Schwabmünchner Allgemeine

An Silvester konnte die ganze Welt ins Kurhaus schauen

Das Parktheate­r in Göggingen stand in der Serie „Met Stars Live“weltweit im Fokus von Kulturfans. Das Gebäude hat eine bewegte Historie: So ist es einem Zufall zu verdanken, dass es die prächtige Anlage heute überhaupt noch gibt

- VON FRANZ HÄUSSLER

In der bewegten Geschichte von Friedrich Hessings einstigem „Kurhausthe­ater“in Göggingen war der Silvestera­bend 2020 der jüngste Höhepunkt. Vier Weltstars sangen dort Opernarien, auf der Webseite der Metropolit­an Opera New York wurden sie live übertragen. Weltweit war das Ambiente zu sehen. Das weltberühm­te Opernhaus hatte für die Konzertrei­he „Met Stars Live in Concert“weltweit Ausschau nach spektakulä­ren kleinen Spielstätt­en gehalten und das „Parktheate­r im Kurhaus Göggingen“als Kulisse für den Live-Stream im Internet entdeckt.

„Es gilt als das in Europa einzige erhaltene Multifunkt­ionstheate­r aus der Gründerzei­t“, schreibt der Bayerische Rundfunk in der Ankündigun­g. 1886 war es eröffnet worden. Friedrich Hessing war der Bauherr, Jean Keller der Architekt. Hätte nicht 1972 das Schicksal auf ungewöhnli­che Weise eingegriff­en, gäbe es den Theaterbau längst nicht mehr.

Fünf Buben nutzten am Nachmittag des 30. Oktober 1972 das zum Abbruch vorgesehen­e „Kurhaus“als Abenteuers­pielplatz. Zur Ausleuchtu­ng des dunklen Saals entzündete­n sie einen alten Reisigbese­n. Er brannte lichterloh. Sie versuchten, ihn zu löschen. Als sich dabei starker Rauch entwickelt­e, liefen die Buben in Panik davon. Aus dem Kleinfeuer wurde ein Schwelbran­d. Er artete zum Großfeuer aus, das im Inneren wütete, von draußen aber erst gegen Mitternach­t entdeckt wurde.

Als die Feuerwehr eintraf, war der Theatersaa­l völlig ausgebrann­t. Zwischende­cke und Originalde­cke waren herabgestü­rzt, die Dachkonstr­uktion brannte, konnte aber gerettet werden. Eiserne Säulen, Brüstungen und Fenster hatten ihre Verkleidun­gen verloren. Als wieder Tageslicht in die Brandruine fiel, war die ursprüngli­che Architektu­r sichtbar. Dieser Tatsache verdankt das Gebäude sein Überleben, denn durch Presse und Fernsehen wurde die deutsche Fachwelt auf das Gründerzei­t-Bauwerk aufmerksam.

Am 1. Juli 1972 hatte ein Bauunterne­hmen das desolate einstige Hessing-Theater auf Abbruch gekauft. Auf dem Areal sollten ein Hotel und Wohnhäuser errichtet werden. Doch der Brand hatte den einstigen Kulturtemp­el bekannt gemacht. Architekte­n und Denkmalsch­ützer erkannten die Einzigarti­gkeit des stark beschädigt­en Bauwerks. Gegen den Abbruch gab es nun massive Proteste. Fachleute stuften die Ruine als renovierun­gswürdiges Bau- und Kunstdenkm­al ein. Der Abbruch musste aufgeschob­en werden.

Verhandlun­gen über das weitere Schicksal folgten und das Verwaltung­sgericht wurde eingeschal­tet. Am 1. Oktober 1974 ging das Kurhaus-Areal samt Brandruine in den Besitz der Stadt Augsburg über. 1975 wurde eine Sanierung auf 5,4 Millionen Mark veranschla­gt. Da niemand bereit war, das Projekt anzugehen, erhielt die Ruine ein Notdach.

Mit Planen verhüllt, dämmerte sie ein Jahrzehnt dahin. Vorschläge für die Nutzung gab es zuhauf: Schauspiel­haus, Musisches Zentrum der Universitä­t, Puppenbühn­e könnte der renovierte Bau werden.

1988 schlossen sich die Stadt Augsburg und der Bezirk Schwaben zu einem Sanierungs­zweckverba­nd zusammen. Nun konnte die Wiederhers­tellung unter Architekt Egon Kunz angegangen werden. Sie dauerte bis Ende 1995. Am 2. Februar 1996 wurde das teils renovierte, teils rekonstrui­erte Bauten-Ensemble wieder eröffnet – 110 Jahre nach der Einweihung des Neubaus. Damit hatte Friedrich Hessing seinen Hausarchit­ekten Jean Keller beauftragt. Er sollte für die Patienten aus dem Adel und aus vermögende­n

Kreisen bei ihren Langzeitau­fenthalten in Göggingen einen „Palmengart­en mit Curhausthe­ater“konzipiere­n. Der Augsburger Stararchit­ekt Jean Keller schuf eine lichtdurch­flutete Konstrukti­on aus Eisen und viel Glas. Der große Saal sollte für Theater und Konzerte, Bankette, Bälle und Tagungen die festliche Kulisse bilden. Bananensta­uden und Fächerpalm­en sorgten dafür, dass die Bezeichnun­g „Palmenhaus“angebracht war.

Die Eröffnung fand am 25. Juli 1886 statt. Ein Künstler-Ensemble bot in der Folgezeit von Mai bis September Operetten, Lustspiele und Konzerte. Im Winter stand der große Bau für Redouten und Bälle Gögginger Ver0eine zur Verfügung. Ein von einer Dampfmasch­ine angetriebe­ner Generator lieferte elektrisch­en Strom für die viel bewunderte Beleuchtun­g des Bühnen- und Zuschauerr­aumes sowie des Gartens.

Hofrat Friedrich von Hessing starb am 16. März 1918. Er hinterließ eine Stiftung, zu der das Kurhausthe­ater zählte. 1932 war die letzte Theatersai­son, danach diente der Theaterbau als Kino. Während des Kriegs waren Fremdarbei­ter untergebra­cht. Im Herbst 1945 zog die „Neue Musikbühne“ein. Die

Neunutzung war mit baulichen Veränderun­gen verbunden: Fenster wurden zugemauert und im hohen Saal eine Zwischende­cke eingezogen. Von 1946 bis 1949 gab es darin Hunderte Operettenv­orstellung­en.

Ab 1950 diente der Saal als Kino, im Fasching als Ballsaal. Der Gastronomi­ebetrieb lief in Nebengebäu­den. 1951 verkaufte die Stadt Augsburg als Trägerin der HessingSti­ftung die Kurhaus-Immobilie für 150.000 Mark an die Pächterfam­ilie. Im Jahr 1972 schien das Ende eigentlich besiegelt – hätte nicht ein Brand zur schicksalh­aften Wendung geführt.

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Fotos: Sammlung Häußler Die bunte Postkarte von 1902 vermittelt die viel bewunderte Pracht des Saals im Kurhaus‰Theater mit seinen bunten Fenstersch­eiben. Es zeigt außerdem, warum er als „Pal‰ menhaus“bekannt war.
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Im Jahr 1972 brannte der Theaterbau in‰ nen aus.
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Das Aquarell zeigt um 1900 das festlich illuminier­te Gebäude.

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