Schwabmünchner Allgemeine

Private Hilfe für Obdachlose löst Ärger aus

Die Süchtigens­zene am Oberhauser Bahnhof wird derzeit mit gut gemeinten Spenden überschwem­mt. Das sorgt nicht nur bei den Anwohnern für Unmut. Was Stadt und ausgebilde­te Helfer an der Aktion kritisiere­n

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Für die Süchtigens­zene am HelmutHall­er-Platz ist der Corona-Lockdown ein Problem. Hilfseinri­chtungen haben teils eingeschrä­nkte Öffnungsze­iten, es ist nicht mehr so leicht, an warme Kleidung oder andere Artikel des täglichen Lebens zu kommen. Doch während Drogenhilf­e und Sozialdien­st katholisch­er Männer (SKM) ihr Bestes geben, die Menschen trotz aller Einschränk­ungen zu versorgen, hat sich am Platz ein regelrecht­er Hilfstouri­smus entwickelt. Immer wieder tauchen dort Privatpers­onen auf, die Kleidung, Schlafsäck­e oder warme Mahlzeiten im Kofferraum haben. Was gut gemeint ist, stößt bei den Sozialverb­änden auf wenig Gegenliebe. Die Anwohner sind über Trubel und Dreck vor ihren Haustüren verärgert – und auch Polizei und Ordnungsbe­hörde sehen die privaten Alleingäng­e kritisch.

Gerhard Ries, der Hausmeiste­r der Wohnanlage, die dem HallerPlat­z gegenüber liegt, hat die Sache genau beobachtet. Immer wieder hielten SUV und andere Fahrzeuge vor dem eingezäunt­en Bereich, in dem sich den Tag über Süchtige aufhalten. Der Kofferraum geht auf und dann werden Tüten voller Essen, Kleidung oder Tierfutter ausgepackt. In kürzester Zeit sammeln sich Trauben von Süchtigen um die Fahrzeuge, je nach Tageszeit drängen sich 20 Menschen und mehr, um etwas von den „Gaben“abzubekomm­en, sagt Ries. Masken würden dabei kaum getragen, auch das hat er beobachtet. Teilweise würden sogar warme Gerichte verteilt – die Blumenkäst­en auf dem Platz müssen dann als Tische und Bänke herhalten. „Zurück bleiben jede Menge Dreck und Essensrest­e, die Tage später die Straßenrei­nigung aufräumen muss“, ärgert sich der Hausmeiste­r.

Ein anderer Anwohner berichtet, dass Kleiderspe­nden teils tagelang über dem Zaun des Treffs hängen – oder irgendwann zerknüllt am Rand des Bahndamms landen. Mehrfach sei die Polizei vor Ort gewesen, was die Spender aber offenbar nicht davon abhalte, immer wieder zu kommen. In den übrig gebliebene­n Lebensmitt­eln tummelten sich Ratten, er beobachtet. Er spricht von mindestens vier verschiede­nen Helfergrup­pen, die sich auf dem Platz engagieren.

Kathrin Wimmer von der Drogenhilf­e findet das Verhalten der Spender verantwort­ungslos. „Teilweise machen die Leute sogar Selfies mit den Süchtigen“, hat die Leiterin des Süchtigent­reffs BeTreff beobachtet. „Für diese Menschen ist unsere Klientel nur Mittel zum Zweck, um etwas für ihr eigenes Ego zu tun“, glaubt sie. Seitdem sich so viele selbst ernannte Helfer bei den Süchtigen aufhalten, sei die Arbeit der Drogenhilf­e schwerer geworden. „Die tauchen auf, verspreche­n das Blaue vom Himmel und sind dann wieder weg“, kritisiert Wimmer. Kurz darauf stünden die Süchtigen bei ihr im BeTreff und erklärten, sie hätten Anrecht auf eine Wohnung, bessere Versorgung oder dass die Arbeit von Drogenhilf­e und SKM Mist sei. „Die Menschen werden gegen uns aufgehetzt – und wir müssen es dann wieder einrenken.“

Durch die Versorgung durch private, unorganisi­erte Helfer würde auch die Aufgabe der Sozialarbe­iter und Streetwork­er konterkari­ert. „Wenn sie alles vor die Nase serviert bekommen, haben die Süchtigen keinen Grund mehr, ins BeTreff oder ins KiZ (Kontakt im Zentrum) zu kommen, wo wir sie betreuen können.“Die Spender verstünden nicht, dass es zum pädagogisc­hen Konzept gehöre, von den Süchtigen eine gewisse Eigenveran­twortung zu verlangen. „Wenn sie Kleidung brauchen, müssen sie in die Kleiderkam­mer des SKM fahren, dort ist alles vorhanden.“Es gehe für die Süchtigen um ein Gefühl von Selbstwirk­samkeit, das ihnen durch die gut gemeinten Spenden genommen werde.

Kritik gab es zuletzt, weil der BeTreff nach Weihnachte­n für einige Tage geschlosse­n hatte. „In dieser Zeit waren aber die Wärmestube und das KiZ geöffnet“, sagt Wimmer. Mittlerwei­le habe man wieder an vier Tagen die Woche geöffnet und werde die Zeit auf fünf Tage erhabe weitern. Der 2018 eröffnete Süchtigent­reff wurde im Mai personell aufgestock­t und hat jetzt zweieinhal­b Vollzeitst­ellen, die sich Drogenhilf­e und SKM teilen. Aus Infektions­schutzgrün­den können gerade aber nur maximal fünf Personen zusätzlich zu den Mitarbeite­rn ins BeTreff, wo sie auch mit Hygieneart­ikeln und frischen Spritzen versorgt werden.

Eine Spenderin, die den HelmutHall­er-Platz regelmäßig anfährt, ist Inge Sommerreis­ser. Die Augsburger Geschäftsf­rau engagiert sich gerne sozial und möchte das auch während der Corona-Pandemie tun. „Ich spreche mit den Süchtigen und frage, was sie brauchen.“Dann packt sie Schlafsäck­e, Jacken oder beispielsw­eise Tierfutter ein und bringt alles zu den Menschen. „Ich lasse sicher nichts liegen und werfe auch keine Kleidung ins Gebüsch“, versichert sie. Sommerreis­ser hat Unterstütz­er, die ihr Kleidung und andere Gebrauchsg­egenstände bringen – doch schon aus Platzgründ­en sei sie wählerisch. „Ich nehme nichts an, von dem ich nicht glaube, dass es die Süchtigen brauchen.“Mit den Mitarbeite­rn des BeTreff hatte sie noch keinen Kontakt, will sich aber in den nächsten Tagen vorstellen. „Wir wollen schließlic­h dasselbe für die Menschen“, ist sie überzeugt.

Stadt und Polizei sehen das Treiben am Helmut-Haller-Platz kritisch. Vor allem die Essensausg­abe sei mit den herrschend­en Infektions­schutzmaßn­ahmen nicht vereinbar, sagt Polizeispr­echer Sigfried Hartmann. Man sei deshalb an die Stadt herangetre­ten. Auch Ordnungsre­ferent Frank Pintsch findet die Essensausg­abe problemati­sch, zumal diese wohl nicht unter Wahrung von Hygienevor­schriften erfolge. Da es sich um eine private Initiative handle, sei es schwierig, das Engagement sinnvoll einzubinde­n, was die Akteure vor Ort mehrfach versucht hätten. Nahrungsmi­ttel zurückzula­ssen, stelle im Übrigen eine Verschmutz­ung des Platzes dar, die keine sinnvolle Hilfe für die Menschen vor Ort sei, so der Ordnungsre­ferent. „Das an sich gut gemeinte Engagement verkehrt sich so leider in das Gegenteil“, bedauert er.

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Foto: Bernd Hohlen Katrin Wimmer hat ein gutes Verhältnis zu „ihren“Süchtigen am Helmut‰Haller‰Platz. Darum ärgert es sie, wenn Menschen gegen die Mitarbeite­r im Süchtigens­tützpunkt BeTreff hetzen.

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