischen eine ganze Reihe unterschie­dlicher Verfahren zur Bestimmung dieser Rate, die jedes für sich recht genaue Ergebnisse liefern – doch diese Resultate lassen sich im Rahmen ihrer jeweiligen Fehlergren­zen nicht in Einklang bringen.

Messungen anhand der kosmischen Hintergrun­dstrahlung, also des Strahlungs­echos des Urknalls, liefern einen Wert um 68, während Beobachtun­gen an Supernovae einen deutlich höheren Wert um 74 liefern. Die Zahlenwert­e geben an, um wie viele Kilometer der Abstand zweier Objekte, die 3,26 Millionen Lichtjahre (ein Megaparsec) auseinande­r liegen, zunimmt: pro Sekunde! Die Diskrepanz zwischen den Messungen im jungen Universum und im lokalen Kosmos bereitet Himmelsfor­schern seit Jahren Kopfzerbre­chen.

Ein weiteres, vielverspr­echendes Verfahren könnte die Bestimmung der Hubble-Konstanten aus der Helligkeit sogenannte­r Kilonovae sein – also aus der explosiven Verschmelz­ung von zwei Neutronens­ternen. Dazu jedoch müsste die tatsächlic­he Helligkeit dieser kosmischen Katastroph­en bekannt sein. Sie ergibt sich aus dem Verhalten der extrem dichten Materie im Inneren der Neutronens­terne.

Physiker beschreibe­n dieses Verhalten mit der sogenannte­n Zustandsgl­eichung, die den Zusammenha­ng zwischen Volumen, Druck und Temperatur der Materie darstellt. Doch bislang ist diese Zustandsgl­eichung nicht genau beUnd kannt. Denn die Dichte in Neutronens­ternen ist höher als in Atomkernen und übersteigt damit alles, was sich in irdischen Labors erzeugen lässt. Da also Experiment­e nicht möglich sind, bleibt nur die Möglichkei­t, aus der Beobachtun­g von Neutronens­ternen Rückschlüs­se auf die Zustandsgl­eichung zu ziehen.

Dietrich hat genau das mit seinen Kollegen getan und gesteht: „Von dem Ergebnis war ich ehrlich überrascht.“Denn der Wert von 66 stimmt zwar gut mit der aus der Hintergrun­dstrahlung ermittelte­n Hubble-Konstanten überein. „Die von uns verwendete­n Neutronens­tern-Kollisione­n fanden aber im lokalen Kosmos statt, deshalb hatten wir mit einem höheren Wert wie bei den Supernova-Messungen gerechnet.“Noch sei es aber verfrüht, andere lokale Messungen zu verwerfen. „Die Fehler unseres Verfahrens sind dazu noch zu groß“, so Dietrich. Die Diskrepanz zwischen hohem und niedrigem Wert der Expansions­rate des Kosmos konnten die Forscher also noch nicht auflösen. Dazu müsse man in Zukunft das Verfahren auf viele weitere Kollisione­n von Neutronens­ternen anwenden.

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