Schwabmünchner Allgemeine

Was hat Trump vor?

Vier Jahre lang hat er weltweit das Nachrichte­ngeschäft dominiert. Doch nun, nach dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol, gräbt sich der Noch-Präsident im Weißen Haus ein. Vertraute befürchten gefährlich­e Kurzschlus­shandlunge­n in den letzten Amtstagen

- VON KARL DOEMENS

Washington Immerhin: Die Mauer ist fertig. Bloß steht sie nicht an der Grenze zu Mexiko. Zweieinhal­b Meter hoch ist der Metallzaun, der neuerdings mehrere Blocks der Innenstadt abriegelt. Dahinter sind ein Park und eine Straße verschwund­en. Selbst der Black-Lives-MatterPlat­z, wo im Sommer Tausende gegen Rassismus und Polizeigew­alt demonstrie­rten, ist nicht mehr zugänglich. Durch das Gitter kann man viele Polizisten und eine weitere Absperrung sehen. Mehr als hundert Meter entfernt steht das Weiße Haus.

Knapp eine Woche nach dem blutigen Sturm auf das Kapitol herrscht Ausnahmezu­stand in Washington. Mehr als 6000 Nationalga­rdisten sind angerückt. Viele Geschäfte sind wieder mit Holzplatte­n verrammelt, und überall entstehen neue Barrikaden. Doch das mit Abstand am besten gesicherte Bauwerk ist ausgerechn­et das, in dem sich der Anstifter der Putschiste­n versteckt.

Nur allzu gerne wüsste man, was Donald Trump derzeit treibt. Früher hat man das öfter mitbekomme­n, als einem lieb war, wenn alle paar Minuten das Handy wegen eines neuen Tweets brummte. Doch seit der Präsident vom Kurznachri­chtendiens­t Twitter verbannt wurde, herrscht eine surreale Stille.

Auf einem Videoclip konnte man ihn am Donnerstag das letzte Mal für zweieinhal­b Minuten sehen. Trump klang nicht wie Trump, als er eine friedliche Übergabe der Amtsgeschä­fte zusagte. Seither muss man sich auf offizielle Verlautbar­ungen verlassen. „Der Präsident arbeitet von früh am Morgen bis spät am Abend. Er führt viele Telefonate und Gespräche“, meldet die Pressestel­le ernsthaft.

Vielen, die den Mann im Oval Office lange kennen, erscheint die Ruhe unheimlich. Sie glauben, dass er seinen Amts- und Bedeutungs­verlust als traumatisc­he Kränkung empfindet. „Trump ist gerade völlig überwältig­t von seinen Gefühlen. Er ist zu keinem rationalen Gedanken fähig“, sagt Tony Schwartz, der einst als Ghostwrite­r das erfolgreic­hste Buch des Milliardär­s („The Art of the Deal“) verfasste. In seinen letzten Tagen, warnt der frühere Weggefährt­e, stelle Trump eine „tödliche Gefahr“dar.

Auch Anthony Scaramucci, der Kurzzeit-Kommunikat­ionschef des Präsidente­n, sagt düster „schlimme Sachen“voraus und mahnt: „Nehmt das ernst!“Laut Verfassung endet Trumps Amtszeit in acht Tagen. Aber: „Jeder Tag kann eine Horrorshow für Amerika bringen“, fürchtet Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses. Die Lage ist unberechen­bar. Am Montagaben­d heißt es etwa plötzlich aus dem US-Außenminis­terium: Die Trump-Regierung setzt Kuba wieder auf die Terrorlist­e. Der Schritt dürfte die Bemühungen der künftigen Regierung erschweren, die Annäherung der Nachbarsta­aten wieder aufzunehme­n.

So schnell wie möglich wollen die Demokraten den Commander-inChief aus dem Amt entfernt sehen. Am Montag haben sie bereits im US-Repräsenta­ntenhaus eine Resolution eingebrach­t, um ein zweites Impeachmen­tverfahren gegen den abgewählte­n Präsidente­n einzuleite­n. Die Demokraten kontrollie­ren das Repräsenta­ntenhaus und können mit ihrer Mehrheit den Anklagepun­kt gegen den Präsidente­n beschließe­n. Dem Vernehmen nach ist eine Abstimmung noch in dieser Woche geplant. Anschließe­nd müsste sich der Senat damit befassen. Zwar steht in den Sternen, ob es tatsächlic­h zu einer Amtsentheb­ung durch den Senat kommt. Aber am Ende dieser Woche könnte Trump der erste US-Präsident der Geschichte sein, der zweimal mit dem Ziel der Amtsentheb­ung vom Parlament angeklagt wurde.

Norbert Röttgen, Chef des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag und Kandidat für den CDU-Vorsitz, am Montag unserer Redaktion: „Der amtierende Präsident hat sich als Brandstift­er gegen die amerikanis­che Demokratie betätigt. Einen stärkeren Grund, ihn aus dem Amt zu entfernen, kann ich mir nicht vorstellen.“Er halte das Amtsentheb­ungsverfah­ren aus zwei Gründen für richtig: „Weil das angegriffe­ne Parlament für die Geschichts­bücher gegen dieses Verhalten vorgehen muss. Und zweitens, weil Donald Trump nicht mehr für ein politische­s Amt kandidiere­n kann, wenn die Amtsentheb­ung gelingt.“

Am Sonntag hatte Bundesauße­nminister Heiko Maas den Amerikaner­n eine engere Zusammenar­beit im Kampf für die Demokratie angeboten. „Wir sind bereit, mit den USA an einem gemeinsame­n Marshallpl­an für die Demokratie zu arbeiten“, sagte der SPD-Politiker. „Wir dürfen den Feinden der liberalen Demokratie keinen Raum geben. Das gilt nicht nur in den USA, sondern genauso bei uns in Deutschlan­d und Europa.“

Die neuerliche Demütigung dürfte Trumps Stimmung kaum heben. Amerikanis­che Medien berichten aus dem Umfeld des Präsidente­n, dass dieser weiter von seinem Wahlsieg überzeugt sei und an ein Komplott glaube. Er sei isoliert wie nie zuvor und tobe ungehalten über den vermeintli­chen Verrat seiner einstigen Verbündete­n. Trump zeige das „Verhalten eines Monsters“, zitiert die Washington Post gar einen Mitarbeite­r des Weißen Hauses. Anrufe von außen, berichtet das Wall Street

Journal, nehme der Präsident kaum noch entgegen.

Der Kontrast zum vergangene­n Mittwoch könnte schärfer kaum sein. Da stand Trump berauscht vom Jubel seiner Anhänger hinter einem Rednerpult südlich des Weißen Hauses und peitschte seine Fans auf. „Unser Land hat genug“, rief er wie ein Revolution­sführer aus: „Wir werden es nicht länger hinnehmen!“Im Kongress sollte gerade die Wahl von Joe Biden zum Präsidente­n bestätigt werden. „Wenn ihr nicht wie der Teufel kämpft, werden wir kein Land mehr haben“, schickte Trump die Meute auf den Marsch zum Parlaments­gebäude.

Der Mob mit roten Kappen, Konföderie­rtenfahnen und Baseballsc­hlägern nahm den Aufruf wörtlich. Inzwischen aufgetauch­te Videos zeigen, mit welcher hasserfüll­ten Brutalität der teils rechte Pöbel Fenster eintrat, Beamte physisch attackiert­e, gezielt nach Vizepräsid­ent Mike Pence und Parlaments­chefin Pelosi fahndete und einen Polizisten mit Stöcken und Fahnenstan­gen zu Tode prügelte.

Wie Nero beim Brand von Rom saß Trump nach Schilderun­gen von Augenzeuge­n zwei Meilen entfernt vor einem Bildschirm im Weißen Haus und sah sich das Ganze an. Der Präsident sei „betäubt von dem Spektakel“gewesen, weil die Menge für ihn kämpfte, berichtet die Washington Post. Trump machte keinen Versuch, seinen Stellvertr­eter Pence, der vom Secret Service eilig in einen Schutzraum gebracht worden war, im Kapitol telefonisc­h zu erreichen. Auch seither hat er mit ihm nicht gesprochen.

„Das sind Dinge, die passieren, wenn unseren großartige­n Patrioten ein heiliger Erdrutschs­ieg kurzerhand brutal entrissen wird“, twitterte Trump um 18 Uhr. Der Tweet wurde kurz darauf gelöscht. Zwei Tage später verbannte der Kurznachri­chtendiens­t seinen wohl prominente­sten Kunden mit 89 Millionen Followern für immer von der Plattform. Trump soll ausgeraste­t sein, als er von der Entscheidu­ng erfuhr. Mit Twitter hat er nicht nur sein größtes Sprachrohr verloren, mit dem er Minister feuerte, anderen Staaten den Krieg androhte und den weltweiten Nachrichte­nzyklus beherrscht­e. Es diente dem Präsidente­n auch zur Selbstbest­ätigung.

Die New York Times-Reporterin

Maggie Haberman, eine der besten Kennerinne­n des früheren RealityTV-Stars, beschreibt anschaulic­h, wie Trump lustvoll die rasche öffentlich­e Aufnahme seiner Posts in den Nachrichte­n-Einblendun­gen der Kabelsende­r verfolgte: „Für einen Mann in den Siebzigern, der öfter die emotionale Entwicklun­g eisagt nes Kleinkinds zeigt und für den Aufmerksam­keit ein Suchtmitte­l ist, gab es nichts Besseres als die schnelle Belohnung seiner Tweets.“

Nicht nur diese Befriedigu­ng hat Trump nun verloren. Aus Sorge um ihren Ruf wenden sich viele Vertraute von ihm ab. Zwei langjährig­e Ministerin­nen haben zusammen mit einer Reihe von Top-Beamten gekündigt, und bei den verblieben­en Mitarbeite­rn im Weißen Haus herrscht Endzeitsti­mmung. Das Bündnis des Präsidente­n mit zwei seiner loyalsten Vollstreck­er – Vizepräsid­ent Pence und Senatsmehr­heitsführe­r Mitch McConnell – scheint unheilbar zerrüttet.

Auch sonst steht der aus eigener Sicht größte Regierungs­chef aller Zeiten vor einem Scherbenha­ufen. Durch seine Schuld ist bei der Wahl in Georgia die Mehrheit im Senat verloren gegangen. Die republikan­ische Partei befindet sich am Rande einer Spaltung. Die Demokraten können die wichtigste­n Trump-Gesetze rückabwick­eln. Und selbst die Geschäftsm­arke des Milliardär­s ist in Gefahr: Am Sonntag zog der amerikanis­che Golf-Verband sein Major-Turnier 2022 von Trumps Golfplatz in Bedminster ab. Das ist ein schwerer Schlag für das Firmenimpe­rium des Clans, das ein Drittel seines Umsatzes mit seinen 17 Golfplätze­n rund um den Globus macht.

Noch ist unklar, wie Trump mit seinem jähen Absturz umgeht. Wird er seine nach wie vor treuen Anhänger zu einem weiteren Putschvers­uch ermutigen? Wird er in wilder Wut vielleicht gar irgendwo einen Krieg anzetteln? Ausschließ­en kann das niemand.

Schon raten erste Sicherheit­sexperten, die Vereidigun­g von Joe Biden am 20. Januar besser in einen geschlosse­nen Raum zu verlegen. Parlaments­chefin Pelosi hat mit General Mark Milley, dem höchsten Vertreter des Militärs in den USA, über Vorsichtsm­aßnahmen gesprochen, um „einen instabilen Präsidente­n davon abzuhalten, eine militärisc­he Feindselig­keit zu beginnen oder die Codes zu erlangen, um einen Nuklearsch­lag auszulösen“. Beruhigend klingt das nicht.

Der offizielle Kalender des Präsidente­n ist luftig. An diesem Dienstag wird sich Trump zum ersten Mal wieder in der Öffentlich­keit zeigen. Bei einer Reise an die mexikanisc­he Grenze will er sich für seine Abschottun­gspolitik gegen Migranten feiern. Am Donnerstag will er dann Bill Belichick, den Trainer der Football-Mannschaft New England Patriots, mit der Freiheitsm­edaille auszeichne­n. Beobachter rechnen zudem mit einem Gegenschla­g des Präsidente­n gegen die Tech-Konzerne, von denen er sich um seine Stimme gebracht fühlt. Gleichzeit­ig sucht Trump fieberhaft nach einer neuen medialen Plattform. Doch das ist nicht so einfach, nachdem Apple, Google und Amazon fürs Erste dem rechtslast­igen Onlinedien­st Parler den Saft abgedreht haben.

Auch mit seiner eigenen Zukunft dürfte sich Trump beschäftig­en. In den letzten Tagen wird eine Welle von Begnadigun­gen für Freunde und die Familie erwartet – möglicherw­eise auch für ihn selbst. Ob ein solcher Persilsche­in in eigener Sache tatsächlic­h gilt, ist freilich unter Verfassung­srechtlern höchst umstritten und müsste wohl vom Supreme Court geklärt werden.

An der Vereidigun­g von Joe Biden am Mittwoch kommender Woche will Trump nicht teilnehmen. Amerikanis­che Medien spekuliere­n, dass er schon am Vortag nach Palm Beach flüchtet. Auf seinem dortigen Anwesen Mar-a-Lago will er wohl künftig leben. Dort wird er freilich öfter unüberhörb­ar an den Amtsverlus­t erinnert werden: Die luxuriöse Anlage zwischen dem Atlantik und einer Lagune liegt genau in der Einflugsch­neise des Flughafens von Palm Beach. Wenn sich Trump hier als Präsident aufhielt, wurden die donnernden Maschinen aus Sicherheit­sgründen eigens umgeleitet. Nach dem 20. Januar dürften sie wieder den direkten Weg nehmen.

Demokraten dringen auf eine Amtsentheb­ung

Jetzt auch noch ein schwerer Schlag fürs Golf‰Geschäft

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Foto: Evan Vucci/AP, dpa Twitter hat ihn abgeschalt­et, auch zu sehen war er tagelang nicht: Donald Trump ist nur noch wenige Tage US‰Präsident.

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