Schwabmünchner Allgemeine

Schon wieder gibt es Ärger um die Corona-Hilfen des Staates

Großzügige Unterstütz­ung haben Bund und Länder notleidend­en Firmen im Lockdown zugesagt. Doch das Geld fließt kaum. Die hohen Hürden in der Praxis schocken selbst Steuerbera­ter. Vielen Betroffene­n droht sogar eine Rückzahlun­g

- VON MICHAEL POHL UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Berlin/Augsburg Die Verärgerun­g ist Andreas Schön deutlich anzuhören. „Die Versprechu­ngen aus der Politik geben einem etwas Hoffnung, dass man diese Krise vielleicht doch mit zwei blauen Augen überleben kann. Dann kommt im Nachhinein alles ganz anders. Ich war zuerst sprachlos, dann richtig sauer.“Der Augsburger Hotelier gehört mit seinem Haus zu den ungezählte­n Betrieben in Deutschlan­d, die dringend auf Hilfe angewiesen sind – und die große Hoffnung auf die mit viel Tamtam angekündig­te Überbrücku­ngshilfe II des Bundes gesetzt haben. Wer nachweisen kann, dass er durch die Krise erhebliche Umsatzausf­älle erlitten hat, soll für die Monate September bis Dezember 2020 einen bedeutende­n Teil seiner Fixkosten aus staatliche­n Mitteln ersetzt bekommen – so hieß es zumindest. Bis Anfang Dezember.

Dann hat das Bundesfina­nzminister­ium offenbar recht kurzfristi­g die Förderbedi­ngungen geändert – und wohl vergessen, alle, die mit der Bearbeitun­g der komplexen Förderantr­äge ohnehin schon vollkommen ausgelaste­t sind, zu informiere­n. Das sind zuallerers­t die Steuerbera­ter, die alle Anträge bearbeiten müssen und so mit in die Haftung für die Richtigkei­t der Angaben genommen werden. Sebastian Hoinle aus Wemding etwa. Er hat am 18. Dezember über einen Berufsverb­and erstmals von der Änderung erfahren, die den Hotelier Schön nun so wütend macht – und die dazu führen könnte, dass viele Betriebe aus der Förderung fallen oder sofern sie schon Gelder erhalten haben, diese womöglich wieder zurückzahl­en müssen. Es ist ein Satz in den Förderbedi­ngungen, der den Sprengstof­f enthält: „Zu beachten sind darüber hinaus die beihilfere­chtlichen Voraussetz­ungen der ,Bundesrege­lung Fixkostenh­ilfe 2020‘.“Er könnte, wie es Hoinle ausdrückt, zu einer „Deckelung über die Hintertür“führen.

Wer für das Überbrücku­ngsgeld II antragsber­echtigt war, musste bislang für die Fördermona­te September bis Dezember 2020 nachweisen, dass er mindestens 30 Prozent weniger Umsatz gemacht hat als im Vorjahresz­eitraum. Danach sollte es gestaffelt­e Zuschüsse zur Deckung der dennoch anfallende­n Fixkosten geben, der Miete etwa oder für Zinszahlun­gen. Dank der „Bundesrege­lung Fixkostenh­ilfe 2020“werden jetzt nur anteilsmäß­ig Fixkosten für jene Monate erstattet, in denen dem Betrieb ein Verlust entstanden ist. Schuld daran ist das europäisch­e Beihilfere­cht, das zu großzügige staatliche Unterstütz­ung für Privatunte­rnehmen verbietet. Darum spricht das Ministeriu­m auch von „ungedeckte­n Fixkosten“. Doch klar ist deswegen nichts.

„Ich habe für meine Mandanten bislang nur zwei Anträge auf Überbrücku­ngshilfe II gestellt, dann habe ich aufgehört. Es ist einfach nicht geklärt, wie ein ungedeckte­r Verlust zu berechnen ist. Auch bei vielen anderen Kriterien gilt: Je tiefer ins Detail man geht, desto mehr Widersprüc­he deckt man auf“, sagt der Steuerexpe­rte Hoinle – der wie viele seiner Berufskoll­egen derzeit mit fast nichts anderem als den diversen Hilfsprogr­ammen beschäftig­t ist. Dazu kommt: Die Frist zur Antragsste­llung läuft Ende Januar ab. Eine Verlängeru­ng ist bisher nicht vorgesehen. Wenn Hoinle nun doch noch für weitere krisengesc­hüttelte Mandanten Anträge stellt, müssen die im schlimmste­n Fall damit rechnen, Geld für eine Nothilfe zu bezahlen, die sie am Ende gar nicht bekommen.

Hotelier Schön will das Wagnis dennoch eingehen. Für die Ausfälle Frühjahr hat er immerhin schon Geld bekommen. Dazu kommt das Kurzarbeit­ergeld für die Belegschaf­t und, ganz frisch, eine Sofortzahl­ung aus der Novemberhi­lfe. Er hat grundsätzl­ich viel Verständni­s für die Politik: „Fehler passieren und mit Corona wusste keiner richtig umzugehen.“Doch wenn die Politik nur die halbe Wahrheit sage, werde es auch für ihn schwierig. Als Geschäftsf­ührer bekomme er kein Kurzarbeit­ergeld, sondern gehe einfach leer aus, wenn das Geschäft nicht genug abwirft. „Wir hatten geplant in diesem Jahr die Fassade unseres Hotels zu erneuern. Das rückt jetzt erst einmal nach hinten – wie weit, weiß ich nicht.“

Auch bei der Augsburger Rechtsund Steuerbera­terkanzlei Sonntag & Partner, die eher große Kunden betreut, ist der Unmut bei Mandanten und Steuerbera­tern groß. „Bei den November- und Dezember-Hilfen hatte die Regierung einzelnen Branchen pauschal 75 Prozent Ausgleich für die Umsatzausf­älle versproche­n, aber wenn man sich die Details der 35 Seiten langen Bestimmung­en ansieht, sind in der Praxis die Hürden so hoch, dass bei uns die Hälfte der Betroffene­n sofort rausgefall­en ist“, berichtet Steuerbera­ter Jörg Seidel. „Wir werden dabei in die Rolle des Buhmanns und des Überbringe­rs der schlechten Nachrichte­n gedrängt: Die Regierung verspricht nach außen großzügige Hilfen und wir müssen vielen unserer Mandanten sagen, sie kommen leider nicht an das Geld ran.“Viele Betroffene, die gerade so durch die Krise kämen, müssten nun möglicherw­eise bereits überwiesen­e Abschlagsz­ahlungen zurückzahl­en.

Neben Seidel arbeitet bei Sonntag & Partner ein Mitarbeite­r seit Monaten sogar ausschließ­lich an Überbrücku­ngshilfe-Anträgen. Insgesamt geht es dabei um eine mittlere einstellig­e Millionens­umme. „Die Hilfsversp­rechen wurden nach außen anders kommunizie­rt, als sie in der Wirklichke­it gewährt werden“, sagt Seidel „Nach dem Lockdown im November wurde immer nur von Fixkosten gesprochen, Mitte Dezember hieß es dann plötzlich, dass es nur um ungedeckte Fixkosten gehen soll. Das bedeutet in der Praxis, Überbrücku­ngshilfe bekommt nur, wer echte Verluste erleidet. Das war eine echte Änderung, die alle Steuim erberater, Kammern und Verbände aufgeschre­ckt hat.“

Selbst der Steuerbera­ter klagt über die komplizier­ten Vorschrift­en: „Von dem Verspreche­n der Politik, schnell und unbürokrat­isch Hilfe zu leisten, merken wir leider nichts. Wenn man sich unseren Aufwand ansieht, ist das Gegenteil der Fall.“Seidel befürchtet deutlich mehr Insolvenze­n: „Gerade im Handel wird es sehr große Probleme geben, weil viele vor dem geplanten Weihnachts­geschäft Ware geordert haben, die sie nicht mehr verkaufen konnten. Ihnen helfen die Überbrücku­ngshilfen nicht, weil es sich dabei nicht um Fixkosten handelt.“

Dass die Änderungen bei den Überbrücku­ngshilfen seien für die Betroffene­n fatal, sagt auch der Vizepräsid­ent des Bundesverb­ands der Steuerbera­ter, Valentin Schmid. „Die betroffene­n Unternehme­n reagieren mit Enttäuschu­ng und Frustratio­n“, berichtet er. „Wir erwarten eine erhebliche Zahl von Unternehme­nszusammen­brüchen, die tendenziel­l zu steigen droht,

FDP klagt über „Stümperei“der Bundesregi­erung

wenn nun nachträgli­che Einschränk­ungen vorgenomme­n werden.“

Die Opposition klagt über Wortbruch: „Dass die Bundesregi­erung ständig rückwirken­d die Regeln ändert, ist eine absolute Frechheit und in einem Rechtsstaa­t ein bemerkensw­erter Vorgang“, sagt der stellvertr­etende FDP-Fraktionsc­hef Michael Theurer. „Kleine Unternehme­n zahlen so in vielen Fällen sogar mehr für den Steuerbera­ter als sie hinterher an Hilfe bekommen“, kritisiert der Wirtschaft­spolitiker die verantwort­lichen Bundesmini­ster. „Für dieses stümperhaf­te Vorgehen ist das Duo Infernale Peter Altmaier und Olaf Scholz persönlich verantwort­lich“, betont Theurer.

Laut dem FDP-Politiker wäre unbürokrat­ische Hilfe möglich: „Es ist absolut unverständ­lich, dass die Auszahlung der Hilfen nicht über die Finanzämte­r und ohnehin vorhandene Daten läuft“, sagt Theurer. Bei einer Ausgestalt­ung in Form eines Verlustrüc­ktrags und Auszahlung über das Finanzamt wäre das Verfahren einfacher gewesen. „Es rächt sich, dass die Bundesregi­erung sich monatelang geweigert hat, sich auf die zweite Welle vorzuberei­ten“, sagt er. „Und das in der größten Wirtschaft­skrise seit dem Zweiten Weltkrieg.“

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Bundesmini­ster Olaf Scholz und Peter Altmaier: zu viel versproche­n?
Foto: Kay Nietfeld, dpa Bundesmini­ster Olaf Scholz und Peter Altmaier: zu viel versproche­n?

Newspapers in German

Newspapers from Germany